Desinformationskampagne schiebt Promis falsche Ukraine-Zitate unter Von Veronika Völlinger, dpa
22.05.2024 08:05
Durchs Netz geistern gefälschte Zitate, in denen sich Stars angeblich
zur Ukraine äußern. Das Bundesinnenministerium vermutet eine
altbekannte russische Desinformationskampagne dahinter.
Berlin (dpa) - Kleine Foto-Kacheln mit Prominenten und ihren Zitaten
sind beliebt in sozialen Medien. Der Fall einer aktuellen
Desinformationskampagne zeigt allerdings: Manchmal ist Skepsis
angebracht. So gibt es im Zusammenhang mit Russlands Krieg gegen die
Ukraine seit einiger Zeit im Netz ein solches Sharepic mit dem Kopf
von Til Schweiger und der vermeintlichen Aussage, dass ukrainische
Beamte Immobilien in Frankreich und Italien kaufen würden - und man
mehr über den Krieg nicht wissen müsse. Oder eines mit einem Bild
seines Schauspielerkollegen Jannis Niewöhner und der Zeile, dass die
USA nicht verletzt würden, wohl aber Europa. Dem Rammstein-Sänger
Till Lindemann wurde ein Spruch über angeblich «sinnlose Hilfe für
die Ukraine» in den Mund gelegt.
Echte Zitate sind das nicht. Sprecher von Lindemann und Niewöhner
bestätigten der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dass die Prominenten
nie solche Aussagen getätigt hätten. Eine Sprecherin von Til
Schweiger wollte sich nicht zur Echtheit äußern. Die Zitate sind in
anderen Medien oder im dpa-Archiv nicht auffindbar. Auch ein Verweis
auf eine Quelle fehlt auf den Sharepics.
Das Bundesinnenministerium rechnet die gefälschten Zitate der 2022
aufgedeckten russischen «Doppelgänger»-Kampagne zu. Dem Ministerium
sei bekannt, dass die Kampagne «weiterhin aktiv ist und bereits seit
längerem nicht mehr nur die ursprünglich namensgebende Taktik
verwendet, Webseiten existierender Qualitätsmedien und öffentlicher
Institutionen zu imitieren», teilte ein Sprecher der dpa mit.
Zur neuen Taktik gehörten auch die gefälschten Zitate, die
«prominenten Persönlichkeiten aus der Unterhaltungsbranche in den
Mund gelegt» würden, so der Sprecher. Diese Technik werde seit
November 2023 von der «Doppelgänger»-Kampagne verwendet. Das
Ministerium beobachte die Entwicklungen und stehe dazu im Austausch
mit Plattformen und internationalen Partnern.
Auch eine Analyse der Zivilorganisation Reset.Tech, die sich mit
digitalen Bedrohungen der Demokratie beschäftigt, ordnete die
Fake-Zitate der russischen «Doppelgänger»-Kampagne zu, wie das
US-Magazin «Wired» Ende vergangenen Jahres berichtete. Reset.Tech
teilte dpa mit, erkennbar werde das, weil die Netzwerke nach
ähnlichen Mustern vorgingen und ähnliche Namen verwendeten.
Die «Doppelgänger»-Kampagne, die auch unter dem Namen «RRN» (Rece
nt
Reliable News) bekannt ist, wurde 2022 aufgedeckt. In mehreren
EU-Ländern verbreitete sie gefälschte Webseiten, die vortäuschten,
Webseiten nationaler Medien oder Regierungswebseiten zu sein. Die
EU identifizierte russische Akteure als Verantwortliche für das
Desinformationsnetzwerk. Ende Juli 2023 setzte sie fünf mit dem
russischen Staat verbundene Organisationen und sieben Menschen auf
die Sanktionsliste.
Die gefälschten Ukraine-Aussagen mit den Köpfen Prominenter wurden
bis mindestens April dieses Jahres offenbar gezielt in Umlauf
gebracht. Sie finden sich in der Anzeigenbibliothek von Facebook, wo
bezahlte Beiträge dokumentiert werden. Gegen Geld wurden die
Sharepics gezielt Nutzern in Deutschland ausgespielt. Vielfach wurden
die Anzeigen bereits gelöscht, da sie gegen die Werberegeln des
Facebook-Konzerns Meta verstoßen haben sollen. Trotzdem hat etwa die
Anzeige mit dem fälschlich Til Schweiger zugeschriebenen Zitat mehr
als 190 000 Nutzer erreicht, wie aus der Anzeigenbibliothek
hervorgeht.
Verantwortlich für die Anzeigen waren Facebook-Seiten mit willkürlich
klingenden Namen wie «New Programming KTV». Meist sind die Seiten
schon gar nicht mehr aktiv. Wer tatsächlich dahintersteckt, ist
unbekannt.
Der Facebook-Mutterkonzern Meta äußerte sich nicht im Detail zu den
Werbeanzeigen oder den Verantwortlichen des Desinformationsnetzwerks.
Meta verwies auf seine früheren Berichte zum Vorgehen gegen die
«Doppelgänger»-Kampagne. «Unsere Teams arbeiten weiterhin mit
höchster Priorität daran, Veränderungen in diesem Netzwerk zu
beobachten», teilte eine Meta-Sprecherin mit. In seinem Bericht zur
Bedrohungslage im August 2023 nannte Meta die Kampagne die «größte
und aggressivste anhaltende Einflussnahme russischer Herkunft», gegen
die der Konzern seit 2017 vorgegangen sei.
Ob Meta die Verbreitung von irreführender Werbung und
Desinformationskampagnen ausreichend bekämpft, beschäftigt derzeit
auch die EU. Ende April hatte die Europäische Kommission wegen des
Verdachts auf Verstöße gegen EU-Recht ein Verfahren gegen den
Facebook- und Instagram-Konzern eröffnet. Es werde unter anderem
geprüft, ob sich Meta im Umgang mit politischer Werbung nicht an
europäische Regeln gehalten habe, teilte die Kommission in Brüssel
mit.
Auch wenn sich Foto-Kacheln mit lustigen oder kontroversen Aussagen
mit ein paar Klicks im Netz teilen lassen - Nutzer in sozialen Medien
sollten darauf achten, ob angegeben ist, wo die Aussagen fielen.
«Zitate vermitteln zwar den Eindruck von Authentizität. Auch hier
aber gilt: Äußert sich die Person selbst nicht auch auf anderen
Kanälen in diesem Sinne, sind Zweifel angebracht», empfiehlt etwa das
Bündnis «Deutschland sicher im Netz».