Von der Leyen droht Scheitern bei Ziel für Frauenquote Von Ansgar Haase, dpa

30.08.2024 16:29

Ursula von der Leyen will in ihrem neuen Team eigentlich nicht
weniger Frauen als Männer haben. Die entscheidenden Regierungen der
Mitgliedstaaten spielen allerdings nicht mit.

Brüssel (dpa) - EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht
wegen mangelnder Kooperation von Mitgliedstaaten ein Scheitern ihrer
Pläne für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in ihrem neuen
Führungsteam. Kurz vor Ablauf der Nominierungsfrist hatten nach
Recherchen der Deutschen Presse-Agentur am Freitag deutlich mehr als
die Hälfte der Regierungen lediglich einen männlichen Kandidaten für

das Kollegium der Kommissare vorgeschlagen. Dieses soll wie bisher
aus 27 Mitgliedern bestehen, wobei jeder Mitgliedstaat ein
Kommissionsmitglied benennen darf und von der Leyen und die bereits
nominierte Außenbeauftragte Kaja Kallas mitgezählt werden.

Wenn sich an den Nominierungen nicht mehr viel ändert, könnte das
neue Kollegium am Ende zu rund zwei Dritteln aus Männern bestehen.
Derzeit sind immerhin 12 der 27 Kommissionsmitglieder weiblich. Der
Führung der EU-Kommission sind rund 32.000 Mitarbeiter unterstellt,
die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die
Wahrung der Europäischen Verträge überwachen.

Hauptstädte ignorieren Wunsch der Deutschen

Die im Juli wiedergewählte Präsidentin von der Leyen hatte die
Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten darum gebeten, sowohl
einen Mann als auch eine Frau zu nominieren, um ein ausgeglichenes
Geschlechtergleichgewicht in der Kommission zu ermöglichen.
Ausgenommen von dieser Bitte waren eigentlich nur diejenigen
Regierungen, die einen derzeit amtierenden Kommissar erneut
nominieren.

Dies haben beispielsweise Frankreich, Ungarn und Lettland gemacht. So
schickt Paris den derzeitigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton ins
Rennen, Ungarn Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi und Lettland den
derzeit für Handelsfragen zuständigen Valdis Dombrovskis.

Etliche andere Staaten ignorierten die Bitte von der Leyens einfach
und erklärten dies beispielsweise mit ihren Nominierungen in der
Vergangenheit. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen
argumentierte, man müsse sich nicht dafür schämen, keine Frau
nominiert zu haben. Dänemark sei viele Jahre lang von Margrethe
Vestager in der Kommission vertreten worden.

Am Freitag kündigte kurz vor Fristablauf auch noch Italien an, mit
Europaminister Raffaele Fitto einen Mann ausgewählt zu haben. Unklar
war damit nur noch die Nominierung Belgiens. Einen öffentlichen
Vorschlag für einen Mann und eine Frau machte lediglich Bulgarien.
Das Land teilte am Freitag mit, Ex-Außenministerin Ekaterina
Sachariewa und Ex-Umweltminister Julian Popow zu nominieren.

Geschlechtergleichgewicht kann nicht eingeklagt werden

Für von der Leyen ist das Verhalten der Mitgliedstaaten ärgerlich,
ihr sind aber letztlich die Hände gebunden. Grund ist, dass die
Regierungen rechtlich nicht verpflichtet sind, ihrer Aufforderung
Folge zu leisten, sowohl einen Mann als auch eine Frau zu nominieren.
Im EU-Vertrag ist lediglich festgehalten, dass in der Kommission
«das demografische und geografische Spektrum der Gesamtheit der
Mitgliedstaaten» zum Ausdruck kommen soll. Von Geschlechterparität
ist explizit nicht die Rede.

Die Auswahl von Kommissarinnen und Kommissaren für die neue
EU-Kommission ist der letzte große Schritt zur Neubesetzung von
politischen Spitzenpositionen nach der Europawahl im Juni. Von der
Leyen selbst war bereits kurz danach von den Staats- und
Regierungschef der EU-Staaten für eine zweite Amtszeit als
Präsidentin der mächtigen Behörde nominiert und vom Europaparlament
gewählt worden. Sie muss nun die Nominierungen der Regierungen für
die Kommissarsposten entgegennehmen und dann eine Aufgabenverteilung
vornehmen. 

Theoretisch kann sie so auch noch Druck auf Mitgliedstaaten ausüben,
doch noch eine Frau zu nominieren. Denn auch wenn die
Kommissionsmitglieder ihre Aufgaben unabhängig von der Politik ihrer
Heimatländer ausüben müssen, haben Regierungen in der Regel ein
Interesse daran, mit ihrem Kandidaten ein wichtiges Ressort zu
besetzen. Als besonders einflussreich gelten etwa die für Finanzen,
Wirtschaft und Wettbewerb zuständigen Kommissionsvertreter.

Mögliche Angebote an Mitgliedstaaten

Die Zeitung «Times of Malta» berichtete so diese Woche, dass von der
Leyen Malta vorgeschlagen habe, statt dem früheren Bürochef des
Regierungschefs die aktuelle maltesische Kommissarin Helena Dalli
erneut zu nominieren. Im Gegenzug könnte diese ein attraktiveres
Ressort bekommen, als es Glenn Micallef bekommen würde.

Von der Leyen selbst will sich zu Details des laufenden
Auswahlverfahrens vorerst nicht äußern. Ihre Sprecher lassen
lediglich wissen, dass die frühere deutsche Verteidigungsministerin
mit den nominierten Personen Gespräche führe und den Auserwählten
dann vermutlich bis zum 11. September Aufgabenbereiche zuordnen
werde. Erstmals soll es beispielsweise auch Kommissare für Themen wie
Verteidigung und Wohnen geben.

Droht ein Reputationsschaden?

Der italienische EU-Recht-Experte Alberto Alemanno warnte zuletzt,
dass ein von Männern dominiertes Kollegium eine Schwächung der
Autorität der Präsidentin der EU-Kommission bedeuten würde. Er rief
von der Leyen auf, den nationalen Hauptstädten ihre Unzufriedenheit
deutlich zu machen und sie zu bitten, schnellstmöglich eine neue
Kandidatenliste aufzustellen, um ihren eigenen Reputationsschaden und
den der gesamten EU zu begrenzen.

Nach Einschätzung des Professors könnte es sonst auch dazu kommen,
dass schwache männliche Kommissarsanwärter im Europäischen Parlament

nicht die notwendige Zustimmung bekommen. Das hätte zur Folge, dass
die Regierungen, die sie nominiert haben, einen neuen Kandidaten oder
eine neue Kandidatin benennen müssten. Der Beginn der Amtszeit der
neuen Kommission könnte sich dann in einer geopolitischen wichtigen
Zeit hinauszögern. Eigentlich soll das neue Team von Ursula von der
Leyen zum 1. November seine Arbeit aufnehmen - also kurz vor der
Präsidentschaftswahl in den USA.