Verdächtige nach Angriff auf SPD-Politiker ermittelt - Rechtes Motiv? Von Anne-Beatrice Clasmann und Jasmin Beisiegel, dpa
06.05.2024 16:38
Sachsens Polizei hat nach der brutalen Attacke auf den SPD-Kandidaten
Ecke die mutmaßlichen Täter ermittelt. Alle vier sind sehr jung.
Zumindest einen kannten die Sicherheitsbehörden schon.
Dresden/Berlin (dpa) - Nach der Prügelattacke auf den SPD-Politiker
Matthias Ecke und einen Wahlhelfer der Grünen in Dresden hat die
Polizei alle vier Tatverdächtigen ermittelt. Zumindest einen von
ihnen rechnet das Landeskriminalamt Sachsen dem rechten Spektrum zu.
Man gehe davon aus, dass der Verdächtige der «Kategorie
politisch-motiviert rechts» zuzuordnen sei, teilte eine Sprecherin
des LKA am Montag mit.
Nachdem sich bereits am Sonntag ein 17-Jähriger bei der Polizei
gemeldet hatte, seien inzwischen auch die drei anderen Verdächtigen
ermittelt, berichteten das LKA und die Staatsanwaltschaft Dresden.
Bei Wohnungsdurchsuchungen wurden den Angaben zufolge Beweismittel
sichergestellt, die jetzt ausgewertet werden. Die vier männlichen
Verdächtigen sind 17 beziehungsweise 18 Jahre alt. Die Hintergründe
der Attacke, die bundesweit für Entsetzen gesorgt hat, sind bisher
unklar. Das Motiv sei Gegenstand der Ermittlungen, hieß es seitens
der Staatsanwaltschaft. Alle vier Beschuldigten seien auf freiem Fuß.
Ecke selbst meldete sich mit einem Dank aus dem Krankenhaus: «Ich bin
überwältigt von eurer Anteilnahme und Solidarität», schrieb er auf
X.
Das tue ihm gut und gebe Kraft. Es gehe aber nicht nur um ihn.
«Niemand soll in einer Demokratie fürchten müssen, seine Meinung zu
sagen!» Dazu stellte Ecke ein Foto, auf dem er mit blauem Auge und
Pflaster im Gesicht und im Hintergrund offenbar ein Krankenhauszimmer
zu sehen ist.
Die stellvertretende Regierungssprecherin, Christiane Hoffmann, sagte
in Berlin, Angriffe auf Politiker und ehrenamtliche Wahlkämpfer
«bedrohen unsere Demokratie». Was im Einzelfall das Motiv sei und
gegen wen sich die jeweilige Attacke richte, sei dabei unerheblich.
SPD-Politiker erlitt schwere Verletzungen im Gesicht
Ecke, der Spitzenkandidat der sächsischen SPD für die Europawahl ist,
war am Sonntag operiert worden. Der 41-Jährige habe einen Bruch des
Jochbeins und der Augenhöhle sowie Hämatome im Gesicht erlitten,
sagte Sachsens SPD-Chef Henning Homann. Kurz vor dem Angriff auf Ecke
hat laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe in der Nähe einen
Wahlkampfhelfer der Grünen ebenfalls verletzt.
Polizei hofft nach Attacke in Essen auf Hinweise von Zeugen
Wer am vergangenen Donnerstag an einer Attacke auf zwei
Grünen-Politiker in Essen beteiligt war, ist nicht bekannt. «Wir
haben bislang keine Tatverdächtigen ermitteln können», sagte eine
Sprecherin der Polizei am Montag. Die Ermittler hoffen nun, durch
weitere Hinweise von Zeugen auf die Spur der Täter zu kommen. Der
Staatsschutz übernahm die Ermittlungen und prüft, ob es sich um eine
politisch motivierte Tat handelt. Der Bundestagsabgeordnete Kai
Gehring und der dritte Bürgermeister der Stadt Essen, Rolf Fliß
(beide Grüne), waren nach eigenen Angaben nach einer
Parteiveranstaltung attackiert worden. Nach einem zunächst
freundlichen Gespräch sei es zum Streit und zu Beleidigungen
gekommen. Dann sei Fliß ins Gesicht geschlagen und dabei leicht
verletzt worden.
