Durchbruch in Verhandlungen: Neue EU-Schuldenregeln sind beschlussreif

10.02.2024 13:03

Die geplante Reform der EU-Schuldenregeln steht nach langem Streit
kurz vor dem Abschluss. Die Bundesregierung konnte Änderungen
durchsetzen, aber auch andere sind zufrieden.

Brüssel (dpa) - In der EU gibt es eine Einigung auf neue Regeln für
Haushaltsdefizite und Staatsschulden. Vertreter des Europaparlaments
und der Regierungen der Mitgliedstaaten schlossen in der Nacht zum
Samstag lange Verhandlungen erfolgreich ab. Die Einigung werde den
Stabilitäts- und Wachstumspakt erheblich verbessern und wirksame und
anwendbare Regeln für alle EU-Länder gewährleisten, erklärte der
belgische Finanzminister Vincent Van Peteghem im Namen der belgischen
EU-Ratspräsidentschaft.

Die Pläne sehen insbesondere vor, dass bei EU-Zielvorgaben für den
Abbau zu hoher Defizite und Schulden die individuelle Lage von
Ländern stärker berücksichtigt wird. Zugleich soll es für hoch
verschuldete Länder klare Mindestanforderungen für die Rückführung

von Schuldenstandsquoten geben. Die EU-Finanzminister hatten sich
darauf bereits Ende des Jahres geeinigt - danach waren allerdings
noch Verhandlungen mit dem Europaparlament notwendig.

Kriterien für Schulden und Defizit

Grundsätzlich gibt es in der EU die Regel, dass der Schuldenstand
eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht
überschreiten darf. Zudem gilt es, das gesamtstaatliche
Finanzierungsdefizit - also die vor allem durch Kredite zu deckende
Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen
Haushalts - unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu
halten.

Das bisherige Regelwerk zur Überwachung und Durchsetzung dieser
Vorgaben sahen Kritiker seit langem als zu kompliziert und zu streng
an. Wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs
auf die Ukraine wurde es zuletzt sogar ganz ausgesetzt. Vor allem
2020 lagen die Defizite in fast allen EU-Ländern deutlich über der
Drei-Prozent-Marke.

Bundesregierung wollte Nachbesserungen

Grundlage der nun getroffenen Einigung waren Reformvorschläge der
EU-Kommission, die allerdings vor allem von der Bundesregierung als
zu weitreichende Aufweichung des sogenannten Stabilitätspakts
kritisiert worden waren. Die Regierungen der EU-Staaten verständigten
sich deswegen nach monatelangen Verhandlungen auf etliche
Veränderungen.

Um die Vorhersehbarkeit und Fairness zu verbessern, sollen die
Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten so zwei «Schutzvorkehrungen»
genügen. Über eine zur Schuldentragfähigkeit soll sichergestellt
werden, dass die öffentliche Schuldenquote um einen jährlichen
Mindestsatz sinkt. Bei der Schutzvorkehrung zur sogenannten
Defizitresilienz geht es darum, eine Sicherheitsmarge zu schaffen,
die unter dem im Vertrag festgelegten Defizit-Referenzwert von drei
Prozent liegt. Staaten sollen demnach die drei Prozent nicht
ausreizen, um in Krisen größere Puffer zu haben.

Vorgesehen bleibt weiter, dass Staaten bei einem Verstoß gegen die
Drei-Prozent-Defizitgrenze eine jährliche strukturelle Verbesserung
von mindestens 0,5 Prozent des BIP erreichen sollen.

Gegner sehr strenger Regeln setzten allerdings durch, dass die für
die Aufsicht zuständige EU-Kommission in einem Übergangszeitraum bei
der Berechnung der Anpassungsanstrengungen den Anstieg der
Zinszahlungen berücksichtigen kann. Wenn Mitgliedstaaten glaubhafte
Reform- und Investitionspläne vorlegen, die Widerstandsfähigkeit und
Wachstumspotenzial verbessern, soll auch der Zeitraum zur
Schuldenverringerung verlängert werden können.

Abgeordnete loben Kompromiss

Die SPD-Europaabgeordneten Joachim Schuster und Gaby Bischoff lobten
die Einigung als guten Kompromiss. «Im Vergleich zum alten Regelwerk
ist die neue Verpflichtung zum Schuldenabbau stark reduziert. Die
Abbauziele werden für hoch verschuldete Staaten zwar eine Belastung
darstellen, aber sind realistischer und bieten etwas mehr
Handlungsspielräume», kommentierte Schuster. Bischoff sprach von
einem wichtigen «Beitrag zur Stärkung des sozialen Europas».

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber erklärte, das neue Regelwerk
schaffe mehr Klarheit und setze die Wirtschafts- und Währungsunion
auf ein solides Fundament. Mit der Einigung kehre man zu einer
verantwortungsvollen EU-Haushaltspolitik zurück. Der alte
Stabilitäts- und Wachstumspakt habe viele Schwächen und viele
Schlupflöcher gehabt.

Kritik kam von den Linken. «Die festgelegten Ziel- und Schwellenwerte
zum jährlichen Abbau von Schulden oder zur Senkung des Defizits sind
Irrsinn und Willkür», sagte ihr Fraktionsvorsitzender im
EU-Parlament, Martin Schirdewan. Damit werde die Wirtschaft «mit
voller Wucht an die Wand» gefahren.

Damit die Reform in Kraft treten kann, muss die Einigung noch vom
EU-Ministerrat und vom Plenum des Europaparlaments bestätigt werden.
In der Regel ist dies eine Formsache.