Osteuropäer fordern mehr Einsatz für Munitionsplan für die Ukraine
15.11.2023 05:10
Lässt sich ein Scheitern des EU-Munitionsplans für die Ukraine nicht
mehr abwenden? Im Osten Europas ist man der Ansicht, dass die Lage
nicht so düster ist, wie es von Boris Pistorius dargestellt wird. Es
müsste allerdings Verhandlungen mit Dritten geben.
Brüssel (dpa) - Aus Osteuropa kommen Forderungen nach entschlossenen
Rettungsversuchen für den vom Scheitern bedrohten EU-Munitionsplan
für die Ukraine. Wenn aus den eigenen Lagern und über eigene neue
Bestellungen bei der Industrie nicht ausreichend Munition organisiert
werden könne, sollte man bereit sein, in Drittstaaten zu kaufen,
sagte Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur in einem Gespräch
mit der Deutschen Presse-Agentur. Dies sei eine der möglichen
Lösungen.
Pevkur verwies darauf, dass nach Angaben des EU-Außenbeauftragten
Josep Borrell erhebliche Mengen an in der EU produzierter Munition
wegen bestehender Verträge in andere Staaten geliefert werden. Mit
diesen Ländern könnten nach seiner Meinung Verhandlungen geführt
werden, um die Munition dann in die von Russland angegriffene Ukraine
umzuleiten. «Die Produktion ist da», sagte er.
Pistorius erwartet Scheitern des EU-Plans
Der estnische Politiker reagierte mit den Forderungen auf den
schleppenden Fortschritt beim EU-Plan für die Lieferung von einer
Million Artilleriegeschosse an die Ukraine bis zum Frühjahr 2024. Der
deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte deswegen am
Dienstag am Rande von EU-Beratungen erklärt, dass er ein Scheitern
erwarte. «Die eine Million werden nicht erreicht. Davon muss man
ausgehen», sagte der SPD-Politiker. Grund seien unzureichende
Produktionskapazitäten.
Pevkur stellte zugleich klar, dass er es für keine gute Idee hält,
europäische Rüstungsunternehmen zu einer Priorisierung von
Bestellungen für die Ukraine zu zwingen, wie es zum Teil erwogen
wird. Zur Rechtsstaatlichkeit gehöre es auch, Verträge zu
akzeptieren, sagte er. Wenn man Zwang anwende, werde man nicht das
erwünschte Ergebnis erzielen, sondern die Beziehungen zu Drittstaaten
und zur Industrie ruinieren. Die einzige Möglichkeit bestehe darin,
dass man mit diesen Drittländern eine Vereinbarung treffe, die
vorsehe, dass Lieferungen im gegenseitigen Einverständnis verschoben
würden, um dann mehr Geschosse in die Ukraine schicken zu können.
Große Mengen an Munition gehen in Drittstaaten
Mit welchen Drittstaaten aus seiner Sicht verhandelt werden könnte,
wollte Pevkur wegen der Vertraulichkeit von Verträgen nicht sagen.
Auch der Auswärtige Dienst der EU äußerte sich dazu zunächst nicht.
Es wird laut Borrell allerdings davon ausgegangen, dass derzeit etwa
40 Prozent der Produktion in Drittländer exportiert wird.
Die Fortschritte der EU bei der Unterstützung der Ukraine und
Hilfspläne für die Zukunft hatten am Dienstag als Topthema auf der
Tagesordnung eines Verteidigungsministertreffen in Brüssel gestanden.
Die EU-Staaten hatten der Ukraine am 20. März versprochen, innerhalb
von zwölf Monaten eine Million neue Artilleriegeschosse für den
Abwehrkrieg gegen Russland bereitzustellen. Sie sollen aus den
Beständen der Mitgliedstaaten, aber auch über neue gemeinsame
Beschaffungsprojekte organisiert werden und Engpässe der ukrainischen
Streitkräfte verhindern.
Druck auch aus Lettland
Nach Zahlen des Auswärtigen Dienstes der EU konnten bislang
allerdings erst etwa 300 000 der in Aussicht gestellten
Artilleriegranaten geliefert werden. Weitere rund 180 000 wurden
bereits über gemeinschaftliche Beschaffungsprojekte bestellt.
Ähnlich wie Pevkur hatte sich bereits vor den EU-Beratungen der
lettische Verteidigungsminister Andris Spruds geäußert. Er forderte
«Ehrgeiz und Ambitionen», um die gesetzten Ziele zu erreichen.