Bauernproteste in Polen: «Das Ersparte haben wir verbraucht» Von Doris Heimann, dpa
04.03.2024 09:15
Polens Bauern sind auf der Zinne. Sie klagen über Preisverfall durch
ukrainische Produkte und stöhnen über EU-Agrarvorschriften. Ein
Landwirt und Organisator der Proteste schildert seine Situation.
Rogow (dpa) - Bauer Wieslaw Gryn öffnet das Fenster von seinem Büro
und zeigt auf das Grundstück gegenüber. «Hier wollten wir eigentlich
ein Haus für meinen Sohn bauen. Aber alles, was wir dafür angespart
hatten, haben wir verbraucht.» Die stark gefallenen Preise für Weizen
und andere Agrarprodukte in Polen hätten seiner Familie einen Strich
durch die Rechnung gemacht, erklärt Gryn. Der 66-jährige Landwirt,
ein freundlicher Mann in Strickpulli und Jeans, ist Chef der
Organisation Betrogenes Dorf. Eine von 180 Initiativen, die hinter
den Bauernprotesten in Polen stehen.
Wie in Deutschland und zahlreichen anderen EU-Ländern rebellieren die
Landwirte dort seit Wochen - in Polen richtet sich der Protest gegen
die EU-Agrarpolitik und die Einfuhr von Produkten aus der Ukraine.
Die Landwirte wollen verhindern, dass billigeres ukrainisches
Getreide auf den heimischen Markt gelangt. Wütende Bauern blockieren
die Grenzübergänge zur Ukraine, sie brechen Güterwaggons auf und
lassen ukrainisches Getreide auf die Gleise rieseln. Am Mittwoch (6.
März) wollen sie ein zweites Mal lautstark in der Hauptstadt Warschau
protestieren. Polens Regierung stellen die Proteste vor ein Dilemma:
Das EU- und Nato-Land gehört zu den engagiertesten Unterstützern der
Ukraine.
Der große Landwirtschaftsbetrieb von Wieslaw Gryn liegt in Rogow in
der Nähe von Zamosc im Südosten Polens, rund 40 Kilometer von der
Grenze zur Ukraine. Gemeinsam mit seiner Tochter und seinem Sohn -
beide studierte Landwirte - bewirtschaftet Gryn gut 800 Hektar Land.
Weizen, Mais, Raps und Zuckerrüben baut er an. Seit 1785 sei seine
Familie hier ansässig, erzählt er stolz.
Sinkender Weizenpreis trifft höhere Treibstoffkosten
Doch momentan drücken ihn Sorgen. Nach dem russischen Einmarsch in
die Ukraine vor zwei Jahren hatte die EU alle Importzölle und -quoten
für landwirtschaftliche Produkte ausgesetzt, um dem Land
wirtschaftlich zu helfen. Polen sollte dabei als Transitkorridor für
ukrainisches Getreide und andere Produkte dienen, doch das Land war
darauf nicht vorbereitet. Die Ostseehäfen kamen mit der Ausfuhr von
Weizen in Drittländer nicht nach. Die Speicher füllten sich - und ein
Teil des Getreides landete auf dem polnischen Markt. Im Herbst
verhängte Polen ein einseitiges Embargo für diverse Agrarprodukte,
nur noch für den Transit bestimmte Ware darf die Grenze passieren.
Glaubt man den Bauern, dann funktioniert dies jedoch auch nicht.
In den Vorjahren habe der Preis für eine Tonne Weizen zwischen 900
und 1200 Zloty gelegen, sagt Gryn. Jetzt sei er bei 600 Zloty pro
Tonne. Dazu seien die Treibstoffkosten um 40 Prozent gestiegen, die
Kosten für Düngemittel um 70 Prozent.
Antiukrainische Parolen
Nicht der ukrainische Staat profitiere davon, dass das Getreide in
Polen verkauft werde, sondern «ein paar Oligarchen und internationale
Konzerne, die dort riesige Ländereien haben», meint Gryn. Aber auch
auf polnischer Seite seien Geschäftemacher unterwegs. Zum
Preisverfall trage dazu noch bei, dass Russland derzeit die
Weltmärkte mit Getreide zu Dumping-Preisen überschwemme.
Trotzdem sind bei den Bauernprotesten keine antirussischen Losungen
zu sehen, wohl aber antiukrainische. In Schlesien hing an einem
Traktor ein Plakat mit der Aufschrift «Putin, räum auf mit der
Ukraine, mit Brüssel und unseren Regierenden». Polens neuer
Regierungschef Donald Tusk schäumte: «Jede derartige Unterstützung
von Putins Erzählung ist Hochverrat.» Gegen den Bauer, dem der
Traktor gehört, ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft.
Wieslaw Gryn beteuert, die Protestbewegung sei nicht antiukrainisch.
In der vergangenen Woche hat er gemeinsam mit Vertretern anderer
Bauernverbände mit Regierungschef Tusk und Landwirtschaftsminister
Czeslaw Siekierski verhandelt. Für ihn gibt es nur eine Lösung:
«Polen muss seine Grenze vorübergehend für die Einfuhr von
ukrainischen Agrarprodukten schließen.» In dieser Zeit müsse das im
Land gespeicherte ukrainische Getreide über die Ostseehäfen in
Drittländer abfließen, um das Überangebot zu beenden.
Ärger über eine «fiktive Idee von Ökologie»
Die Bauern ärgern sich nicht nur über die billigeren Agrarprodukte
aus der Ukraine. Auch die Auflagen aus dem Green Deal der EU machen
ihnen zu schaffen. «Ein paar Schöngeister in Brüssel haben sich da
eine fiktive Idee von Ökologie ausgedacht», schimpft Bauern Gryn. Als
Beispiel nennt er die Regelung, dass ein Teil der Ackerfläche brach
liegen muss. «Da wächst dann Unkraut, und im Jahr darauf braucht man
doppelt so viel Unkrautvernichter.» Der Green Deal sollte eine
freiwillige Maßnahme sein, kein Zwang, fordert Gryn.
Regierungschef Tusk hat bereits angekündigt, dass er sich in Brüssel
für die zeitweise Aussetzung oder Änderung des Green Deals für Polens
Bauern einsetzen will. Warschau denkt außerdem bereits laut darüber
nach, für einige Zeit die Grenze für ukrainische Agrarprodukte zu
schließen. Am 28. März will Tusk mit seinem ukrainischen Kollegen
Denys Schmyhal über das Problem sprechen.