AfD kostet Wahlsiege in MV aus - Wahlverlierer auf Ursachensuche Von Iris Leihold und Frank Pfaff, dpa

10.06.2024 18:08

Mit solchen Erfolgen hatte die AfD in MV selbst nicht gerechnet. Sie
bekam bei der Kommunalwahl mehr Stimmen als sie Kandidaten hatte.
Derweil grübeln andere Parteien über die Gründe für ihre Verluste.


Schwerin (dpa/mv) - Jubelstimmung und Wundenlecken: Am Tag nach den
Europa- und Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, die für
erhebliche Verschiebungen im Parteiengefüge im Nordosten sorgten,
konnten die Reaktionen kaum unterschiedlicher ausfallen.
AfD-Landeschef Leif-Erik Holm bezeichnete die Erfolge seiner Partei
als historischen Sieg. SPD-Landesgeneralsekretär Julian Barlen suchte
die Gründe für die Verluste seiner Partei vorrangig im Agieren der
Berliner Ampel. CDU-Landeschef Daniel Peters verwies auf die «große
Unzufriedenheit» der Menschen nicht nur mit der Bundes-, sondern auch
der Landespolitik. Seine CDU nannte er die einzig verbliebene echte
Volkspartei. 

Diese hatte am Tag zuvor ihre Spitzenplätze, die sie seit mehr als 30
Jahren bei Europa- und Kommunalwahlen im Nordosten innehatte, an die
AfD verloren. In manchen Kommunen erhielt die AfD mehr Stimmen als
sie dort überhaupt an Bewerbern aufgestellt hatte, sodass Sitze nun
frei bleiben. Das aber konnte die Freude von AfD-Landeschef Holm kaum
trüben. Die AfD sei nun fest in der kommunalen Ebene verankert,
betonte er. 

Die hohe Zustimmung zu seiner Partei zeige zudem, «dass
Diffamierungs- und Stigmatisierungskampagnen nicht mehr verfangen».
Für Negativschlagzeilen hatten zuletzt unter anderem
Europa-Spitzenpolitiker der AfD gesorgt. Holm rief die anderen
Parteien dazu auf, die Angebote zur Zusammenarbeit in Kreistagen und
Kommunen anzunehmen. «Diese neue Stärke, die wir jetzt auch im Land
kommunal haben werden, wird natürlich auch dazu führen, dass die
Brandmauer immer poröser wird», sagte der AfD-Bundestagsabgeordnete,
der selbst ein Mandat im Schweriner Stadtparlament errang. 

Doch machte Barlen bereits unmissverständlich klar, dass sich seine
Partei weiterhin scharf von der AfD abgrenze und keinem Antrag der
AfD zustimmen und keinen Antrag gemeinsam mit der AfD stellen werde.
CDU-Landeschef Peters verwies auf Unvereinbarkeitsbeschlüsse seiner
Partei, die auch den Kommunalpolitikern bekannt seien. Es sei nun an
den anderen Parteien, auf die CDU zuzugehen, um Gremien zu besetzen
und gemeinsam Kommunalpolitik zu machen. «Ich sage aber auch, wir
lassen uns nicht von SPD, Linken und Grünen treiben, die einfach nur
das Bild der AfD hochhängen und sagen: Jetzt müsst ihr aber auf
unsere Vorschläge eingehen», sagte Peters. 

Mit unverhohlener Freude kommentierte Amid Rabieh, Vizevorsitzender
des Bündnisses Sahra Wagenknecht ( BSW ), die Ergebnisse seiner
Partei in MV. Bei den Europawahlen hatte sie mit 16,4 Prozent die SPD
von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hinter sich gelassen. «Es
ist ein großartiger Erfolg, aus dem Stand drittstärkste Kraft zu
werden», sagte Rabieh. Bis zum Jahresende werde die BSW auch einen
Landesverband in MV haben, kündigte er an.

Der Rostocker Politikwissenschaftler Wolfgang Muno wertete die hohen
Zustimmungswerte insbesondere für die in anderen Bundesländern als
gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD als eindrückliches
Warnsignal für den Bestand der Demokratie. Hinzu komme, dass auch die
Wagenknecht-Partei viele Stimmen gewonnen habe. «Das sind beides
Negativparteien, die eigentlich immer nur alles ablehnen und nichts
Konstruktives vorzuweisen haben», sagte Muno. 

Trotz der hohen Umfragewerte für beide Parteien vor den Wahlen sei
die Deutlichkeit des Wahlsieges der AfD im Nordosten und das
Abschneiden des BSW überraschend groß. Dies gelte für ganz
Ostdeutschland. «Es ist erschreckend, mehr als ein Drittel bis die
Hälfte der Bevölkerung wählt Parteien, die ein problematisches
Verhältnis zur Demokratie haben. Das muss man so deutlich sagen»,
betonte der Professor. Die Wahlergebnisse ließen sich auch nicht mehr
schönreden oder mit Protest und Unmut erklären. «Hier wurden
absichtlich populistische oder sogar eine antidemokratische Partei
wie die AfD gewählt», konstatierte der Politikwissenschaftler. Darin
zeige sich, dass Demokratie zunehmend abgelehnt werde. 

Bei der Europawahl hatte die AfD in Mecklenburg-Vorpommern nach
kräftigen Zugewinnen 28,3 Prozent erreicht. Dahinter folgen die CDU
mit 21,5, das BSW mit 16,4, die SPD mit 10,3 und die Linke mit nur
noch 4,9 Prozent. Die Grünen kamen auf 4,8, die FDP auf 2,6 Prozent.
Die Wahlbeteiligung im Land war mit 65,7 Prozent höher als vor fünf
Jahren, als 58,4 Prozent der knapp 1,4 Millionen Wahlberechtigten ihr
Stimmrecht nutzten. 

Mecklenburg-Vorpommern wird künftig durch zwei Politiker im
EU-Parlament vertreten sein. Neben der Rostockerin Sabrina Repp, die
für die SPD angetreten war, schaffte auch der inzwischen auf Usedom
lebende Mediziner Jan-Peter Warnke den Sprung in das Europaparlament,
wie Landeswahlleiter Christian Boden am Montag in Schwerin
mitteilte. 

Auch bei den Kommunalwahlen lag die AfD mit 25,6 Prozent an der
Spitze. Bei leichten Verlusten landete die CDU mit nun 24 Prozent auf
Rang zwei. Auch die SPD verlor und erreichte 12,7 Prozent. Für die
Linke halbierte sich das Wahlergebnis gegenüber 2019 auf nur noch 8,8
Prozent. Dahinter lagen der BSW mit 6,1, die Grünen mit 5,5 und die
FDP mit 2,8 Prozent.