Spitzenduo und Programm: Linke bereit für Europawahlkampf

18.11.2023 20:28

Beim Parteitag in Augsburg macht sich die Linke Mut, dass sie noch
gebraucht wird. Streit und Depression will sie hinter sich lassen,
bevor das Wahljahr 2024 startet. Und von Sahra Wagenknecht mag fast
niemand mehr reden.

Augsburg (dpa) - Die Linke zieht mit Parteichef Martin Schirdewan und
der früheren Seenotretterin Carola Rackete als Spitzenduo in den
Europawahlkampf. Ein Parteitag in Augsburg bestätigte beide am
Samstagabend mit großer Mehrheit. Sie kandidieren im Team mit der
Gewerkschafterin Özlem Demirel und dem Armenarzt Gerhard Trabert. Im
Europawahlprogramm setzt die Partei die Schwerpunkte Asyl,
Klimaschutz, Umverteilung und Abrüstung. Die Linke hofft damit auf
einen Neustart nach dem Bruch mit dem Flügel um Sahra Wagenknecht.

Schirdewan, Rackete, Demirel und Trabert waren von der Parteispitze
vorgeschlagen worden und bekamen dann auch breite Rückendeckung der
Delegierten. Das beste Ergebnis holte mit 96,8 Prozent Trabert, der
sich seit Jahrzehnten als Arzt um Obdachlose und Flüchtlinge kümmert.
Wie Rackete ist Trabert nicht Parteimitglied.

Ein Eklat auf offener Bühne

Während die 35-jährige Rackete keine Gegenkandidatin hatte, musste
der Bundesvorsitzende Schirdewan überraschend gegen einen anderen
Bewerber antreten. Der Hamburger Bijan Tavassoli erklärte seine
Kandidatur und sorgte anschließend für einen Eklat. Tavassoli nutzte
seine Rede für eine Beschimpfung der Partei und eine Lobrede auf
Wagenknecht, die kürzlich aus der Linken ausgetreten war. Dann
erklärte er ebenfalls seinen Austritt aus der Partei.

Tavassoli hatte bei der Kandidatenkür aber keine Chance und kam nur
auf rund zwei Prozent der Stimmen, ehe er von Sicherheitspersonal aus
der Halle geführt wurde. Das Parteitagspräsidium sprach von einer
«Störaktion», Schirdewan von einem «unschönen Zwischenfall».
Tavassoli war bereits in der Vergangenheit mit provokanten Aktionen
aufgefallen.

Rackete entschuldigt sich

Die Kandidatur von Rackete wurde von vielen Delegierten mit großem
Applaus begleitet. Sie wurde als Kapitänin des Schiffs «Sea Watch 3»

international bekannt, indem sie mit ihrer Crew Flüchtlinge aus
Seenot rettete. Im Jahr 2019 hatte sie eines Verbots der
italienischen Behörden auf der Insel Lampedusa angelegt.

Am Vortag der Wahl hatte Rackete mit einem Interview bei einigen
Linken für Unmut gesorgt. Sie sagte dem Portal «Zeit Online», dass
sich die Linke sich noch mal konsequent von der SED-Vergangenheit
distanzieren und diese Zeit aufzuarbeiten solle. Später erklärte
Rackete auf X, früher Twitter, dass dies «eine unbedachte Äußerung
»
gewesen sei. Zu Beginn ihrer Bewerbungsrede betonte sie nochmals: «Da
habe ich Mist gemacht.»

15 Euro Mindestlohn

In ihrem Europa-Wahlprogramm setzt die Linke auf ihre klassischen
Themen: mehr öffentliche Ausgaben und weniger Auflagen durch
europäische Schuldenregeln, mehr Steuern auf hohe Einkommen und
Konzerngewinne, strikter Klimaschutz, eine möglichst wenig
eingeschränkte Asylpolitik, eine Stärkung des Europäischen Parlaments

im politischen EU-Gefüge.

Das Programm sieht Reformbedarf der EU und spricht von «Wut vieler
Menschen», stellt die Gemeinschaft aber nicht grundsätzlich in Frage.
Konkret stellte die Linke eine neue Forderung auf: Sie plädiert nun
für 15 Euro Mindestlohn in Deutschland. Bisher war sie für 14 Euro.
Derzeit liegt der Mindestlohn bei 12 Euro.

«Ein neues Kapitel»

Die Europawahl findet in Deutschland am 9. Juni 2024 statt. Die Linke
steht unter Druck durch schlechte Wahlergebnisse und die von
Wagenknecht angekündigte Gründung einer Konkurrenzpartei. Diese
geplante Partei will ebenfalls zur Europawahl antreten.

Nach dem Bruch mit Wagenknecht hofft die Parteispitze, nun neue
Mitglieder und Wähler für die Linke zu begeistern. Dafür startete sie

die Kampagne «Eine Linke für alle». «An diesem Wochenende schlagen

wir ein neues Kapitel auf», sagte Parteichefin Janine Wissler in
ihrer Parteitagsrede. «Die Konflikte in den letzten Jahren haben uns
zunehmend gelähmt und waren nicht mehr aufzulösen.»

Strukturelle und strategische Aufgaben seien liegen geblieben. Es
gehe darum, die Linke wieder stark zu machen und sie zur Opposition
der Ampel-Regierung in Berlin zu machen, sagte Wissler. Sie verwies
darauf, dass seit dem Bruch mit Wagenknecht mehr als 700 Menschen in
die Partei eingetreten seien. Dies sei «ein ermutigendes Signal».