Dauerstreit Asyl: EU-Parlament stimmt für schärfere Regeln Von Stella Venohr und Regina Wank, dpa

10.04.2024 18:59

Jahrelang war die Asylreform der Zankapfel in der EU. Nun wurde die
Abstimmung im Europäischen Parlament noch einmal zur Zitterpartie.

Brüssel (dpa) - Leichtere Abschiebungen und mehr Grenzschutz: Nach
jahrelangen Diskussionen stimmten die Abgeordneten des Europäischen
Parlaments am Mittwoch in Brüssel für eine Verschärfung des
EU-Asylrechts. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte
danach an, sich dafür einzusetzen, dass die nun beschlossene Reform
möglichst schnell Wirkung entfaltet. «Wir haben uns nach jahrelangen
harten Verhandlungen auf dieses umfassende Paket geeinigt. Damit
haben wir eine tiefe Spaltung Europas überwunden», sagte Faeser in
Berlin. Deutschland werde jetzt gemeinsam mit der EU-Kommission und
der belgischen Ratspräsidentschaft «sehr intensiv daran arbeiten, das
Gemeinsame Europäische Asylsystem schnellstmöglich umzusetzen». 

Mit der Reform sollen die Mitgliedstaaten zu einheitlichen Verfahren
an den Außengrenzen verpflichtet werden, damit rasch festgestellt
wird, ob Asylanträge unbegründet sind und die Geflüchteten dann
schneller und direkt von der Außengrenze abgeschoben werden können. 


Viele Abgeordnete waren allerdings unzufrieden mit dem im Dezember
ausgehandelten Kompromiss. Daher war bis zum Schluss offen, ob das
Plenum zustimmen wird. Protest wurde auch während der laufenden
Abstimmung sichtbar, als Aktivisten von der Besuchertribüne aus
riefen «Dieser Pakt tötet - stimmt dagegen» und Papierflugzeuge in
das Plenum warfen. Die unerwartete Aktion sorgte für gemischte
Reaktionen unter den Abgeordneten: Einige standen auf und
applaudierten, während andere den Protest kritisierten.

Seit Jahren wird über die Migrationspolitik der EU gestritten

An einer Reform wird bereits seit 2015 und 2016 intensiv gearbeitet.
Damals waren Länder im Süden Europas wie Griechenland mit einer
Vielzahl von Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert.
Hunderttausende kamen unregistriert in andere EU-Staaten. Dies hätte
eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten
Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie
die Europäische Union zuerst betreten haben.

Die Reform bedeutet insbesondere einen deutlich härteren Umgang mit
Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Ein Drittstaat
darf nur dann als sicher eingestuft werden, wenn eine strikte Liste
von Kriterien erfüllt ist. So müssen zum Beispiel das Leben und die
Freiheit des Antragstellers garantiert werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte die
Zustimmung des Parlaments. «Der Pakt schafft das richtige
Gleichgewicht zwischen strengeren Regeln gegen den Missbrauch des
Systems und der Fürsorge für die Schwächsten», sagte sie im Anschlu
ss
in Brüssel. Das bedeute, dass Personen, die kein Recht auf Asyl
hätten, nicht in die Europäische Union einreisen dürften, während
diejenigen, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen würden, mit dem
nötigen Schutz rechnen könnten. 

Nehmen Länder keine Geflüchtete auf, müssen sie Unterstützung leist
en

Ankommende Menschen aus jenen als sicher geltenden Ländern sollen
künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in
streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen können. Dort würde
dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der
Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend
zurückgeschickt werden. Personen, die aus einem Land mit einer
Anerkennungsquote von unter 20 Prozent kommen, sowie Menschen, die
als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten, müssten künftig
verpflichtend in ein solches Grenzverfahren.

Auch die Verteilung der Schutzsuchenden auf die EU-Staaten wird den
Plänen zufolge mit einem «Solidaritätsmechanismus» neu geregelt: We
nn
die Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie
Unterstützung leisten, zum Beispiel in Form von Geldzahlungen.

Eine Umsetzung kann noch dauern

Die Reform muss noch von den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist
normalerweise eine Formalität. Dann haben die EU-Staaten zwei Jahre
Zeit, um die Vorgaben umzusetzen.  Das soll den Staaten an den
Außengrenzen genügend Zeit geben, entsprechende Einrichtungen zur
Unterbringung von Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote
von weniger als 20 Prozent zu schaffen.

Kurzfristig wird sich also an der Situation in Deutschland nichts
ändern. Migrationsforscherin Zeynep Yanasmayan vom Deutschen Zentrum
für Integrations- und Migrationsforschung mahnte an, dass sich
Veränderungen in Fluchtbewegungen vor allem nach Konflikt- und
Verfolgungslagen in Herkunfts- und Transitländern richteten. «Wie die
Aufnahmestaaten agieren, wirkt sich auf Migration, vor allem auf
Flucht, nur sehr begrenzt aus», sagte sie der Deutschen
Presse-Agentur. «Die Auswirkungen der Aufnahmestaatspolitiken auf
Migrationsbewegungen, insbesondere Fluchtbewegungen, sind sehr
begrenzt.»

Sorge um Menschenrechte 

Zuvor hatte es massive Kritik an der Reform gegeben, unter anderem,
weil auch Familien mit Kindern in die streng kontrollierten
Auffanglager kommen könnten. Die Bundesregierung und das
Europaparlament hatten versucht, dies zu verhindern, scheiterten in
den Schlussverhandlungen allerdings am Widerstand von Ländern wie
Italien.

Für Kritik sorgte auch, dass abgelehnte Asylbewerber künftig leichter
in sichere Drittstaaten abgeschoben werden können. Denn mit der
Einigung können jetzt mehr Drittstaaten als sicher eingestuft werden,
dies gilt auch für bloße Teilgebiete von Staaten. Grundlage dafür
können auch nationale Einschätzungen sein.

Das Bündnis «Seebrücke» sprach davon, dass die Verschärfungen die

grundlegenden Rechte von Menschen auf der Flucht bedrohten. Es sei an
der Zeit, dass Europa seine Verantwortung wahrnehme und
Schutzsuchenden einen sicheren Hafen biete.