Widerstand gegen chinesische Billig-Marktplätze wird größer Von Christian Rothenberg und Julian Weber, dpa

08.02.2024 17:12

Mit Billigangeboten schwimmt der chinesische Online-Marktplatz Temu
in Deutschland auf einer Erfolgswelle. Nun werden Forderungen lauter,
diese Geschäfte schärfer zu kontrollieren.

Berlin (dpa) - Handelsexperten und Verbände fordern ein strikteres
Vorgehen gegenüber chinesischen Billig-Marktplätzen wie Temu. «Weder

der europäische noch der deutsche Gesetzgeber sind in der Lage, ihre
Verordnungen und Gesetze gegenüber chinesischen Unternehmen
vollständig durchzusetzen», sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer des

Handelsverbands Deutschland (HDE), Stephan Tromp, der Deutschen
Presse-Agentur. Dadurch entstünden Wettbewerbsverzerrungen.

Das gilt dem Handelsverband zufolge etwa auch für das deutsche
Lieferkettengesetz. Die Regelung soll die Einhaltung von
Menschenrechten bei Zulieferern garantieren und gilt seit Januar auch
für Firmen mit mindestens 1000 Beschäftigten im Inland. «Die
zuständige Bundesbehörde macht mitnichten aber auch nur einen Finger
krumm, um die Vorgaben bei chinesischen Unternehmen - die ebenfalls
an den Endkunden verkaufen und damit im direkten Wettbewerb zu
deutschen Händlern stehen - durchzusetzen», sagte Tromp. 

Handelsexperte: Gleiche Regeln für alle sind eine Frage der Fairness

Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung (IFH) hält eine stärkere

staatliche Regulierung ebenfalls für notwendig. «Es ist kein fairer
Wettbewerb, wir brauchen mehr Transparenz. Die Politik muss aktiv
werden und insbesondere Kennzeichnungspflichten durchsetzen», sagte
der IFH-Geschäftsführer. Für Anbieter aus Fernost müssten dieselben

Regeln und Standards wie für europäische Anbieter gelten. Das sei
eine Frage der Fairness. Zugleich sieht er die Verbraucher in der
Pflicht. «Bei den Preisen kann sich jeder ausrechnen, wie nachhaltig
die Produkte hergestellt und transportiert worden sind und wie gut
die Qualität sein kann.»

Auch der E-Commerce Verband bevh fordert eine härtere Gangart. «Wenn
sich Unternehmen unfair am Markt verhalten, dann muss das unterbunden
werden», sagte der stellvertretende bevh-Hauptgeschäftsführer Martin

Groß-Albenhausen. Es gebe strenge Vorgaben etwa zur
Produktsicherheit. Die Frage sei, warum diese Regeln nicht
durchgesetzt werden könnten. 

Handelsverband fordert ertüchtigten Zoll und mehr Marktüberwachung

Die Flut an Paketen aus China ist laut HDE ein europaweites Problem,
für das es eine europäische Lösung geben muss. Viele Pakete kämen z
um
Beispiel im Logistikzentrum des Brüsseler Flughafens an. «Und wenn
die Produkte erst mal in Europa sind, dann haben sie mehr oder
weniger freie Bahn. Wir müssen unseren Binnenmarkt schützen», sagte
Tromp. «Wenn ein Markt mit unsicheren Produkten überschwemmt wird,
ist Gefahr im Verzug.» 

Handelsplattformen wie Temu müssten daher aber nicht verbannt werden.
«Wenn sich alle an die gleichen Regeln halten müssen, findet
Wettbewerb zum Wohle des Verbrauchers statt. Dann siegt die bessere
Lösung», sagte Tromp. Aber wenn es sich solche Plattformen leichter
machen könne, weil Politik und Behörden sie nicht so stark
kontrollieren, sei das unfair. 

