EU-Gipfel dringt auf weitere Entlastungen für Bauern

22.03.2024 16:17

Die Bauernproteste in Europa dauern an und der Druck auf europäische
Spitzenpolitiker steigt weiter. Schritt für Schritt gehen diese auf
ihre Bauern zu - jetzt auch auf Chefebene.

Brüssel (dpa) - Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wollen
weitere Maßnahmen zur Entlastung von Bauern vorantreiben. In einer am
Freitag beschlossenen Gipfelerklärung heißt es, dass die Europäische

Kommission unmittelbar weiter an den Unterstützungen für die
Landwirtschaft arbeiten soll. Zudem wollen auch die EU-Staaten selbst
an weiteren Maßnahmen arbeiten. Unter anderem soll mehr staatliche
Unterstützung für Bauern geprüft werden. Damit kommen die
Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker weiter auf die
europäischen Landwirte zu. Nach teils heftigen Bauernprotesten hatte
die Kommission in den vergangenen Wochen bereits mehrfach
Entlastungen präsentiert. Unter anderem sollen Umweltvorgaben
gelockert und Verwaltungsaufwand reduziert werden. 

Wieder Zölle auf ukrainisches Getreide

In der Erklärung heißt es zudem, dass die Position von Bäuerinnen und

Bauern innerhalb der Lieferketten für Lebensmittel gestärkt und ihnen
ein angemessenes Einkommen ermöglicht werden soll. Konkrete Maßnahmen
werden nicht genannt. Die Gipfelerklärung geht darüber hinaus auf die
Frage ein, wie mit den stark gestiegenen Exporten von ukrainischem
Getreide umgegangen werden soll. EU-Staaten und Kommission sollen
demnach weiter an Vorschlägen arbeiten, wonach wieder Zölle auf
bestimmte ukrainische Lebensmittel eingeführt werden. 

Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments hatten sich auf
die Maßnahmen vor wenigen Tagen verständigt. Der ukrainische
Ministerpräsident Denys Schmyhal zeigte sich zufrieden mit dem
Ergebnis. Europäische Bauern hatten weitreichendere Maßnahmen
gefordert. Das Europaparlament und die EU-Staaten müssen dem Vorhaben
noch zustimmen. Bei den EU-Staaten gibt es aber Zweifel, ob genug
Länder das Vorhaben unterstützen.

Konkret geht es etwa um Eier, Geflügel, Zucker, Mais und Honig. Bis
zu einer gewissen Menge dürfen diese Waren aber weiterhin zollfrei in
die EU verkauft werden können. Landwirte vor allem im Osten der EU
beklagen seit Monaten stark gestiegene Importe von Agrarprodukten aus
der Ukraine und sehen sich durch diese unverhältnismäßiger Konkurrenz

ausgesetzt. So hatte etwa der ungarische Ministerpräsident Viktor
Orban am Donnerstag auf X (vormals Twitter) geschrieben:
«Ramschpreise machen die europäischen und ungarischen Landwirte
langsam kaputt.» 

Auch Zölle auf russische Agrarprodukte sollen kommen

Zusätzlich sollen höhere Zölle auf Getreide, Ölsaaten und andere
ausgewählte Produkte aus Russland und Belarus eingeführt werden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab am späten
Donnerstagabend nach dem ersten Gipfeltag bekannt, dass ihre Behörde
einen entsprechenden Vorschlag ausgearbeitet habe. Ölsaaten sind
Pflanzen, aus denen Öl gewonnen werden kann, etwa Sonnenblumenkerne
oder Raps. Getreideimporte aus Russland in die EU waren in den
vergangenen Jahren deutlich gestiegen. 

Laut EU-Kommission sollen die Zölle vor allem drei Dinge bezwecken:
Erstens soll eine Destabilisierung des EU-Marktes verhindert werden.
Die Kommission sieht ein reales Risiko, dass Russland mit übertrieben
günstigen Agrarexporten Preise für EU-Bauern kaputtmachen und die
ohnehin schon angespannte Stimmung weiter anheizen könnte. Zweitens
hindere man Russland, aus der Ukraine gestohlenes Getreide in die EU
zu verkaufen. Wie genau dies verhindert werden soll, geht aus den
Vorschlägen nicht hervor. Und drittens wolle man verhindern, dass
Russland mit dem Geld aus den Exporten seinen Angriffskrieg gegen die
Ukraine finanziere. 

Die EU-Staaten müssen sich noch für die Zölle aussprechen, sobald sie

dies getan haben, können sie den Angaben zufolge angewandt werden.
Wenn es dazu kommt, rechnet die EU-Kommission damit, dass die
entsprechenden Exporte aus Russland quasi zum Erliegen kommen. 

Der Vorschlag birgt Brisanz

Bislang sind nach Angaben der Kommission eine große Anzahl der
künftig wohl von Zöllen betroffenen Produkte entweder von diesen
befreit oder es gelte ein sehr niedriger Zollsatz. Sollten die
Maßnahmen beschlossen werden, könnten je nach Erzeugnis Zölle von auf

95 Euro pro Tonne fällig werden oder der sogenannte Wertzoll auf 50
Prozent steigen. Dieser soll auf Produkte erhoben werden, die unter
ihrem eigentlichen Wert verkauft werden. Dabei handele es sich in der
Regel um Konzentrate oder Pflanzenöle. 

Brisant ist der Vorschlag, weil die EU die Ein- und Ausfuhr von
Agrarprodukten eigentlich nicht beschränken wollte. In der Kommission
wird nun argumentiert, dass es sich bei Zöllen nicht um Sanktionen
handele. Zudem soll garantiert werden, dass die Abgaben nur für
Importe gelten, die in der EU verbleiben. Russische Exporte in andere
Weltregionen sollen durch sie nicht teurer werden. Damit soll
sichergestellt werden, dass Lebensmittel weltweit möglichst günstig
bleiben und vor allem Menschen in Entwicklungsländern wegen der
EU-Maßnahmen keinen zusätzlichen Hunger leiden müssen.  

Weitere Themen beim Gipfel: Israel und Bosnien 

Neben den Landwirten bestimmte der Nahost-Krieg den Gipfel. Bereits
am Donnerstag hatten die EU-Staaten ihren Ton gegenüber Israel
verschärft und fordern angesichts der dramatischen Notlage der
Zivilbevölkerung im Gazastreifen eine sofortige Feuerpause. Diese
solle zu einem nachhaltigen Waffenstillstand, zur bedingungslosen
Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltener Geiseln und zur
Bereitstellung humanitärer Hilfe führen, heißt es in einer am
Donnerstagabend von Bundeskanzler Olaf Scholz und den anderen
EU-Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Erklärung. 

Darüber hinaus haben die EU-Staats- und Regierungschefs den Weg für
Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina frei gemacht. Die erste
sogenannte Beitrittskonferenz soll allerdings erst organisiert
werden, wenn das Land bislang nicht erfüllte Reformauflagen umgesetzt
hat.