CDU baut Spitzenposition in NRW aus - Pleiten für SPD und Grüne Von Dorothea Hülsmeier und Bettina Grönewald, dpa

10.06.2024 13:26

Die CDU festigt bei der Europawahl ihren Spitzenplatz in NRW. Ihr
Grünen-Koalitionspartner stürzt dagegen ab. Die SPD erlebt weitere
Desaster in ihrer einstigen «Herzkammer».

Düsseldorf (dpa/lnw) - Freude bei der CDU, Klatsche für die Grünen
und Sinkflug der SPD: Die CDU hat bei der Europawahl in
Nordrhein-Westfalen ihren Spitzenplatz ausgebaut. Die
Christdemokraten legten laut vorläufigem Ergebnis um gut drei Punkte
auf 31,2 Prozent sogar stärker zu als im Bund. Auf Platz zwei folgte
die SPD, die mit 17,2 Prozent ihr zuvor schlechtestes Ergebnis bei
der Europawahl von 2019 nochmals um zwei Punkte unterschritt. Die
Grünen stürzten nach ihrem Topergebnis von 2019 um fast zehn Punkte
auf 13,5 Prozent ab. Die AfD legte in NRW um gut vier Punkte auf 12,6
Prozent zu. Anders als im Bund landeten die Rechtspopulisten im
bevölkerungsreichsten Bundesland aber nur auf Platz vier. 

Das sind die Erkenntnisse aus der Europawahl für NRW:

Das Ruhrgebiet ist nun schwarze Bastion 

Die SPD musste vor allem in ihrer einstigen «Herzkammer» Ruhrgebiet
weitere herbe Verluste hinnehmen. Die Sozialdemokraten kamen laut
vorläufigem Ergebnis landesweit in Kreisen und kreisfreien Städten
nur noch in Herne auf Platz eins. Dort lagen sie mit 23,9 Prozent
hauchdünn vor der CDU (23,7 Prozent). In den Stahl- und einstigen
Kohlestädten Duisburg, Gelsenkirchen, Bottrop und Oberhausen löste
die CDU die SPD auf dem Spitzenplatz ab. 

CDU als Konkurrenz für die Grünen

Die Grünen verloren in mehreren Städten ihre bei der Europawahl 2019
errungene Vormachtstellung. In Dortmund, Wuppertal, Bielefeld und
Bonn verdrängte die CDU die Grünen von Platz eins. Während sich die
Grünen in der Millionen-Stadt Köln trotz Verlusten mit 24,3 Prozent
auf dem Spitzenplatz behaupteten, wurde die CDU in den anderen
größten Städten des Landes wie Düsseldorf, Dortmund und Essen
stärkste Kraft. 

Die AfD etabliert sich im Ruhrgebiet 

Die größte Zustimmung gibt es für die AfD mit 21,7 Prozent in
Gelsenkirchen. Im Ruhrgebiet konnte die AfD unter anderem auch in
Duisburg, Herne, Bottrop oder Oberhausen ihre besten Ergebnisse
zwischen 16 und 18 Prozent erzielen. NRW-Partei- und Fraktionschef
Martin Vincentz führte die Zuwächse trotz der widrigen Umstände im
Wahlkampf darauf zurück, dass die AfD bei Arbeitern, Angestellten und
Selbstständigen sehr stark sei. Hier zeige sich klar die Enttäuschung
mit der Ampel in Berlin, sagte Vincentz im WDR5. Die AfD hat sich
nach Ansicht des Düsseldorfer Politologen Stefan Marschall inzwischen
im Ruhrgebiet, aber auch in ländlichen Regionen verwurzelt. 

Die SPD braucht neue Rezepte 

Die Wahl zeigt auch, dass das Ruhrgebiet als einstige «Herzkammer»
der SPD nicht mehr funktioniert. Nach Ansicht Marschalls hat die SPD
ihren Bezug zur Wählerschaft teilweise verloren. «Vielleicht auch
deswegen, weil es unklar ist, wer jetzt für die SPD in NRW eigentlich
steht.» Der Partei sei es nicht gelungen, dieses Problem durch
personelle Neuaufstellungen zu beheben. Inzwischen fahre auch die AfD
Erfolge im Ruhrgebiet ein und geriere sich dort als Partei für die
Arbeiterinnen und Arbeiter, also der eigentlich klassischen
SPD-Klientel. Die SPD sei in einer «Zangensituation» auch gegenüber
CDU und Grünen. 

Das Führungspersonal der Sozialdemokraten in NRW sei «nicht bekannt
oder nicht hinreichend bekannt», sagte Marschall. Es gebe «ein ganz
großes Defizit», mit Personen oder Themen die Menschen zu erreichen.
«Die SPD müsste sich personell neu erfinden.» Die NRW-SPD als
stärkster Landesverband hatte sich gerade erst nach der Landtagswahl
2022 personell an der Spitze von Partei und Fraktion neu aufgestellt.
Die Doppelspitze der NRW-SPD, Sarah Philipp und Achim Post, hatte
bereits am Sonntagabend «eine klare Niederlage» eingeräumt, aus der
sie für die nächsten Kommunal- und Bundestagswahlen Lehren ziehen
wollen. 