Innenminister Maier: Wahlplakate nicht nachts alleine aufhängen
Thüringens Innenminister Georg Maier sagte, um Politiker besser zu
schützen, brauche es Prävention und Repression. «Wir kommen nicht
darum herum, auch Verhaltensregeln zu empfehlen», sagte der
SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Das sei bedauerlich, weil
damit bereits ein Ziel von Angreifern erreicht werde:
Einschüchterung. «Wir müssen überall mit Angriffen rechnen», sagt
e
Maier, der in Thüringen auch SPD-Chef und Spitzenkandidat der
Sozialdemokraten für die Landtagswahl am 1. September ist.
Er selbst habe SPD-Wahlkämpfer noch einmal sensibilisiert, auf die
eigene Sicherheit zu achten, «vorsichtig zu sein, nicht alleine die
Plakate zu hängen, vor allem nicht in den Abend- oder Nachtstunden».
Außerdem sei Repression nötig: Man müsse bei solchen Straftaten alles
tun, diese aufzuklären.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte, die Antwort auf den Angriff
auf Ecke könne nicht alleine die Frage sein, wie Wahlkämpferinnen und
Wahlkämpfer jetzt durch Sicherheitskräfte in «Manndeckung» genommen
werden könnten, sagte Kühnert. «Sondern die Frage muss sein, wie wir
ein Sicherheitsumfeld mit einer wehrhaften Demokratie schaffen
können, in dem es nicht mehr akzeptiert ist, dass Jagd gemacht wird
auf Menschen, die ihr parteiliches Engagement auf die Straße tragen.»
FDP erlebt häufig Beleidigungen
Auch die Wahlkämpfer der FDP nehmen mehr Aggression im Wahlkampf wahr
als in den Jahren zuvor. Vor allem Beleidigungen hätten zugenommen,
aber auch Vandalismus an Wahlplakaten, sagte Parteisprecher Michael
Lindner der dpa. Wir werden uns davon aber nicht beirren lassen und
weiter für Meinungsfreiheit, Demokratie und einen fairen Wettbewerb
der politischen Ideen der Mitte einsetzen», fügte er hinzu. An
Mitglieder und Wahlkämpfer gehe dennoch der Rat, bedachtsam und nicht
alleine zu agieren.
Der Grünen-Vorsitzende, Omid Nouripour, sagte, seine Partei treffe
Sicherheitsmaßnahmen und organisiere deutschlandweit Workshops. Diese
sollten Wahlkämpfer für Eskalationen wappnen und helfen, Störungen
bei Veranstaltungen und an Wahlkampfständen zu bewältigen.
Mancherorts gingen Unterstützer bereits seit einiger Zeit nachts
nicht alleine los, um Plakate aufzuhängen. Die
Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan sieht hinter der wachsenden
Aggressivität auch einen Einfluss Russlands. «Befeuert von staatlich
orchestrierten Desinformationskampagnen, die auch ein Teil der
hybriden Kriegsführung Russlands sind, haben Extremisten mittlerweile
ein enormes Selbstbewusstsein und umfangreiche
Organisationsstrukturen entwickelt, um an den Grundfesten unserer
Gesellschaft zu rütteln.»
Die Innenminister von Bund und Ländern wollen am Dienstag über
mögliche Konsequenzen aus der Gewalt gegen Wahlkämpfer beraten. Laut
vorläufigen Zahlen der Bundesregierung waren Politikerinnen und
Politiker der AfD im vergangenen Jahr in 86 Fällen Ziel von
Gewaltdelikten. In 62 Fällen waren Mitglieder der Grünen betroffen.
35 Gewaltdelikte richteten sich demnach gegen SPD-Politiker. In 20
Fällen betraf es Politiker der Linken, in 10 Fällen waren die Opfer
FDP-Mitglieder. Gegen CDU-Politiker richteten sich den Angaben
zufolge 19 Gewaltdelikte. In zwei Fällen wurden 2023 Angehörige der
CSU attackiert.