Der HDE fordert daher eine Stärkung des Zolls, der etwa für die
Paketabfertigung zuständig ist. «Der Zoll es mit der schieren Masse
schlicht überfordert», sagte Tromp, der auch Experte für
Digitalisierung beim HDE ist. Ein Ansatzpunkt könnte eine digitale
Plattform sein, auf der jede Sendung angemeldet werden müsse. Pakete
von Händlern, die sich nicht an die Regeln hielten, könnten so
einfacher und schneller aussortiert werden. Außerdem müsse die
Marktüberwachung im großen Stil tätig werden: «Diese ziehen aktuell

so gut wie keine Proben oder versuchen, chinesische Händler auf
solchen Plattformen zu belangen.»

Umfrage: Jeder Vierte hat bereits bei Temu eingekauft

Eine Temu-Sprecherin teilte dazu am Donnerstag mit: Temu verpflichte
sich, «alle relevanten Regeln und Vorschriften der Märkte, in denen
wir tätig sind, einzuhalten».

Temu sorgte zuletzt mit Minipreisen, Rabattangeboten von bis zu 90
Prozent und teils skurrilen Produkten für Aufsehen. So hat sich die
chinesische Plattform erstaunlich schnell auf dem deutschen Markt
etabliert. Jeder Vierte zwischen 16 und 65 hat in den letzten sechs
Jahren dort gekauft, wie eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens
Appinio zeigt. In der Rangliste liegt Temu damit auf dem vierten
Rang, knapp hinter Otto. Im Ranking der 2023 meist heruntergeladenen
Shopping-Apps in Deutschland belegt Temu laut der Webanalyse-Firma
Similarweb sogar den ersten Platz.

Das Unternehmen tritt selbst nicht als Verkäufer auf, sondern stellt
den Händlern nur seinen Marktplatz als Plattform zur Verfügung.
Hinter Temu steht das Unternehmen PDD Holdings. PDD ist in China
bekannt für die App Pinduoduo, eine der am schnellsten wachsenden
E-Commerce-Plattformen des Landes. Seit 2022 expandiert PDD auch
gezielt im Ausland.

Handelsexperte: Temu investiert unglaubliches Geld in
Online-Marketing

Handelsexperte Hudetz hat dafür eine Erklärung. «Temu ist weltweit
der größte Kunde von Google. Die pumpen unglaubliches Geld in
Online-Marketing», sagte er. Das sei aktuell ein unrentables Geschäft
- zumal überwiegend billige, margenschwache Produkte verkauft würden.
Aber ob die chinesische Plattform langfristig Erfolg haben kann? «Wir
dürfen die Beharrlichkeit von Temu nicht unterschätzen. Die haben
tiefe Taschen und sind in der Lage, langfristig in den Markt zu
investieren», sagt Hudetz. Viele Konsumenten sind aber skeptisch, was
Online-Anbieter wie Temu betrifft. In einer IFH-Umfrage erwarten 64
Prozent nicht, dass Marktplätze mit Waren aus Asien die Etablierten
wie Amazon oder E-Bay verdrängen können.

Bemerkenswert ist der Erfolg von Temu in anderer Hinsicht.
Online-Shopping ist im Alltag der Deutschen zwar fest verankert. Doch
zuletzt lief es für die Branche nicht gut. Der Brutto-Umsatz im
deutschen E-Commerce fiel nach Angaben des Branchenverbandes 2023 um
11,8 Prozent. Online-Händler blieben sogar 14,7 Prozent unter dem
Vorjahresergebnis. 

Verbraucherzentrale warnt vor Shopping-Apps - und gibt Tipps

Die Verbraucherzentrale warnt im Umgang mit Temu, auf ihrer Webseite
hat sie Tipps veröffentlicht. Konsumenten sollten sich vor dem Kauf
über die geltenden Zollbestimmungen informieren, wenn sie bei
Händlern außerhalb der EU bestellen. «Sonst können zusätzliche
Steuern und Zollgebühren auf Sie zukommen», hieß es. Bezahlen sollten

Kunden, wenn Sie die Ware erhalten haben und zufrieden sind - nicht
in Vorkasse.

Bei Elektrogeräten wird empfohlen, auf zugelassene CE-Zeichen zu
achten. Die Experten verweisen auch auf die schlechten Erfahrungen,
über die viele Temu-Kunden berichteten. Häufig kritisiert werde den
Angaben nach die schlechte Produktqualität, nicht erhaltene Sendungen
und ein schlecht erreichbarer Kundenservice.