EU-Kommission senkt Konjunkturprognose erneut

15.11.2023 12:55

Hohe Lebenshaltungskosten, schwache Nachfrage aus dem Ausland und
straffere Geldpolitik: Die Wirtschaft in Europa kommt nur langsam aus
der Krise. Deutschland hängt dem Durchschnitt hinterher.

Brüssel (dpa) - Die Wirtschaft in der EU wird in diesem Jahr nach
einer Prognose der Europäischen Kommission langsamer wachsen als
zuletzt erwartet. Die Behörde rechnet für die EU und für die Eurozone

mit einem Wachstum von 0,6 Prozent, wie aus einer am Mittwoch
veröffentlichten Schätzung hervorgeht. Damit senkt sie ihre Prognose
zum zweiten Mal in Folge. Im September war die Kommission noch von
einem Plus von jeweils 0,8 Prozent ausgegangen. Die deutsche
Wirtschaft liegt nach den Erwartungen der Kommission unter dem
Durchschnitt.

«Dies war ein herausforderndes Jahr für die EU-Wirtschaft, die durch
die Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine, schwache
weltweite Nachfrage und höhere Verbraucherpreise in Mitleidenschaft
gezogen wurde», sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis. Nach dem
sehr schwachen Wachstum in diesem Jahr sei für 2024 eine leichte
Erholung zu erwarten, gestützt durch einen starken Arbeitsmarkt und
eine weitere Abschwächung der Inflation.

Die jährliche Inflation in der Eurozone wird der Kommissionsschätzung
zufolge von 5,6 Prozent 2023 auf 3,2 Prozent im Jahr 2024 sinken,
während die Inflation in der EU von 6,5 Prozent in diesem Jahr auf
3,5 Prozent kommenden zurückgehen dürfte. Beim Wirtschaftswachstum
rechnet die Behörde 2024 mit einem Plus von 1,3 Prozent in der
Staatengemeinschaft - schraubte aber auch hier im Vergleich zur
vergangenen Prognose (1,4) nach unten. Das Plus in der Eurozone 2024
schätzt die Behörde auf 1,2 Prozent (vorher 1,3). Für 2025
prognostiziert sie in der EU ein Wachstum von 1,7 Prozent (Eurozone:
1,6).

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte, zwar habe der sich
ausbreitende Konflikt im Nahen Osten bisher nur begrenzte
wirtschaftliche Auswirkungen außerhalb der Region gehabt. «Aber die
zunehmenden geopolitischen Spannungen haben die Unsicherheit weiter
erhöht und riskieren, den Ausblick zu trüben.» Auch durch den
langwierigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine könne es
weiterhin Störungen geben. Die wirtschaftlichen Entwicklungen der
wichtigsten Handelspartner der EU, insbesondere in China, könnte
ebenso Risiken bergen, hieß es von der Kommission.

Gleichzeitig könne die straffere Geldpolitik in Europa noch weitere
Auswirkungen auf Unternehmen und Haushalte als erwartet mit sich
führen. Darüber hinaus wirkten sich durch den Klimawandel häufigere
extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Brände, Dürren und
Überschwemmungen auf die Wirtschaft aus.

In Deutschland wird die Wirtschaft der Schätzung zufolge in diesem
Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen. Im September war für die größte
Volkswirtschaft der EU noch ein Rückgang von 0,4 Prozent vorhergesagt
worden. Für 2024 rechnet die Behörde nun mit einem Wachstum der
deutschen Wirtschaft von 0,8 Prozent (vorher 1,1), für 2025 mit 1,2
Prozent. Damit bleibt Deutschland unter dem erwarteten Durchschnitt
in der Eurozone.

Als Ursache sieht die Kommission einen Kaufkraftverlust durch die
hohe Inflation, die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen
belasteten zudem Konsum und Investitionen. Darüber hinaus habe sich
die Auslandsnachfrage ungünstiger entwickelt als bisher angenommen,
was zu einer Verschlechterung der Handelsaussichten führe. «In
Zukunft dürfte die Inlandsnachfrage jedoch wieder anziehen,
angetrieben durch einen Reallohnanstieg», hieß es.

Die «Wirtschaftsweisen» rechneten zuletzt mit einem Rückgang der
deutschen Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent in diesem Jahr. Damit
sind sie deutlich pessimistischer als noch im Frühjahr. Ebenso hatten
sowohl die Bundesregierung als auch die führenden
Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen zuletzt teils deutlich
abgesenkt. Sie erwarten ebenfalls ein Minus um 0,4 bis 0,6 Prozent.