Dutzende Tote bei Angriff auf Schulgebäude in Gaza Von Emad Drimly, Johannes Sadek und Gregor Mayer, dpa

10.08.2024 15:53

Das Leiden der Palästinenser im Gazastreifen nimmt kein Ende. Ein
neuerliches israelisches Bombardement bringt Tod und Zerstörung.
«Kollateralschaden» - oder «Verbrechen in großem Maßstab»?

Gaza (dpa) - Bei einem verheerenden israelischen Luftangriff auf ein
Schulgebäude in der Stadt Gaza sind nach palästinensischen Angaben
Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Ein Sprecher des von der Hamas
kontrollierten palästinensischen Zivilschutzes sprach von mindestens
93 Toten in dem als Flüchtlingsunterkunft genutzten Gebäude. Das
israelische Militär bestätigte den Angriff, der einer
Kommandozentrale der Hamas galt, die sich in dem angegriffenen Objekt
befunden habe. Die Luftwaffe habe kleinkalibrige Raketen verwendet,
weshalb die Opferzahl gar nicht so hoch sein könne, teilte die Armee
mit. Die Angaben keiner der Seiten ließen sich unabhängig
bestätigen. 

Der Angriff sei in den frühen Morgenstunden erfolgt, als viele ihr
Morgengebet verrichteten. Die Männer hätten sich im Erdgeschoss, die
Frauen und Kinder im Obergeschoss der Al-Tabain-Schule im Zentrum der
Stadt Gaza befunden. Augenzeugen berichteten von schrecklichen
Szenen. Der Geruch von verbranntem Fleisch habe die Luft erfüllt,
Leichenteile seien weit verstreut gewesen, sagte ein Mann aus der
Nachbarschaft, der nach der Detonation zum Schauplatz geeilt war. Ihm
seien die Tränen gekommen, führte er weiter aus. Eine Frau, die den
Angriff im Obergeschoss überlebte, gab an, zehn Verwandte verloren zu
haben, unter ihnen den Vater, zwei Söhne und ihre Brüder.

Krankenhäuser können Verletzten kaum mehr helfen

Palästinensische medizinische und Sicherheitskreise gingen von mehr
als 100 Toten und weiteren Dutzenden Verletzten aus. Der Sprecher des
Zivilschutzes wies darauf hin, dass noch viele Menschen sterben
würden, weil die Krankenhäuser im Gazastreifen kaum mehr imstande
seien, Schwerverletzten entsprechend zu helfen. Das israelische
Militär erklärte, dass die Hamas im Gebetsraum der Al-Tabain-Schule
im Zentrum der Stadt Gaza eine Kommandozentrale eingerichtet habe.
Dort sollen sich diesen Angaben zufolge zum Zeitpunkt des Angriffs
mindestens 20 Hamas-Kämpfer aufgehalten haben. Die islamistische
Organisation bestritt dies. Die Opfer seien Zivilisten gewesen,
behauptete sie in einer Mitteilung. 

Vermittler-Staaten verurteilten den Angriff

Der folgenschwere Angriff rief in der Region Empörung hervor. Ägypten
und Katar - zwei arabische Länder, die bei den indirekten
Waffenruhe-Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas vermitteln -
verurteilten das «Massaker». Es handle sich um eine «Fortsetzung von

Verbrechen in großem Maßstab», bei denen «gewaltige Zahlen
unbewaffneter Zivilisten» getötet würden, teilte das Außenministeri
um
in Kairo mit. Der Angriff sei ein «klarer Beweis» dafür, dass es auf

israelischer Seite keinen Willen gebe, den brutalen Krieg im
Gazastreifen zu beenden. 

Das katarische Außenministerium sprach in einer Erklärung, die die
staatliche Nachrichtenagentur QNA verbreitete, von einem «brutalen
Verbrechen an schutzlosen Zivilisten». Katar fordere eine dringende
internationale Untersuchung des Vorfalls. 

Borrel: «Keine Rechtfertigung für diese Massaker»

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich entsetzt über den
Angriff. «Mindestens zehn Schulen wurden in den vergangenen Wochen
ins Visier genommen. Es gibt keine Rechtfertigung für diese
Massaker», schrieb Borrell auf der Plattform X. «Wir sind bestürzt
über die schreckliche Gesamtzahl der Opfer.» Ein Waffenstillstand sei
der einzige Weg, das Töten von Zivilisten zu beenden und die
Freilassung der Geiseln sicherzustellen, mahnte er. 

Israel: Hamas missbraucht Zivilisten als lebende Schutzschilde

In dem seit zehn Monaten tobenden Krieg in dem abgeriegelten
Küstengebiet kommen immer wieder viele Zivilisten bei israelischen
Angriffen ums Leben. Israels Ziel in dem Krieg ist es, die Hamas zu
zerstören. Dass auch immer wieder Zivilisten unter den Opfern sind,
erklärt Israel damit, dass sich Terroristen der Hamas in Schulen und
Krankenhäusern verschanzten und Zivilisten als lebende Schutzschilde
missbrauchten. Zivile Opfer seien bedauerliche «Kollateralschäden»
legitimer militärischer Handlungen, so die Erklärung. 

Diese - sowie gegenteilige - Darstellungen lassen sich im Einzelfall
kaum verifizieren. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag prüft
derzeit eine Klage Südafrikas, die auf die Feststellung abzielt,
Israel würde im Gaza-Krieg einen Genozid an den Palästinensern
begehen. Israel bestreitet das vehement. Der Generalkommissar des
UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, verurteilte den
jüngsten israelischen Angriff. Schulen - ähnlich wie andere zivile
Einrichtungen - dürften niemals ein Ziel für die Konfliktparteien
sein und auch nicht für militärische Zwecke genutzt werden. 

Waffenruhe als Schlüssel

Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als
1.200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen im
vergangenen Oktober in Israel verübt hatten. Nach Angaben der von der
Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde vom Samstag wurden seit
Kriegsbeginn 39.790 Menschen im Gazastreifen getötet und weitere
91.702 verletzt. Die Zahlen unterscheiden nicht zwischen Zivilisten
und Kämpfern und lassen sich nicht unabhängig verifizieren.

Eine Waffenruhe im Gaza-Krieg gilt als Schlüssel, um die Lage im
Nahen Osten zu entschärfen. USA, Katar und Ägypten haben beide Seiten
in einer gemeinsamen Erklärung mit energischen Worten zu einem
Abkommen gedrängt.