Wissenschaftler: Hohe AfD-Ergebnisse - aber starke Alternative mit BSW

10.06.2024 14:24

Bei den Europa- und Kommunalwahlen hat die AfD in den ostdeutschen
Bundesländern hohe Ergebnisse eingefahren. Was bedeutet das mit Blick
auf die drei Landtagswahlen im Herbst?

Erfurt (dpa) - Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz
sieht die AfD trotz hoher Wahlergebnisse bei den Europa- und
Kommunalwahlen in Ostdeutschland in einem Dilemma. «Sie ist stärkste
Kraft, aber weit von Mehrheiten entfernt», sagte er am Montag der
Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. Der AfD fehle damit eine reale
Machtoption. «Um Politik zu gestalten, müsste die AfD koalitionsfähig

werden.» Sonst laufe die Partei, die in mehreren ostdeutschen
Bundesländern wegen rechtsextremer Tendenzen vom Verfassungsschutz
beobachtet wird, Gefahr, dass «ihre Wähler auf Dauer möglicherweise
unzufrieden sind».

Zudem habe die Europawahl gezeigt, dass der AfD gerade in
Ostdeutschland mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), dass etwa 15
Prozent aus dem Stand holte, eine Konkurrenz erwachse. Es gebe damit
quasi eine «Alternative zur Alternative». Das gelte vor allem, aber
nicht nur bei Protestwählern. 

Für eine Parteineugründung in diesem Jahr sei das
BSW-Europawahlergebnis in Deutschland insgesamt - vor allem aber im
Osten - sehr beachtlich, sagte Brodocz. «Das hat weitreichende
Auswirkungen.» Erstmals seit mehreren Jahren gebe es in Thüringen, wo
am 1. September ebenso wie in Sachsen ein neuer Landtag gewählt wird,
rechnerisch die Chance auf eine Mehrheit jenseits der AfD. Sollten
sich Umfragewerte stabilisieren, sehe er diese Mehrheit bei CDU, SPD
und BSW in Thüringen. Brodocz: «Die AfD hat zwar im Vergleich zu den
vergangenen Europa- und Landtagswahlen bessere Ergebnisse
eingefahren, aber keine besseren Chancen, an einer Regierung
beteiligt zu werden.» 

Der Politikwissenschaftler sieht in dem hohen AfD-Ergebnis in
Ostdeutschland nicht die Folge einer «Denkzettelwahl» für die
Berliner Ampel-Koalition oder die Brüsseler Bürokratie, wie
beispielsweise Thüringen CDU-Chef Mario Voigt glaubt. Dafür seien die
Zahlen zu stabil - auch mit Hinblick auf die Umfragewerte der Partei.
Brodocz geht davon aus, dass zwei von drei AfD-Wählern eine relativ
feste Parteibindung entwickelt haben. «Sie fühlen sich der AfD
verbunden, «weil sie sich mit ihren politischen Forderungen
identifizieren». An ihnen perlten auch die Skandale einzelner
AfD-Europapolitiker oder eine noch nicht rechtskräftige Verurteilung
von Thüringen Rechtsaußen Björn Höcke wegen Nutzung von Nazi-Parole
n
ab. 

Nach Ansicht von Brodocz verstellt der Blick auf einen «blauen Osten»
mit der AfD als stärkster Partei bei den Wahlen am Sonntag den Blick
dafür, «dass sie im Westen auch wächst, wenn auch auf niedrigerem
Niveau». Angesichts einer starken Bastion der AfD in den ostdeutschen
Kommunalparlamenten sagte Brodocz, es gebe nach wie vor politische
Gestaltungsmöglichkeiten jenseits der Partei am rechten Rand. «Im
Alltag der Menschen wird das zunächst keine so starken Auswirkungen
haben.»