EZB öffnet Tür für Zinssenkung - Entspannung bei der Inflation

11.04.2024 16:18

Trotz gesunkener Inflation und schwächelnder Konjunktur bleibt der
Leitzins im Euroraum vorerst unverändert. Vieles deutet aber auf eine
Zinssenkung im Juni hin.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Euro-Währungshüter stimmen Verbraucher und
Unternehmen angesichts der gesunkenen Inflation auf die erste
Zinssenkung seit Sommer 2022 ein.  Die Inflation sei weiter
zurückgegangen und auch bei den meisten Messgrößen der zugrunde
liegenden Teuerung sei eine Entspannung zu verzeichnen, sagte
EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt im
Anschluss an eine Ratssitzung. «Im Juni werden wir viel mehr Daten
und neue Projektionen haben». Dann werde der Rat entscheiden, ob
seine Zuversicht erfüllt worden sei.

Einige Mitglieder des geldpolitischen Rats seien bereits jetzt
zuversichtlich gewesen, dass die Bedingungen für eine Reduzierung
erfüllt seien, sagte Lagarde. Sie seien allerdings bereit gewesen,
sich der großen Mehrheit im Rat anzuschließen, die lieber zusätzliche

Informationen im Juni abwarten wolle. Dann legen die EZB-Experten die
neuen Inflations- und Konjunkturprognosen vor. 

«Nur eine Kehrtwende bei den anstehenden Wirtschaftszahlen mit einem
wider Erwarten erstarkenden Lohnanstieg oder einem Sprung der
Inflation nach oben» könne eine Zinssenkung noch verzögern, erwartet

Andreas Bley, Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen
Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Nach Einschätzung von
VP-Bank-Chefvolkswirt Thomas Gitzel dürften im Fall einer Zinssenkung
im Juni weitere Lockerungen folgen. «Lediglich eine Zinssenkung macht
ökonomisch nur wenig Sinn.»

Am Donnerstag ließ die Notenbank die Zinsen zum fünften Mal in Folge
unverändert. Der Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der
Notenbank besorgen können, liegt weiter bei 4,5 Prozent. Der
Einlagenzins, den Banken für geparkte Gelder erhalten, beträgt im
gemeinsamen Währungsraum der 20 Mitgliedstaaten unverändert 4,0
Prozent. 

Zehn Zinserhöhungen in Folge

Um die nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf
Rekordhöhe gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen, hatte die
EZB seit Juli 2022 zehnmal in Folge die Zinsen nach oben geschraubt.
Kredite werden damit teurer. Das kann die Nachfrage bremsen und hohen
Teuerungsraten entgegenwirken. Teurere Finanzierungen sind zugleich
eine Last für die Wirtschaft und Privatleute, die sich Geld leihen
wollen.

Zuletzt hatte sich die Inflation im Euroraum stärker als erwartet
abgeschwächt. Im März stiegen die Verbraucherpreise gegenüber dem
Vorjahresmonat nach einer ersten Schätzung um 2,4 Prozent. Volkswirte
hatten mit 2,5 Prozent gerechnet. Im Februar hatte die Teuerung 2,6
Prozent betragen und im Januar 2,8 Prozent. Im März 2023 lag die
Inflation noch bei 6,9 Prozent.

Die Preisentwicklung nähert sich damit dem Ziel der EZB an, die
mittelfristig eine jährliche Inflationsrate von zwei Prozent
anstrebt. Bei diesem Wert sehen die Währungshüter Preisstabilität
gewährleistet. Die Notenbank rechnet aktuell damit, dass der Zielwert
Mitte 2025 erreicht wird. «Auf dem Weg dahin wird es Unebenheiten
geben, es wird nicht linear verlaufen», sagte Lagarde.

«Inflationsproblem löst sich nicht einfach in Luft auf»

Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen
und Verbrauchern. Sie können sich dann für einen Euro weniger
leisten. «Das Inflationsproblem löst sich nicht einfach in Luft auf»,

warnte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.  Die USA seien ein
warnendes Beispiel. 

Dort war die Inflation zuletzt stärker gestiegen als erwartet. Viele
Ökonomen rechnen daher damit, dass die US-Notenbank Federal Reserve
die Zinszügel vorerst nicht lockert. «Die US-Notenbank hat aktuell
mit einer wieder steigenden Inflation zu kämpfen und muss deshalb
ihre erste Zinssenkung wohl verschieben», sagte Friedrich Heinemann,
Ökonom am Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW. Nach
Einschätzung von Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, ist die
EZB beim Timing ihrer Zinsschritte nicht von der Geldpolitik der Fed
abhängig. «Der Wechselkurs hat nicht mehr die Bedeutung früherer
Jahre.»

Für Zinssenkungen im Euroraum spricht auch, dass sich die Aussichten
für die Wirtschaft im Euroraum verschlechtert haben. Die EZB
erwartete zuletzt nur noch 0,6 Prozent Wachstum in diesem Jahr. Im
Dezember waren noch 0,8 Prozent vorhergesagt worden.