Die Ampel-Streiterei hat Folgen für NRW-Parteien

Für die Grünen nannte der Co-Landesvorsitzende Tim Achtermeyer das
Ergebnis bitter. «Wir haben es offenbar nicht geschafft, für unsere
Ziele zu begeistern. Stattdessen haben wir bei Menschen das Gefühl
ausgelöst, dass wir sie mit unseren Instrumenten überfordern», sagt
e
er. Es sei kein Geheimnis, dass der Regierungsstil der Ampel wenig
Rückhalt bekommen habe. Auch CDU-Landesparteichef und
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte am Sonntagabend, die
Abstimmung sei ein klares Signal der Wähler an die Ampel: «Hört auf,

Euch zu streiten und macht endlich Politik für die Menschen in diesem
Land.»

Hält der schwarz-grüne Koalitionsfrieden in NRW?

Der Generalsekretär der NRW-CDU, Paul Ziemiak, sieht die
Zusammenarbeit der schwarz-grünen Landesregierung trotz der
drastischen Verluste der Grünen stabil. Die Wahl sei zum großen Teil
auch eine Abstimmung über die Ampel und die Streitereien in Berlin
gewesen, sagte der Bundestagsabgeordnete im WDR5. «Das wollen die
Menschen nicht, das hat weniger mit den Grünen in Nordrhein-Westfalen
zu tun, sondern eher mit der Ampel in Berlin.» 

Politologe Marschall spricht angesichts der hohen Verluste der Grünen
zwar von einer schwierigen Konstellation in der Landeskoalition. Die
Grünen hätten mit ihren Verlusten um zehn Prozentpunkte eine
«Klatsche» erlitten. Er glaube aber nicht, dass das zu Spannungen auf
Landesebene führen werde. 

Die FDP-Opposition sieht das ganz anders. Die Menschen wollten
Lösungen für große Herausforderungen wie Migration und
Wohlstandssicherung, sagte FDP-Landeschef Henning Höne. Die
Landesregierung unter Wüst schiebe die Probleme nur weg nach Berlin,
anstatt vor Ort Verantwortung zu übernehmen. Wüsts grüner
Juniorpartner gehe deutlich geschwächt aus der Wahl. «Das ist das
Ergebnis einer völlig ineffektiven und intransparenten
Wirtschaftspolitik.» In NRW ist die Grünen-Politikerin Mona Neubaur
Wirtschafts-, Klima- und Energieministerin. Das «riskante Spiel» mit
dem Wirtschaftsstandort NRW sei von den Wählerinnen und Wählern
abgestraft worden, sagte Höne. 

Die kleinen Parteien 

Die FDP kam in NRW auf 6,3 Prozent (2019: 6,7) und das neu gegründete
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf Anhieb auf 4,4 Prozent. «Das gibt
uns enormen Rückenwind, gerade auch in NRW, wo wir noch in diesem
Jahr einen Landesverband aufbauen werden», sagte der stellvertretende
Parteichef Amid Rabieh. Für das BSW zieht der frühere Düsseldorfer
Oberbürgermeister Thomas Geisel, der von der SPD zur
Wagenknecht-Partei gewechselt war, als Abgeordneter ins
Europaparlament.

Wer aus NRW in das Europaparlament einzieht 

Nordrhein-Westfalen entsendet laut vorläufigem Ergebnis 20 der
insgesamt 96 Abgeordneten Deutschlands ins Europaparlament. Mit sechs
Mandaten errang die CDU die meisten Plätze (2019: 6). Die NRW-SPD
entsendet laut Landeswahlleiterin noch zwei Abgeordnete (2019: 4).
Allerdings gibt es nach Angaben der NRW-SPD noch einen dritten
Abgeordneten: Tobias Kremer, der derzeit noch für das Auswärtige Amt
arbeite und mit Erstwohnsitz noch in Berlin gemeldet sei, habe
ebenfalls über NRW-Liste den Sprung ins Europarlament geschafft. 

Auch die NRW-Grünen haben nur noch drei Abgeordnete (2019: 4). Dazu
gehört die deutsche Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke, die auch
Vorsitzende ihrer Fraktion im EU-Parlament ist. Die AfD kommt wie
bisher auf zwei Mandate. Die NRW-FDP entsendet ebenfalls zwei
Abgeordnete: Dazu gehört die deutsche FDP-Spitzenkandidatin und
prominente Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Auch das BSW, die Linke, die Tierschutzpartei, die Partei Familie
sowie die PdF gewannen je ein Mandat für Bewerber aus NRW.