Frustration und Rassismus: Warum die Jugend so oft rechts gewählt hat Von Fatima Abbas, dpa

10.06.2024 17:33

Bei dieser Europawahl durften erstmals junge Menschen ab 16
mitmachen. Das Ergebnis zeigt: Die jungen Menschen haben häufig AfD
gewählt, die Grünen sind dagegen abgerutscht. Warum?

Berlin (dpa) - Sie sind jung, politisch interessiert und begeistert
von der AfD: Bei der Europawahl haben deutlich mehr junge Wähler als
2019 ihr Kreuzchen bei der Partei gemacht, deren Spitzenkandidaten
zuletzt vor allem durch Skandale aufgefallen waren. Auch die Union
konnte bei den 16- bis 24-Jährigen zulegen - im Gegensatz zu den
einstigen Lieblingen der Jugend, den Grünen, und der FDP. Sind junge
Wähler «rechter» als andere? 

Elf Prozentpunkte mehr für die AfD

17 Prozent der teilnehmenden 16- bis 24-Jährigen wählten diesmal CDU
oder CSU - bei der vorangegangenen Europawahl 2019 waren es noch 12
Prozent, ein Plus also von fünf Prozentpunkten. Für die AfD haben in
der Altersgruppe 16 Prozent gestimmt - das sind sogar satte elf
Punkte mehr.

Experte: Junge Menschen sind «grundfrustriert»

«Das hat mich gar nicht überrascht», sagt der Hamburger
Politikberater und Social-Media-Experte Martin Fuchs. Er nehme bei
jungen Leuten schon länger eine «Grundfrustration» wahr. Das habe
schon zu Zeiten der Finanzkrise begonnen und sich bis nach der
Corona-Pandemie durchgezogen: Es seien immer die Jüngeren gewesen,
für die «am wenigsten Politik gemacht» worden sei. Ein weiterer Grund

sei der Umgang der Bundesregierung mit Kriegen und Krisen. Der habe
zu einer «maximalen Ernüchterung» auch von Anhängern progressiver
Ideen geführt, analysiert Fuchs. Die AfD habe hier einfache Antworten
zu bieten. «Populismus ist anschlussfähig - nicht nur bei jungen
Leuten.»

Den Erfolg der Union erklärt Fuchs auch mit der Arbeit von CDU-Chef
Friedrich Merz. Der habe es geschafft, seine Partei zu einen und
jungen Wählern das Gefühl zu vermitteln, dass es auch jenseits der
Ampel-Koalition eine demokratische Alternative gibt.

«Struktureller Rassismus» helfe der AfD

Und dennoch bleibt die Frage: Warum wählt ein Teil der jungen
Menschen dann nicht eher die Union und letztendlich doch die AfD -
eine Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer
Verdachtsfall und in drei Ländern sogar als gesichert rechtsextrem
eingestuft wird? «Junge Menschen sind nicht unbedingt
links-progressiv eingestellt, sondern haben auch teilweise ein
vielleicht antisemitisches, rassistisches Weltbild», sagt Fuchs.
Einigen sei die CDU «zu mittig» und «zu wenig nationalistisch». Die

AfD habe es geschafft, das Potenzial von strukturellem Rassismus in
Deutschland zu heben - dieser sei schon seit 20, 25 Jahren durch
Studien belegt. Das Sylt-Video mit «Ausländer-Raus»-Parolen sei nur
die Spitze des Eisbergs.

Der Erfolg der AfD gehe darüber hinaus nicht allein auf deren
Dauerpräsenz auf Plattformen wie TikTok zurück. Beim Wahlkampf hätten

die anderen Parteien auch große Fehler gemacht. Sie hätten sich an
den rechten Kräften «abgearbeitet» und in der Kommunikation darauf
fokussiert, Rechtsextreme im EU-Parlament zu verhindern. Diese
Strategie sei nicht aufgegangen. Dadurch hätten nicht nur junge
Menschen erst recht die AfD gewählt. «Das ist dann eine Art
Trotzreaktion», die auch durch das immer wieder von der Partei
bediente «Opfernarrativ» verstärkt werde.

Experte: Absturz der Grünen auch durch Regierungsbeteiligung

Die schwerste Niederlage bei den Jüngeren mussten die Grünen
einstecken: 23 Prozentpunkte Verlust seit der letzten Wahl. Nur noch
elf Prozent der Wählerinnen und Wähler zwischen 16 und 24 Jahren
entschieden sich für die Partei, die einst neben der FDP als Magnet
für junge Menschen galt und als Garant für gute Klimaschutzpolitik.

Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas verweist zwar darauf, dass
das Thema Klima in der medialen Wahrnehmung jüngst nicht mehr so
präsent war wie beispielsweise Migration. Eine generelle
«Klima-Müdigkeit» sieht er aber nicht. Die Europawahl habe vor allem

eines gezeigt: «Keine Gruppe hat so heterogen gewählt wie die Gruppe
junger Menschen.» Das zeige sich auch am Zuspruch zu Volt und anderen
Kleinstparteien. In den westdeutschen Groß- und Universitätsstädten
sei Volt mit einer progressiven Agenda verstärkt in die «Lücke
gestoßen, die die Grünen hinterlassen haben», analysiert Faas. Seit
der letzten Wahl 2019 habe die grüne Regierungsbeteiligung bei jungen
Leuten teilweise Enttäuschung hervorgerufen. Debatten wie die um das
«Heizungsgesetz» hätten «extrem polarisiert» und den Grünen
geschadet. 

Luisa Neubauer von Fridays for Future findet «Jugend-Bashing» dagegen
nicht angezeigt. Zwar seien die AfD-Ergebnisse «erschütternd». Viele

junge Menschen hätten sich «trotz Rechtsrucks» aber auch für den
Klimaschutz entschieden, sagt Neubauer der dpa. «Zusammengerechnet
haben Volt und Grüne - die beiden Parteien, die offensiv mit
Klimaschutz Wahlkampf gemacht haben, mehr Prozent von den unter
24-Jährigen bekommen als die AfD.» Und in der Tat: Grüne und Volt
kämen laut Forschungsgruppe Wahlen zusammen auf 20 Prozent.

Rolle des Wahlalters 16

Was die Wahlforscher aus Mannheim indes nicht separat aufgeschlüsselt
haben: das Abschneiden der Erstwähler - also nur das Wahlverhalten
derjenigen, die dieses Mal zum ersten Mal wählen durften. Zur
Erinnerung: Bei dieser Europawahl durften junge Menschen erstmals ab
16 Jahren wählen. Eine separate Auswertung für diese spezifische
Gruppe sei auch ihm nicht bekannt, sagt der Politikexperte Faas. Es
sei aber klar gewesen, dass von der Senkung des Wahlalters nicht nur
jene Parteien profitieren würden, die sich auch dafür eingesetzt
hätten - sprich FDP, SPD, Linke und Grüne. Nun zu sagen «Das war
alles ein Riesenfehler» findet der Experte falsch. Und bei SPD und
Grünen sieht es die Führung trotz aller Stimmenverluste genauso.
Dadurch würde auch die Bedeutung dieser Gruppe überschätzt, sagt
Faas.