Neustart oder Untergang? Die Linke trifft sich zum Bundesparteitag
17.11.2023 05:00
Jahrelang herrschte bei der Linken interner Zwist in der
Endlosschleife. Nun ist die Parteispitze zumindest ihre
Gegenspielerin Sahra Wagenknecht los - und will sich auf «schöne
Sachen» besinnen.
Augsburg (dpa) - Mehr Profil, weniger Streit: Nach dem Bruch mit dem
Parteiflügel um Sahra Wagenknecht sucht die Linke bei einem Parteitag
in Augsburg einen Ausweg aus ihrer tiefen Krise. Eigentliches Thema
des Treffens bis Sonntag ist die Europawahl im Juni. Parteichef
Martin Schirdewan und die Flüchtlings- und Klimaaktivistin Carola
Rackete sollen die Kandidatenliste anführen. Noch wichtiger ist der
Parteispitze die Botschaft, dass die Linke überhaupt eine Zukunft
hat.
«Wir möchten, dass von diesem Parteitag Signale der Erneuerung
ausgehen», gab die Co-Vorsitzende Janine Wissler vor einigen Tagen
als Losung aus. Schirdewan sagte der «Augsburger Allgemeinen»
(Freitag), die krisenhafte Phase sei für ihn «vergossene Milch». «D
as
Kapitel für uns beendet. Wir schlagen jetzt ein neues auf.»
Schirdewan hatte bereits zuvor erklärt, für den Parteitag habe man
«da ein paar schöne Sachen vorbereitet». Dazu gehört auch ein
gestaltetes Logo.
In Augsburg sollen zudem neue Mitglieder präsentiert werden. «Wir
werden auf dem Parteitag weitere namhafte neue Mitglieder begrüßen
können», sagte Schirdewan der «Augsburger Allgemeinen». Die Linke
macht sich damit Mut, dass in den vergangenen Wochen Hunderte
Menschen eingetreten sind. «Im Moment haben wir ungefähr doppelt so
viele Eintritte wie Austritte», betonte Schirdewan. In den
«Stuttgarter Nachrichten» und in der «Stuttgarter Zeitung» (Freitag
)
rief er zum Eintritt in die Linke auf. «Kommt wieder zu uns, macht
mit uns gemeinsam Politik für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und
Frieden. Die Partei freut sich darauf, mit neuer Kraft und vielen
neuen Mitgliedern wieder in die Offensive zu kommen.»
Weniger politische Schlagkraft
Die frühere Fraktionschefin Wagenknecht und neun weitere
Bundestagsabgeordnete hatten am 23. Oktober ihren Austritt erklärt
und die Gründung einer Konkurrenzpartei namens «Bündnis Sahra
Wagenknecht» für Januar angekündigt. Deshalb verliert die
Bundestagsfraktion ihre Mindestgröße und wird zum 6. Dezember
aufgelöst. Als Gruppe im Bundestag dürften die verbliebenen 28
Linken-Abgeordneten weniger politische Schlagkraft haben.
Schon bei der Bundestagswahl 2021 zog die Linke nur dank einer
Sonderregelung mit dem Gewinn von drei Direktmandaten in
Fraktionsgröße ins Parlament ein. Seither scheiterte die Partei bei
mehreren Landtagswahlen. Bundesweite Umfragewerte schwanken seit
Monaten zwischen 4 und 5 Prozent. Dagegen erreicht die noch gar nicht
gegründete Wagenknecht-Partei bei der Frage nach künftigen
Wahlabsichten 12 bis 14 Prozent - auch wenn diese Werte noch nicht
sehr aussagekräftig sind.
Werben um Enttäuschte bei Grünen und SPD
Die Linke steht damit vor der schwierigen Aufgabe, sich irgendwie im
Parteienspektrum zu behaupten. Immerhin hatte sie Ende 2022 noch gut
54 000 Mitglieder. Nach dem Bruch mit Wagenknecht, die bei den Themen
Migration, Klimaschutz und Ukraine-Krieg schon lange nicht mehr die
Mehrheitsmeinung der Linken vertrat, sieht die Parteispitze nun auch
inhaltlich mehr Spielraum. Sie wirbt mit einem Kurs für strikten
Klimaschutz und großzügige Asylpolitik um Aktivisten linker
Bewegungen und enttäuschte Anhänger von Grünen und SPD.
Als Symbol dafür steht die geplante Nominierung der Aktivistin
Rackete, die neben Schirdewan Europa-Spitzenkandidatin werden soll,
aber selbst nicht in der Partei ist. Die Kapitänin war als
Seenotretterin im Mittelmeer bekannt geworden. Auch der «Arzt der
Armen» Gerhard Trabert, einst Präsidentschaftskandidat der Linken,
will für die Partei ins Europaparlament.
«Eine klare Strategie»
«Wir haben eine klare Strategie: Wir wollen ein soziales,
demokratisches und friedliches Europa», sagte Wissler diese Woche.
«Die Umverteilung von Eigentum und Reichtum ist Markenkern und
Alleinstellungsmerkmal der Linken.» Und an die Adresse Wagenknechts
sagte Wissler ebenfalls vor einigen Tagen: «Wir sind die einzige
relevante linke Partei in Deutschland.»
Kurz nach Eröffnung des Parteitags in Augsburg (14.00 Uhr) spricht am
Freitagnachmittag Schirdewan (15.15 Uhr). Es folgt eine auf mehrere
Stunden angesetzte Generaldebatte. Das Treffen dauert bis Sonntag.