Verfahren wegen Schulden: Erste Schritte der EU-Kommission erwartet
19.06.2024 05:00
Verfahren wegen zu hoher Neuverschuldung waren zuletzt krisenbedingt
ausgesetzt, auch vorher kam es quasi nie zur äußersten Konsequenz.
Nun kann es neue Verfahren geben, auch gegen ein großes EU-Land.
Brüssel (dpa) - Die Europäische Kommission dürfte an diesem Mittwoch
erste Schritte für neue Strafverfahren gegen Frankreich, Italien und
weitere EU-Staaten wegen zu hoher Neuverschuldung unternehmen. Wie
aus ihrer Mitte Mai veröffentlichten Frühjahrsprognose hervorgeht,
rechnet die Brüsseler Behörde damit, dass mehrere EU-Länder in diesem
Jahr ihre selbst auferlegten Regeln für Haushaltsdefizite und
Staatsschulden brechen werden.
Wer die Obergrenzen übertritt, riskiert ein Strafverfahren. Diese
sogenannten Defizitverfahren waren wegen der Corona-Krise sowie der
Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine zuletzt ausgesetzt.
Wird ein Verfahren eingeleitet, muss ein Land Maßnahmen einleiten, um
Verschuldung und Defizit zu senken. Damit soll vor allem die
Stabilität der Eurozone gesichert werden. Ziel des Defizitverfahrens
ist es, Staaten zu solider Haushaltsführung zu bringen.
Auch Deutschland verstieß schon gegen Defizitgrenze
Die EU-Schuldenregeln wurden jüngst nach jahrelanger Debatte
reformiert. Grundsätzlich gilt weiterhin, dass der Schuldenstand
eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht
überschreiten darf. Gleichzeitig muss das gesamtstaatliche
Finanzierungsdefizit - also die vor allem durch Kredite zu deckende
Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen
Haushalts - unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
gehalten werden.
An der Regel gibt es allerdings auch immer wieder Kritik. Während der
Finanzkrise in den 2000er Jahren verstießen rund 20 Staaten gegen
sie, auch Deutschland hielt sich nicht immer an die Vorgaben.
Theoretisch sind bei anhaltenden Verstößen auch Strafen in
Milliardenhöhe möglich. In der Praxis wurden diese aber noch nie
verhängt.
Im laufenden Jahr wird die Defizitgrenze der Kommissionsprognose
zufolge von Frankreich (-5,3) und Italien (-4,4) gebrochen. Auch
Österreich, Belgien, Finnland, Estland, Ungarn, Malta, Polen,
Rumänien und die Slowakei haben demnach ein den Regeln zufolge zu
hohes Defizit. Spanien liegt genau bei drei Prozent.
Einleiten des Verfahrens zum Teil politische Entscheidung
Um für solide Finanzen zu sorgen, muss jedes Land gemeinsam mit der
für die Aufsicht zuständigen EU-Kommission einen vierjährigen
Haushaltsplan aufstellen. Unter bestimmten Bedingungen, etwa wenn ein
Land sich zu wachstumsfördernden Reformen und Investitionen
verpflichtet, kann der Plan auf sieben Jahre ausgeweitet werden. Auch
kann die EU-Kommission übergangsweise bei der Berechnung der
Anpassungsanstrengungen den Anstieg der Zinszahlungen
berücksichtigen.
Gegen welches Land ein Defizitverfahren eingeleitet wird, ist teils
auch eine politische Entscheidung. So wurden in der Vergangenheit
beispielsweise Frankreich und Deutschland, die Motoren der
Staatengemeinschaft, teils zunächst geschont - zulasten der
Glaubwürdigkeit des Regelwerks.
Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber bat die EU-Kommission, die
Regeln des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts gewissenhaft
anzuwenden: «Auch wenn dies politisch schwierig sein mag und bei
einigen Mitgliedstaaten auf Widerstand stoßen könnte», schrieb Ferber
vergangene Woche in einem Brief an EU-Wirtschaftskommissar Paolo
Gentiloni. Es wäre äußerst bedauerlich, wenn das Vertrauen in die
reformierten Regeln untergraben würde, so Ferber.