Wissing warnt vor Stilllegung von Millionen Dieselfahrzeugen
01.08.2024 18:30
Der Bundesverkehrsminister schreibt einen Brandbrief an die
EU-Kommission. Ihm zufolge könnten viele Dieselautos möglicherweise
aus dem Verkehr gezogen werden. Was sagt die Brüsseler Behörde?
Berlin (dpa) - Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) warnt die
EU-Kommission vor einer Stilllegung von Millionen Dieselfahrzeugen.
Hintergrund ist eine mögliche neue Auslegung bei der Einhaltung von
Schadstoffgrenzwerten. Dazu läuft ein Verfahren vor dem Europäischen
Gerichtshof (EuGH). Wissing fordert in einem der Deutschen
Presse-Agentur vorliegenden Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen Klarstellung.
Zuerst hatte die «Bild»-Zeitung darüber berichtet. Wissing sagte der
Zeitung, die EU-Kommission müsse jetzt schnell handeln. «Ich bin in
großer Sorge.»
Die Europäische Kommission verfolge dieses laufende Verfahren beim
Europäischen Gerichtshof, sagte eine Sprecherin zu Wissings Brief.
«Die Kommission wird sich immer für Lösungen einsetzen, die zu einer
gesunden sauberen Luft beitragen und zugleich umsetzbar sind und das
Vertrauen der europäischen Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen
schützen.»
Verfahren vor Gericht
In dem Schreiben an von der Leyen verweist Wissing auf ein Verfahren
vor dem EuGH zu einem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen des
Landgerichts Duisburg. Dabei gehe es auch um die Einhaltung von
Schadstoffgrenzwerten bei Euro 5-Dieselfahrzeugen. Euro 5 ist eine
Abgasnorm.
Nach EU-Recht müssten die Schadstoffwerte unter bestimmten
Bedingungen (sogenannte NEFZ-Prüfung) eingehalten werden. Das
passiert in Testzentren.
Für die Genehmigung von neuen Fahrzeugtypen ab der Norm «Euro 6d
temp» gilt seit September 2017 das sogenannte RDE-Verfahren - mit dem
zusätzlich auch bestimmte Bedingungen aus dem wahren Alltag mit dem
Auto nachgestellt werden können.
Neue Vorgaben?
In dem Gerichtsverfahren hat die EU-Kommission nun laut Wissing die
Auffassung vertreten, dass die Schadstoffgrenzwerte auch außerhalb
der «Betriebs- und Umgebungsbedingungen» des NEZF-Verfahrens und zwar
für jede Fahrsituation gelten würden.
Das würde bedeuten, dass die Grenzwerte auch bei sogenannten
«Vollastfahrten» mit Steigung einzuhalten wären - und das bedeutet:
wenn ein Auto voll geladen bergauf fährt und der Motor seine maximal
mögliche Leistung erreicht und dabei vergleichsweise mehr Schadstoffe
ausstößt.
Wissing warnt vor Folgen
«Dies ist nach derzeitigem Stand der Technik nicht umsetzbar und
würde damit die in Verkehr befindlichen Fahrzeuge eine nicht
realisierbare nachträgliche Anforderung darstellen», so Wissing in
dem Schreiben.
Sämtliche Euro 5-Genehmigungen würden infrage gestellt.
Ausgeschlossen seien auch nicht Konsequenzen für Fahrzeuge nach der
Abgasnorm Euro 6.
«Millionen von Fahrzeugen droht damit die Außerbetriebsetzung», so
Wissing. Allein in Deutschland wären 4,3 Millionen Euro 5- und
gegebenenfalls 3,9 Millionen Euro 6-Dieselfahrzeuge betroffen.
Nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts waren Anfang 2024 in
Deutschland rund 49 Millionen Pkw in Betrieb.
Eine Lösung könnte laut Wissing darin bestehen, in den fraglichen
Vorschriften noch vor der EuGH-Entscheidung eine Klarstellung
vorzunehmen.
Auch ADAC und Autoindustrie fordern Klarstellung
Der ADAC hält eine Klarstellung für absolut dringlich, um Verbraucher
nicht weiter zu verunsichern, wie eine Sprecherin sagte. Die
betroffenen Fahrzeuge seien ordnungsgemäß zugelassen worden.
«Änderungen im Messverfahren bei der Typgenehmigung eines Kfz zu
einem späteren Zeitpunkt können nach Auffassung von ADAC Juristen
nicht rückwirkend Anwendung finden.» Eine Betriebsuntersagung sei vor
diesem Hintergrund «abwegig».
Auch die Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie
(VDA), Hildegard Müller, forderte von der Bundesregierung und der
EU-Kommission eine rasche Klarstellung über die Zulassung von älteren
Dieselfahrzeugen. Müller sagte der Düsseldorfer «Rheinischen Post»
(Freitag), die EU-Kommission müsse die Zulassung durch eine
rechtliche Klarstellung absichern. «Rückwirkende Anwendungen neuer
Verfahren und Maßstäbe wären ohnehin ein Verstoß gegen den Grundsat
z
des Rückwirkungsverbots und das Rechtsstaatsprinzip im EU- und
deutschem Verfassungsrecht.»