Ukraine macht sich bereit für die EU - Die Nacht im Überblick

14.11.2023 05:00

Auf etwa 1200 Kilometer Frontlänge greifen russische Soldaten die
Ukraine an. Präsident Selenskyj und sein Militärchef Saluschnyj sehen
mehrere Abschnitte, an denen es besonders brennt. Ein Überblick über
Geschehnisse in der Nacht und ein Ausblick auf den Tag.

Kiew (dpa) - Die von Russland angegriffene Ukraine bereitet sich
weiter auf den erhofften Beginn von Verhandlungen über den Beitritt
zur Europäischen Union vor. Vor einer im Dezember erwarteten
Entscheidung der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer
wolle sein Land alle Vorgaben der Europäischen Kommission erfüllen,
sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj. «Wir arbeiten daran, eine
bedingungslose Entscheidung über die Aufnahme von Verhandlungen zu
erreichen.»

Nachdem am Montag in Brüssel die Außenminister der EU-Staaten über
die Ukraine beraten haben, treffen sich am Dienstag die
Verteidigungsminister. Auch bei ihnen geht es um weitere
Unterstützung für die Ukraine, die seit fast 21 Monaten eine
großangelegte russische Invasion abwehrt. Selenskyj wie auch
Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj sprachen am Montag von einer
schwierigen Lage an mehreren Frontabschnitten im Süden und Osten des
Landes.

Selenskyj: Ukraine will alle Vorgaben erfüllen

Der ukrainische Staatschef beriet am Montag mit seiner Führung über
die nächsten Schritte in Richtung EU-Beitritt. Es sei entscheidend,
alle Vorgaben der EU-Kommission als Voraussetzung für
Beitrittsverhandlungen zu erfüllen, sagte Selenskyj.

Nachdem die Ukraine 2022 zum Beitrittskandidaten erklärt worden war,
empfahl Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche,
Verhandlungen zu beginnen. Sie sieht das Land auf gutem Weg,
insgesamt sieben Vorgaben zu erfüllen. Unter anderem geht es um die
Bekämpfung der Korruption.

Selenskyj stellte den Beitritt als europäisches Projekt dar. «Der
Erfolg unseres Landes und unseres Volkes - wirtschaftlich, sozial und
bei der Entwicklung der Beziehungen der Ukraine zur Welt - kann nur
als gemeinsamer Erfolg ganz Europas erreicht werden», sagte er.

Awdijiwka, Marjinka, Bachmut - die heißen Stellen der Front

In seiner Videoansprache vom Montagabend nannte Selenskyj die
Abschnitte der etwa 1200 Kilometer langen Front, an denen derzeit am
intensivsten gekämpft wird: «Awdijiwka, Marjinka, Abschnitt Bachmut,
Abschnitt Lyman, Kupjansk, Saporischschja, das Gebiet Cherson - an
jedem dieser Abschnitte ist es schwierig.»

Eine ähnliche Liste nannte Oberbefehlshaber Saluschnyj in einem
Telefonat mit dem US-Oberbefehlshaber Charles Brown. «Die Abschnitte
Awdijiwka, Kupjansk und Marjinka sind am heißesten. Die Situation ist
schwierig, wird aber kontrolliert», sagte er.

Tote bei Artilleriebeschuss auf Cherson in der Südukraine

Über mehreren Gebieten der Südukraine wurde am Montagabend Luftalarm
ausgelöst. Die russische Armee habe zwei Gruppen von Kampfdrohnen
gestartet, teilte die ukrainische Luftwaffe mit. Tagsüber beschoss
russische Artillerie mehrere Ortschaften im südlichen Gebiet Cherson,
wie Gebietschef Olexander Proskudin mitteilte. Drei Menschen seien
getötet und 17 verletzt worden.

Der nördliche Teil des Gebietes Cherson ist vor einem Jahr von der
ukrainischen Armee befreit worden. Der südliche Teil ist aber immer
noch von russischen Truppen besetzt. Der Fluss Dnipro bildet die
Frontlinie. Allerdings haben ukrainische Truppen zuletzt den Fluss an
mehreren Stellen überschritten und Brückenköpfe gebildet.

Die staatlichen russischen Nachrichtenagenturen Tass und Ria Nowosti
meldeten am Montag einen Rückzug russischer Kräfte aus der Region.
Wenige Minuten später annullierten sie ihre Meldungen aber wieder.
Das Moskauer Verteidigungsministerium bezeichnete die Berichte als
Provokation.

Ukrainische Winteraussaat schrumpft

Wegen des russischen Angriffskrieges ist die Fläche der Winteraussaat
in der Ukraine nach Branchenangaben stark geschrumpft. Bei
Winterweizen sei die Fläche mit 3,8 Millionen Hektar nur halb so groß
wie vor dem Krieg, sagte Denys Martschuk, Vize-Vorsitzender des
Agrarverbandes UAC. Der Rückgang liege daran, dass viel Ackerland
wegen der Kämpfe nicht nutzbar sei. Auch hätten die Bauern für ihre
Sommerernte nicht genug erlöst, um Saatgut zu kaufen, sagte er.

So sei im kommenden Frühjahr und Sommer eine geringere Ernte zu
erwarten. Die Lebensmittelversorgung in der Ukraine sei trotzdem
nicht gefährdet, sagte Martschuk. Allerdings werde es weniger
Getreide für den Export geben. Wegen russischer Schiffe und Flugzeuge
ist die Hauptexportroute für ukrainische Agrarerzeugnisse mit dem
Schiff über das Schwarze Meer nur eingeschränkt nutzbar.

Das wird am Dienstag wichtig

Einen Tag nach den Außenministern beraten die Verteidigungsminister
der EU-Staaten in Brüssel über die weitere Unterstützung der Ukraine.

Allerdings zeichnet sich ab, dass ein Vorschlag des
EU-Außenbeauftragten Josep Borrell für längerfristige
Finanzierungszusagen für Militärhilfen nicht die erforderliche
Unterstützung aller 27 EU-Staaten hat. Deswegen geht es darum,
Kompromisse auszuloten. Borrell hatte ursprünglich vorgeschlagen, von
2024 bis 2027 jährlich fünf Milliarden Euro für Militärhilfe zu
mobilisieren. Einen neuen Entwurf will er im Dezember präsentieren.