Arrivederci Neue Seidenstraße: Italien verlässt chinesisches Projekt Von Christoph Sator, Ansgar Haase und Johannes Neudecker, dpa

06.12.2023 16:43

Auf die Mitwirkung des G7-Landes Italiens im Megaprojekt für eine
«Neue Seidenstraße» war China offensichtlich stolz. Nach viereinhalb

Jahren verkündet Rom jetzt jedoch seinen Ausstieg. Zugleich will man
Peking aber auch nicht allzu sehr verärgern.

Rom/Peking (dpa) - Der Beginn war großer Pomp: roter Teppich,
Ehrenwache, Hubschrauber in der Luft. In der Villa Madama zu Rom
setzten der damalige italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte
und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im März 2019 ihre
Unterschriften unter eine Vereinbarung, wonach Italien als erstes
großes westliches Land beim chinesischen Megaprojekt einer «Neuen
Seidenstraße» dabei ist. Das Ende viereinhalb Jahre später erfolgte
nun sehr kleinlaut: Mit einer förmlichen diplomatischen Note
unterrichtete Rom nach italienischen Medienberichten über den
Ausstieg. Offiziell hüllte man sich dazu am Mittwoch in Schweigen.

Aus dem Amtssitz der jetzigen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die
seit etwas mehr als einem Jahr an der Spitze einer Regierung von drei
Rechtsparteien steht, hieß es zum Verlassen der Via Della Seta
(Seidenstraße) nur: «Kein Kommentar.» Immerhin gab es von ihrem
Außenminister Antonio Tajani so etwas wie eine Bestätigung. «Wir
haben gesehen, dass die Seidenstraße nicht die erhofften Effekte
gebracht hat», sagte er bei einer Veranstaltung der
Nachrichtenagentur Adnkronos.

Die vor zehn Jahren ins Leben gerufene «Neue Seidenstraße» ist ein
weltweites Investitions- und Infrastrukturprojekt Chinas. Die
Initiative umfasst Projekte auf dem Landweg und auf dem Seeweg, die
zur «Maritimen Seidenstraße» gehören.

Wegen des Projekts hatte sich das chronisch verschuldete Italien von
seinen westlichen Partnern viel Kritik gefallen lassen müssen.
Italien war der einzige Staat aus der Siebenergruppe großer
demokratischer Wirtschaftsmächte (G7), der sich zum Mitmachen
entschloss, und auch das einzige große Land aus der EU. Begründet
wurde dies mit besseren Exportmöglichkeiten, mit der Hoffnung auf
Investitionen - beispielsweise für die Häfen in Triest und Genua -
und auch auf noch mehr chinesische Touristen.

China wiederum will sich als jetzt schon zweitgrößte Wirtschaftsmacht
neue Handelswege in aller Welt erschließen, auf dem Land und zur See.
«Neue Seidenstraße» leitet sich von der weltberühmten antiken
Handelsroute ab, die sich bis nach Europa erstreckte. Inzwischen
steckte Peking fast eine Billion Euro in das Vorhaben. In vielen
Entwicklungsländern entstanden Straßen, Eisenbahnlinien, Flug- und
Seehäfen, wo es vorher keine gab. Kritiker sagen jedoch, viele
Staaten rutschten durch neue Schulden in immer größere Abhängigkeit
von China. Aktuell sind etwa 150 Länder dabei, auch Russland und
Serbien. Aus der EU gehört jetzt noch Ungarn dazu.

Meloni hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr das Vorhaben
nicht passt. Der Vorsitzenden der Rechtsaußen-Partei Fratelli
d'Italia (Brüder Italiens) ist die Souveränität der Nation
erklärtermaßen heilig. In den letzten Monaten gab es zunehmend
Spekulationen, dass der Ausstieg bevorstehe. Auch die USA machen
Druck. Hintergrund ist, dass sich die Zusammenarbeit im März
automatisch verfestigt hätte, wäre das Projekt nicht bis zum
Jahresende gekündigt worden.

Italienisches Ziel ist jedoch natürlich auch, Peking nicht allzu sehr
zu verärgern. Von Unternehmensseite gibt es Sorgen, dass sich
Produkte made in Italy in der Volksrepublik nicht mehr so gut
verkaufen. Zudem fürchten die Italiener um lukrative Aufträge, bei
denen man auch in Konkurrenz zu EU-Partnern wie Deutschland und
Frankreich steht. Deshalb ließ Meloni den Chinesen zugleich mit der
Abschiedsnotiz versichern, dass man an der «strategischen
Partnerschaft» unbedingt festhalten wolle.

Für China, das zunehmend in Wettbewerb mit den USA steht, bedeutet
der Abschied mit Sicherheit einen Prestigeverlust. Auf eine Anfrage
der Deutschen Presse-Agentur gab es aus dem Außenministerium zunächst
keinen Kommentar. Als vor einiger Zeit die ersten Spekulationen
hochkochten, verwies man dort darauf, dass seit Unterzeichnung der
Vereinbarung die Zusammenarbeit stark ausgebaut worden sei. Der
Handel sei binnen fünf Jahren um 42 Prozent gestiegen.

In Brüssel sorgten die Neuigkeiten aus Rom hingegen für gute
Stimmung. In EU und Nato wurde Italiens Beteiligung zuletzt immer
mehr als strategischer Fehler und auch als Sicherheitsrisiko
angesehen. Allgemein gilt dort gerade als Ziel, wirtschaftliche
Abhängigkeiten zu verringern. Bei der Nato sieht man insbesondere die
Gefahr, dass Peking versuche, «Schlüsselbereiche der Technologie- und
Industriesektoren, kritische Infrastruktur sowie strategisches
Material und Lieferketten unter ihre Kontrolle zu bringen».

Auch beim EU-China-Gipfel an diesem Donnerstag in Peking dürfte es
für China nicht viele positive Nachrichten geben. So wollen
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles
Michel deutlich machen, dass die EU Handelsbeschränkungen wie
Sonderzölle erlassen könnte, wenn China weiterhin unfaire
Subventionspraktiken verfolgt und und den eigenen Markt für
europäische Unternehmen verschließt.