«Wir sind die Linke, wir sind wieder da»: Eine Partei macht sich Mut Von Verena Schmitt-Roschmann und Ulf Vogler, dpa

17.11.2023 18:09

Die Partei Die Linke will den Dauerstreit mit Sahra Wagenknecht
hinter sich lassen und ihren Markenkern aufpolieren. Zum Auftakt des
Bundesparteitags in Augsburg bejubelt sie ihren Co-Vorsitzenden.

Augsburg (dpa) - Niemand regte sich lautstark über Gendersprache auf.
Niemand stänkerte öffentlich über die Parteispitze. Keiner schoss
quer bei zentralen Themen wie Migration und Klimaschutz. Nach dem
Bruch mit Sahra Wagenknecht herrschte zu Beginn des Bundesparteitags
der Linken am Freitag in Augsburg ungekannte Harmonie. Fast konnte
man meinen, die stets beschworenen Ziele Solidarität und Frieden
zählten nun wirklich auch in der Partei.

«Die Linke ist wieder da», sagte die Co-Vorsitzende Janine Wissler
zum Auftakt in der Halle auf dem Augsburger Messegelände. Es sei
aktuell zwar keine einfache Situation. Aber mit der Trennung von
Wagenknecht gehe auch ein Klärungsprozess einher. Ein Kapitel sei
geschlossen, ein neues werde aufgeschlagen. «Mein Eindruck ist, dass
es in der Partei auch ein Aufatmen darüber gibt, dass die Konflikte
der Vergangenheit hinter uns gelassen werden», meinte Wissler. Den
Aufbruch symbolisieren soll ein neues Parteilogo in leuchtendem Rot,
das Wissler gemeinsam mit ihrem Co-Vorsitzenden Martin Schirdewan
vorstellte.

Klassische linke Themen

Schirdewan war es dann auch, der die große Rede des ersten Tages
hielt - und die Halle zum Jubeln brachte. In seinem Rundumschlag war
alles dabei, was linkes Selbstverständnis ausmacht: Attacken gegen
Sozialkürzungen zu Lasten von armen Kindern und armen Rentnern,
Solidarität der arbeitenden Klasse, Solidarität mit Minderheiten und
Menschen in Not, die Forderung nach Umverteilung des Reichtums von
oben nach unten.

«Wenn irgendjemand hier im Saal seit dem Bau der Pyramiden vor 4500
Jahren jeden Tag 100 000 Euro verdient hätte, dann wäre die Person
heute halb so reich wie Elon Musk», redete sich Schirdewan in Rage.
Absurd sei das. Und die Ampel tue nichts gegen die Missstände,
sondern verschlimmere die Lage. «Diese Bundesregierung ist die
reinste Trümmertruppe.»

«Natürlich irren wir auch»

Ein bisschen Selbstkritik streute Schirdewan auch ein, zumal die
Linke nicht nur eine Serie von Wahlschlappen hinter sich hat, sondern
auch in den Umfragen bundesweit unter fünf Prozent liegt. Natürlich
seien nicht alle Widersprüche und Streitpunkte in der Partei
ausgeräumt. Man habe auch Fehler gemacht. «Natürlich irren wir auch,

das ist doch menschlich», sagte der Parteichef.

Er nannte einen potenziellen Streitpunkt der Linken: den Gaza-Krieg.
Dem Vernehmen nach fand die Parteitagsregie aber eine
Kompromissformel, die eine Mehrheit mittragen dürfte. Schirdewan
formulierte es so: Zur Position der Linken gehöre die eindeutige
Verurteilung des Terroranschlags der Hamas auf Israel vom 7. Oktober.
Aber: «Der daraufhin im Gazastreifen ausgetragene Krieg mit seinen
schrecklichen Folgen insbesondere für die palästinensische
Zivilbevölkerung und Tausenden von Toten muss sofort enden.»

Ein bisschen Selbstbeschwörung

Unter dem Strich bleibt für Schirdewan: Das Land brauche eine «starke
linke Partei». Gemeinsam werde man wieder auf die Erfolgsspur kommen.
«Die Linke hat sich fürs Kämpfen entschieden, wir sind die Linke und

wir sind wieder da!» Ein bisschen Selbstbeschwörung war auch dabei.

Die frühere Fraktionschefin Wagenknecht und neun weitere
Bundestagsabgeordnete hatten am 23. Oktober ihren Austritt erklärt
und die Gründung einer Konkurrenzpartei namens «Bündnis Sahra
Wagenknecht» für Januar angekündigt. Während die Linke bundesweit i
n
Umfragen nur bei 4 bis 5 Prozent liegt, schafft die noch gar nicht
gegründete Wagenknecht-Partei bei der Frage nach künftigen
Wahlabsichten 12 bis 14 Prozent. Diese Werte sind noch nicht
aussagekräftig. Aber klar ist: Es wird für die Linke ein harter Weg
zum Comeback.

Die Europawahl im Juni wird die erste Messlatte. Und die ist an
diesem Wochenende auch das eigentliche Thema in Augsburg. Ab Samstag
werden die Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt. An der Spitze
soll neben Schirdewan die Flüchtlings- und Klimaaktivistin Carola
Rackete in den Wahlkampf ziehen, die als Seenotretterin im Mittelmeer
bekannt geworden war. Auch der «Arzt der Armen» Gerhard Trabert,
einst Präsidentschaftskandidat der Linken, will für die Partei ins
Europaparlament. Schirdewan sprach von einer Schicksalswahl. Er
meinte das Schicksal Europas, aber es gilt wohl auch für seine
Partei.