Orban provoziert EU-Partner mit Reise zu Putin Von Kathrin Lauer, André Ballin und Ansgar Haase, dpa

05.07.2024 17:33

Gespräche mit Russlands Präsident Wladimir Putin sind derzeit eine
heikle Angelegenheit. Ungarns Regierungschef Viktor Orban scheint das
allerdings nicht zu stören - im Gegenteil.

Moskau (dpa) - Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat mit
einem nicht abgesprochen Besuch bei Russlands Präsident Wladimir
Putin Empörung von EU- und Nato-Partnern provoziert. Spitzenpolitiker
kritisierten die Reise als «unverantwortlich» und schädlich für die

Bemühungen um einen für die Ukraine akzeptablen Frieden - vor allem
auch, weil Ungarn erst am vergangenen Montag den alle sechs Monate
wechselnden Vorsitz im EU-Ministerrat übernommen hat. Kritik kam auch
aus der Ukraine. 

EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen machte deutlich, dass
sie den Alleingang Orbans als Gefahr für die Glaubwürdigkeit der
Europäischen Union ansieht. «Nur Einigkeit und Entschlossenheit
werden den Weg zu einem umfassenden, gerechten und dauerhaften
Frieden in der Ukraine ebnen», kommentierte sie.
«Beschwichtigungspolitik wird Putin nicht aufhalten.»

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Bundeskanzler Olaf Scholz
reagierten hingegen vergleichsweise zurückhaltend. Scholz stellte
lediglich klar, dass Orban als Ministerpräsident Ungarns zu Putin
reiste und nicht als außenpolitischer Vertreter der EU.

Stoltenberg erklärte in Brüssel, Ungarn habe das Bündnis über die
Reise im Vorfeld informiert. Er betonte, wichtig sei, dass sich alle
einig seien, dass Russland im Konflikt mit der Ukraine der Aggressor
sei und die territoriale Integrität und Souveränität respektiert
werden müsse. Orban vertrete bei Treffen mit Putin auch nicht die
Nato. Es sei zudem klar, dass nur die Ukraine entscheiden könne, was
für sie akzeptable Bedingungen für Friedensverhandlungen seien.

Der Kremlchef stichelt

Putin nutzte die Situation am Freitag dennoch umgehend aus. Er
begrüßte Orban mit den Worten: «Ich verstehe, dass Sie diesmal nicht

nur als unser langjähriger Partner, sondern auch als amtierender
Ratspräsident der EU hierherkommen.»

Auf einem von Orban auf der Plattform X geteilten Foto war auch ein
Logo der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns eingeblendet. Direkt dazu
äußerte er sich jedoch nicht. Hingegen rühmte er in Moskau seine
angestrebte Rolle eines Vermittlers im Ukraine-Konflikt. «Langsam
werden die Länder weniger, die mit beiden kriegsbeteiligten Seiten
sprechen können, so langsam ist Ungarn das einzige Land in Europa,
das mit jedem sprechen kann», sagte er. 

Vorher hatte er bei X seine beabsichtigte Friedensmission definiert.
«Auch wenn die rotierende EU-Ratspräsidentschaft kein Mandat hat, im
Namen der EU zu verhandeln, können wir uns nicht zurücklehnen und
darauf warten, dass der Krieg auf wundersame Weise endet», schrieb
er. «Wir werden ein wichtiges Instrument sein, um die ersten Schritte
in Richtung Frieden zu machen.» Polens Regierungschef Donald Tusk
kommentierte dazu: «Die Frage ist, in wessen Händen sich dieses
Instrument befindet.» 

Orbans Besuch nützt Putin

Putin kommt der Besuch Orbans sehr gelegen, um zu zeigen, dass er
trotz seines Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht isoliert ist. 

Zugleich bietet ihm die Visite die Chance die Zerstrittenheit des
Westens zu zeigen. Dabei gab der Kremlchef zu verstehen, dass er kaum
von seinen Vorstellungen für eine Aufteilung der Ukraine abweichen
werde. Seine Vorschläge für einen «Frieden» habe er jüngst bei ei
ner
Rede im eigenen Außenministerium klar dargelegt, Orban seien diese
sicher bekannt, sagte er unter beifälligem Kopfnicken seines Gastes.

Dabei hatte Putin als Voraussetzung für Friedensverhandlungen einen
Rückzug der Kiewer Truppen aus allen vier von Moskau beanspruchten
Regionen im Osten und Südosten der Ukraine genannt. Später hatte er
zudem die Möglichkeit einer Feuerpause vor der Aufnahme von
Verhandlungen verneint.

Kiew ist verärgert

Auch das ukrainische Außenministerium kritisierte Orbans Reise nach
Moskau. «Wir erinnern daran, dass der Grundsatz «keine Abkommen über

die Ukraine ohne die Ukraine» für unser Land unantastbar bleibt und
rufen alle Staaten dazu auf, sich strikt daran zu halten», schrieb
die Behörde in Kiew. Die Reise sei ohne Zustimmung Kiews erfolgt und
mit der ukrainischen Seite auch nicht abgestimmt worden.

Erst am Dienstag hatte Orban Kiew besucht - das erste Mal seit
Kriegsbeginn. Dort forderte er Selenskyj auf, eine Feuerpause in
Erwägung zu ziehen, um Verhandlungen zu ermöglichen. Die Beziehungen
zwischen Kiew und Budapest gelten als angespannt, weil Orban mehrfach
Hilfen für die Ukraine verzögert hat und Sanktionen gegen Russland zu
verhindern suchte. Öffentlich ließ Selenskyj Orbans Vorschlag
unbeantwortet. Kiew lehnt bisher offiziell eine Waffenruhe vor dem
Abzug russischer Truppen ab.

Wirklich überraschen konnte Orbans Reise zu Putin allerdings
niemanden. Der Ungar vertritt seit langem den Standpunkt, dass der
politische Kurs von EU und Nato zu einer Ausweitung des Krieges über
die Ukraine hinaus führen könnte. Zuletzt handelte er beispielsweise
in der Nato aus, dass sich Ungarn weder finanziell noch mit Personal
an einem geplanten Nato-Einsatz zur Koordinierung von
Waffenlieferungen für die Ukraine beteiligen muss.