Deutsche Wirtschaft: Keine Brexit-Lockerung nach Wahl

03.07.2024 04:49

Die Konservativen stehen in Großbritannien vor dem Aus. Ein Grund für
die Unzufriedenheit ist der Umgang mit dem Brexit. Würde eine
sozialdemokratische Regierung die Uhr zurückdrehen?

London (dpa) - Nach dem zu erwartenden Sieg der Labour-Partei bei der
Parlamentswahl in Großbritannien hofft die deutsch-britische
Wirtschaft auf eine Annäherung und Erleichterungen im bilateralen
Handel. Mit einer Rückkehr des Vereinigten Königreichs in den
EU-Binnenmarkt und die Zollunion rechnen die Experten aber nicht. 

«Stattdessen erscheint es wahrscheinlicher, dass eine
Labour-Regierung darauf abzielt, die bestehenden Beziehungen zu
verbessern und die wirtschaftlichen Verbindungen zu stärken, ohne die
grundlegenden Entscheidungen des Brexits rückgängig zu machen», sagte

York-Alexander von Massenbach von der Britischen Handelskammer in
Deutschland (BCCG) der Deutschen Presse-Agentur. Er verwies darauf,
dass Labour-Chef Keir Starmer, der wahrscheinlich neue
Premierminister, stets betont habe, das Brexit-Referendum zu
respektieren und keinen Wiedereintritt in die EU anzustreben.

Das Vereinigte Königreich wählt am Donnerstag ein neues Parlament.
Umfragen zufolge steuert Labour auf eine deutliche Mehrheit zu.
Großbritannien war Ende Januar 2020 aus der EU ausgetreten und ist
seit 2021 auch nicht mehr Mitglied in Zollunion und Binnenmarkt.
Trotz eines Freihandelsabkommens kommt es seitdem immer wieder zu
Problemen im Warenaustausch.

Kleine Schritte, kein großer Wurf

Der Chef der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in
London, Ulrich Hoppe, erwartet eine Einigung bei Regeln zum Handel
mit phytosanitären Produkten, also Waren tierischen Ursprungs. «Das
ist ein kleiner Schritt, der politisch wichtig ist», sagte Hoppe der
dpa. Auch bei chemischen Erzeugnissen könnte sich die neue
Regulierung wieder am europäischen Regulierungsrahmen orientieren.
«Aber den großen Wurf für eine richtig starke Annäherung sehe ich d
ie
nächsten Jahre nicht kommen.»

Die Vereinigung German Industry UK (GIUK) hofft auf weniger
Bürokratie. «Der Abbau von Formularen beim Ex- und Import, bei der
Einstellung von Mitarbeitern aus der EU und die Anerkennung von
EU-Qualifikationen wären notwendige Maßnahmen im Rahmen einer engeren
Kooperation mit der EU», sagte der GIUK-Vorsitzende Bernd Atenstaedt.

Labour ist zu zögerlich

BCCG-Vorstand von Massenbach hält kurzfristig eine verstärkte
sicherheitspolitische Kooperation und Erleichterungen bei der
Arbeitserlaubnis für junge Menschen am wahrscheinlichsten. Ein
Ansatzpunkt ist aus seiner Sicht die 2026 anstehende Überarbeitung
des Freihandelsabkommens, das noch Lücken aufweise. «So fehlt es
unverändert weitgehend an Regelungen für den gerade für
Großbritannien so wichtigen Dienstleistungssektor», sagte der Partner
der Wirtschaftskanzlei GSK Stockmann. «Ein neuer gemeinsamer Handels-
und Technologierat, ähnlich dem zwischen der EU und den USA sowie der
EU und Indien, könnte die Umsetzung dieses Abkommens unterstützen.»

AHK-Chef Hoppe ist skeptischer. Eine britische Rückkehr ins
Erasmus-Programm oder Visumserleichterungen seien zwar wünschenswert.
Aber zum einen müsse sich die neue EU-Kommission noch finden. Zum
anderen sei Labour zu ängstlich, umgehend große Änderungen
durchzubringen, sagte Hoppe. «Die EU will ein Stück mehr
Freizügigkeit haben. Das kann eine zukünftige Labour-Regierung nicht
zusagen angesichts der hohen Einwanderungszahlen. Das ist politisch
zu schwierig.»