Faeser in Bulgarien - Stacheldraht an der EU-Außengrenze Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

15.04.2024 17:51

Es ist der erste Besuch der Bundesinnenministerin an einer
Außengrenze der Europäischen Union. An diesen Grenzen sollen künftig

Asylanträge geprüft werden. Dafür hat sich Faeser sehr eingesetzt.

Kapitan Andreewo (dpa) - Fünf Tage nach Verabschiedung der
EU-Asylreform im Europäischen Parlament hat Bundesinnenministerin
Nancy Faeser (SPD) Bulgarien besucht, um Fragen des künftigen
EU-Außengrenzschutzes zu besprechen. Bei ihrer Ankunft in der
südbulgarischen Stadt Plowdiw wurde Faeser am Montag von ihrem
Amtskollegen, Innenminister Kalin Stojanow, empfangen, der sie
anschließend zur bulgarisch-türkischen Grenze begleitete.

Der Grenzübergang Kapitan Andreewo, den die Politiker besuchen, ist
einer der Orte, an denen sich entscheiden wird, ob der in Brüssel
verhandelte Kompromiss in der Praxis funktionieren wird oder nicht.
Hier solle ein Pilotprojekt entstehen, sagt Faeser, um zu testen, wie
die neuen EU-Asylregeln umgesetzt werden.

Die auf dem Festland 259 Kilometer lange bulgarische EU-Außengrenze
zur Türkei wird seit 2017 komplett durch einen doppelten
Stacheldrahtzaun geschützt und mit Wärmebildkameras überwacht.
Trotzdem wird sie häufig von Migranten mithilfe von Schleusern
überquert. Die Grenzschützer, die Faeser in Bulgarien trifft,
erklären, es gehe darum, Zeit zu gewinnen, um rechtzeitig vor Ort zu
sein und einen irregulären Grenzübertritt zu verhindern. 

Ziel ist demnach, die vielen Menschen aufzuhalten, die immer wieder
zwischen Getreidefeldern und holprigen Feldwegen Leitern an den Zaun
stellen und Decken über den Stacheldraht legen, um unverletzt
hinüberzuklettern. Manchmal würden auch Tunnel unter dem Zaun
gegraben, heißt es. Es gehe hier um "verhinderte Versuche", nicht um
illegale "Pushbacks", betont der Chef der bulgarischen Grenzpolizei,
Anton Zlatanow.

Faesers schon länger geplanter Besuch in Bulgarien fällt in eine
Zeit, in der das südosteuropäische Land in einer politischen Krise
steckt. Bulgarien hat seit vergangenem Dienstag eine
Übergangsregierung und wird am 9. Juni zum sechsten Mal binnen drei
Jahren ein neues Parlament wählen. 

Zahl der Asylanträge in Deutschland ging zuletzt zurück

Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge stellten
2023 in Deutschland 329 120 Menschen erstmals einen Asylantrag, rund
50 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten von ihnen kamen aus
Syrien, der Türkei und Afghanistan. Im ersten Quartal dieses Jahres
wurden 65 419 Erstanträge gestellt, rund 19 Prozent weniger als im
Vorjahreszeitraum. Ein Grund für den Rückgang dürften die stationär
en
Grenzkontrollen an den Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz
sein, die Faeser Mitte Oktober angeordnet hatte. Durch die
Grenzkontrollen wurden ihren Angaben zufolge seither mehr als 700
Schleuser festgenommen und 17 600 unerlaubte Einreisen verhindert.

Über die sogenannte Westbalkan-Route und über das zentrale Mittelmeer
kamen zuletzt laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex weniger
Migranten in die Europäische Union. Gleichzeitig habe die Zahl der
Ankünfte über die östliche und westliche Mittelmeerroute zugenommen.


Bulgarien war am 31. März dem Schengen-Raum beitreten, allerdings nur
mit Grenzkontrollfreiheit für Luft- und Seegrenzen. Einen Zeitplan
für die Einführung der Schengen-Regeln auch an den Landgrenzen gibt
es nicht. Faeser sagt, Bulgarien habe die dafür notwendigen Kriterien
erfüllt, daher wäre es «folgerichtig», die Schengen-Regeln auch
vollumfänglich anzuwenden. Das kommt bei ihrem Gastgeber gut an.

Vorbereitungen für neue EU-Asylgrenzen sollen rasch getroffen werden

An den EU-Außengrenzen sollen nun Vorbereitungen getroffen werden,
damit die Regeln der nach jahrelangem Streit beschlossenen Reform des
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in spätestens zwei Jahren
greifen. Die Reform sieht unter anderem vor, dass Asylgesuche von
Menschen aus Herkunftsstaaten mit einer EU-weiten Anerkennungsquote
von weniger als 20 Prozent bereits in Auffanglagern an den
Außengrenzen geprüft werden. 

Ein solches Asylzentrum als von der EU-Kommission finanziertes
Pilotprojekt in Bulgarien sei in Vorbereitung, sagt Faeser. Auf
Berichte angesprochen, wonach Migranten, die von der Türkei nach
Bulgarien kommen, zurückgeschickt und geschlagen werden, sagt der
bulgarische Innenminister, dies seien "isolierte Einzelfälle". Das
Problem sei weitgehend gelöst. Faeser betont, für sie sei der Einsatz
von Frontex wichtig. Die EU-Grenzschutzagentur sorge dafür, «dass
rechtsstaatlich gehandelt wird».

Einige der beschlossenen neuen EU-Verordnungen gelten unmittelbar.
Zur Umsetzung der neuen EU-Asylrichtlinien müssen demnächst noch
nationale Gesetze in den Mitgliedstaaten geändert werden. 

Für Dienstag hat Faeser Gespräche in Rumänien geplant, dessen
Regierung sich zuletzt gerühmt hatte, die irreguläre Migration über
die serbisch-rumänische Grenze stark eingedämmt zu haben. Die
Grenzschützer operieren dort mit Nachtsichtgeräten, Wärmebildkameras

und Drohnen. Einen Zaun gibt es dort nicht.