Erstmals dürfen Jugendliche in Hessen ein Parlament wählen Von Oliver Pietschmann, dpa
28.05.2024 04:00
Eine Beteiligung an Wahlen blieb Jugendlichen in Hessen bislang
verwehrt. Für die anstehende Europawahl hat nun ein Bundesgesetz für
die jungen Leute den Weg frei gemacht.
Wiesbaden (dpa/lhe) - Für Jugendliche in anderen Bundesländern ist
eine politische Mitbestimmung bei Wahlen längst erlaubt. 16- und
17-Jährige können dort mit ihren Kreuzchen über die Zusammensetzung
von Kommunal- oder Landesparlamenten mitbestimmen. In Hessen darf
diese Altersgruppe am 9. Juni bei der Europawahl erstmals ein Kreuz
auf dem Stimmzettel mit 34 Parteien und politischen Vereinigungen
machen und so über das künftige Europaparlament mitbestimmen.
Warum dürfen Jugendliche in Hessen jetzt wählen?
Nach den rechtlichen Regelungen des Landes dürfen junge Menschen in
Hessen erst mit der Volljährigkeit wählen. Dies gilt aber nur für
Wahlen im Bundesland und bei der Bundestagswahl. So heißt es beim
Landeswahlleiter zu Landtagswahlen: «Wahlberechtigt sind alle
Deutschen, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit
mindestens sechs Wochen vor dem Wahltag ihren Wohnsitz oder dauernden
Aufenthalt im Land Hessen haben.» Für die Europawahl gilt allerdings
das nationale Wahlrecht der einzelnen EU-Staaten. Und im Bundestag
wurde in dieser Legislaturperiode im November 2022 das Wahlalter für
die Europawahl auf 16 Jahre gesenkt.
Wer kann in Hessen an der Europawahl teilnehmen?
Mit der Änderung des Alters für die Berechtigung zur Wahl zum
Europaparlament können nun alle deutschen Jugendlichen ab 16 Jahren
und alle Gleichaltrigen aus anderen EU-Staaten wählen. Dies gilt auch
für Jugendliche, in deren Heimatländern die Volljährigkeit
Voraussetzung für eine Teilnahme ist, denn wählen sie hier, stimmen
sie nach Angaben der Landeswahlleiterin aus Baden-Württemberg,
Cornelia Nesch, über die potenziellen Abgeordneten aus Deutschland
ab. In den meisten der 27 Mitgliedsstaaten gilt die Volljährigkeit
als Voraussetzung. So heißt es beim Europäischen Parlament: «Auch das
Wahlalter bestimmen die Mitgliedstaaten selbst. In den meisten
EU-Staaten können Wählerinnen und Wähler ab 18 ihre Stimme abgeben -
außer in Griechenland, wo die Altersgrenze bei 17 Jahren liegt, und
in Belgien, Deutschland, Malta und Österreich, wo das Wahlalter 16
Jahre beträgt.»
Haben Jugendliche in anderen Bundesländern mehr Wahlrechte?
Ja. In einer Reihe von Bundesländern wie Baden-Württemberg, Hamburg,
Bremen oder Brandenburg können 16- und 17-Jährige bereits an
Kommunal- oder Landtagswahlen teilnehmen. Beispiel Baden-Württemberg:
«16- und 17-Jährige durften in Baden-Württemberg landesweit erstmals
bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 wählen, bei
Bürgermeisterwahlen schon seit Mitte 2013», sagt die
Landeswahlleiterin Nesch. Mit einer Verfassungsänderung und einer
Änderung des Landtagswahlgesetzes sei im April 2022 auch eine
Herabsetzung des Alters ab der kommenden Landtagswahl erfolgt.
Statistiken über die Wahlbeteiligung der Jugendlichen gebe es nicht.
Warum gibt es das in Hessen nicht?
In der letzten Legislaturperiode scheiterte die damals noch
oppositionelle SPD mit Vorstößen zur Herabsetzung des Wahlalters an
den Stimmen der schwarz-grünen Regierungsfraktionen und der AfD. Die
Grünen stehen heute für eine Senkung des Wahlalters. «Jugendliche
sind diejenigen, die mit den politischen Entscheidungen von heute am
längsten leben müssen. Wir Grüne trauen 16- und 17-Jährigen zu, ein
e
fundierte, informierte und kritische Wahlentscheidung treffen zu
können», hieß es auf Anfrage. Auch SPD und FDP sind dafür. Die FDP
hat dies bei einem Landesparteitag im März 2021 beschlossen. Bei den
Sozialdemokraten heißt es auf der Homepage: «Die SPD Hessen fordert,
das Wahlalter bei Landtagswahlen auf 16 Jahre zu senken. Auf diese
Weise lässt sich die politische Teilhabe junger Menschen verbessern
und das Bewusstsein für die bürgerschaftliche Verantwortung jedes
Einzelnen stärken.»
Die AfD lehnt es nach wie vor ab. «Indem das Wahlalter an die
Volljährigkeit gebunden bleibt, besteht ein angemessenes Verhältnis
von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten. Volljährigkeit,
Geschäftsfähigkeit, Strafmündigkeit und Wahlalter müssen zusammen
gedacht werden.»
Worüber können Jugendliche in Hessen am 9. Juni mitentscheiden?
Über die Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlamentes mit mehr
als 700 Abgeordneten, die je nach Bevölkerung aus den
Mitgliedsstaaten kommen. Deutschland stellt als bevölkerungsreichstes
Land 96 Abgeordnete. In Hessen sind laut Statistischem Landesamt etwa
4,85 Millionen Menschen wahlberechtigt, darunter rund 100 000 im
Alter von 16 oder 17 Jahren.
Wie können sich Jugendliche über die Europawahl und die Bedeutung
informieren?
Während der gerade laufenden Europawochen und bis zur Europawahl
werden nach Angaben der Staatskanzlei alle Hessinnen und Hessen auch
vor Ort über die Europawahl informiert. So gebe es auf dem Hessentag
in Fritzlar eine Europafläche mit Wahl-o-Mat. In Obertshausen (Kreis
Offenbach) soll kommenden Sonntag ein «Europafest - Fest der
Kulturen» stattfinden. «Zudem bieten wir seit Anfang des Jahres
gemeinsam mit dem gemeinnützigen Verein Understanding Europe Germany
e.V. einen EU-Kompakt-Kurs an hessischen Schulen an», teilte die
Staatskanzlei mit. Ein Workshopangebot für Schülerinnen und Schüler
der Jahrgangsstufen 8 bis 13. Die Hessische Landesregierung biete
zudem einen umfangreichen Überblick über die Europawahl online auf
der Seite https://europawahl.hessen.de an.
Weiterführende Seiten gibt es auch bei der Landeszentrale für
politische Bildung. Darmstadt hat zudem in der Universitäts- und
Landesbibliothek eine kleine Ausstellung mit Informationen zur
Europawahl.