Turnierdirektor Lahm: Organisator und «moderne Leitfigur» Von Jan Mies, Sabrina Szameitat und Jana Glose, dpa

11.06.2024 12:39

Philipp Lahm ist als Turnierdirektor mit einem Team
hauptverantwortlich für die Organisation der EM. Der Vergleich des
Weltmeisters von 2014 mit Franz Beckenbauer drängt sich auf. Aber
passt er auch?

Berlin (dpa) - Philipp Lahm hat in seiner langen Karriere nie die
Rote Karte gesehen. Das liegt in erster Linie daran, dass der
Weltmeister von 2014 ein überragender Abwehrspieler war. Über ein
Jahrzehnt lang führte in der Nationalmannschaft und beim FC Bayern
kaum ein Weg am heute 40-Jährigen vorbei, weder für Gegner noch für
Herausforderer im eigenen Team. Lahm profitierte aber schon als Profi
insbesondere auch von jenen Fähigkeiten, die für einen
Fußball-Funktionär umso wichtiger sind: Weitblick, Intuition - und
Timing.

Wer eine Karriere nach der Sportlerkarriere am Reißbrett entwerfen
wollte, der könnte die des Turnierdirektors der am Freitag
beginnenden Heim-EM als Vorbild nehmen. Im Sommer 2017 beendete Lahm
seine Laufbahn als Profi. Im Herbst 2018 war er als
Bewerbungsbotschafter mindestens mitverantwortlich für den Zuschlag
bei der EM-Vergabe in der Schweiz. Im Dezember 2020 folgte die
Vorstellung als Turnierdirektor.

Lahm vermittelt EM-Botschaften

Lahm steht der EURO 2024 GmbH vor, dem sogenannten Joint Venture des
Deutschen Fußball-Bundes und der Europäischen Fußball-Union.
Geschäftsführer sind Andreas Schär und Markus Stenger. Bei
öffentlichen Terminen rund um das Turnier ist es Lahm, der Visionen
und Botschaften der Organisatoren vermittelt. Eine Aufgabe, die ihn
längst auch in die höchsten Kreise der Politik geführt hat. Gut eine

Woche vor dem Auftaktspiel war eine EM-Delegation zum Gespräch mit
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin.

Jetzt, kurz vor dem Anpfiff des Eröffnungsspiels der deutschen
Mannschaft gegen Schottland, verspüre er eine «riesengroße»
Vorfreude, sagte Lahm am Montag in Neuss. Die offizielle Eröffnung
des «International Police Cooperation Center» (IPCC) war ein
Pflichttermin für den Turnierdirektor, der in diesen Zeiten Antworten
auf ganz andere Fragen finden muss als einst Franz Beckenbauer als in
Leichtigkeit strahlender Organisationschef der Heim-WM 2006. 

Lahm muss ein Sportgroßereignis inmitten größter Krisen moderieren.
Er entschied sich frühzeitig, das Hoffnungsvolle, die Aussicht, dass
die EM helfen könne, in den Vordergrund zu rücken. «Dass wir super
Spiele sehen, ist, glaube ich, selbstverständlich. Die besten
Mannschaften in Europa haben sich qualifiziert», sagte Lahm am Montag
und betonte dann: «Wichtig ist, dass wir alle gemeinsam feiern und
uns besser kennenlernen.» Passend wählten die EM-Organisatoren
frühzeitig das Motto: «United by Football. Vereint im Herzen
Europas.»

Cheforganisator als «moderne Leitfigur»

Lahm, die «moderne Leitfigur», schrieb am Montag die Deutsche Fußball

Liga in der Überschrift eines Porträts über den 40-Jährigen. Dass e
r
nicht wie Beckenbauer öffentlichkeitswirksam mit dem Helikopter von
Spielort zu Spielort fliegen wird, erzählte Lahm im Gespräch der
Deutschen Presse-Agentur fast beiläufig: «Zeiten ändern sich eben,
und daran muss sich jeder anpassen.» Lahm wird - im Sinne der
Nachhaltigkeitsstrategie - mit dem Zug reisen.

Der Besuch aller zehn Ausrichterstädte in der Vorrunde sei für ihn
enorm wichtig, sagte der 40-Jährige, der sich knapp sechs Jahre nach
dem Zuschlag verständlicherweise «unheimlich» darauf freue, «wenn
endlich der Ball rollt».

Dass die EM-Stimmung im Land ab Freitag aber nicht mehr nur von der
Organisation und Sicherheit, sondern auch maßgeblich von den
aktuellen Nationalspielern abhängt, weiß der Turnierdirektor aus
eigener Erfahrung. 2006 beflügelte Lahm mit dem ersten deutschen
Turniertor, im Rückblick führt er auch die erfolgreiche WM 2010 in
Südafrika an. 

«Die Mannschaft ist jung aufgetreten, mit Euphorie aufgetreten»,
sagte Lahm über das Turnier, das Deutschland auf Platz drei
abgeschlossen hatte, und schickte die Forderung hinterher: «Und genau
das muss wieder von der Mannschaft kommen. Das ist ihre
Verantwortung, die Begeisterung auf das Feld zu bringen.» Gelingt
dies, ist Lahm davon überzeugt, «dass wir alle ein großes Fest im
Sommer sehen werden.»