EU-Ministertreffen in Ungarn: Nur ein Drittel reist an Von Katharina Redanz, dpa

13.09.2024 13:22

Im Juli übernahm Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft - und sorgt
seitdem für Unmut in der Staatengemeinschaft. Ist ein Boykott von
Ministertreffen die Lösung oder ist Dialog gerade wichtig?

Budapest (dpa) - Wie mit Provokationen von Ungarns Regierungschef
Viktor Orban umgehen? Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union
sind sich uneinig. Einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur zufolge
nehmen an diesem Freitag und Samstag höchstens 10 von 27
Finanzministern an einem Treffen in Budapest teil - inklusive des
ungarischen Ministers Mihaly Varga. Die offiziellen Gründe für die
Absage von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und vielen
seiner EU-Amtskollegen sind unterschiedlich. Alleingänge von Orban
spielen aber eine Rolle. Bei den vergangenen informellen
Finanzministertreffen in Belgien, Spanien und Schweden waren Angaben
der Ausrichter zufolge jeweils mindestens 25 Länder auf Ministerebene
vertreten.

Ungarns Minister Varga sagte zu Beginn des Treffens: Jedes Land könne
frei entscheiden, wer es bei diesem Treffe vertrete. «Ich bin nicht
enttäuscht.» Jedes Land sei auf hohem Niveau repräsentiert, womit ein

Boykott in dieser Hinsicht nicht erfolgreich gewesen sei, sagte er
weiter. Viele Minister ließen sich in Budapest vertreten, für
Deutschland etwa nahm Finanzstaatssekretär Heiko Thoms an dem Treffen
teil. 

Reaktionen auf Orbans Provokationen

Ungarn hat seit Juli die halbjährlich rotierende
EU-Ratspräsidentschaft inne und ist so auch für die Ausrichtung von
informellen Ministertreffen zuständig. Schon wenige Tage nach Beginn
sorgte Orban für Aufruhr - mit einer Auslandsreise, die nicht mit der
EU abgestimmt war. Dabei traf er in Moskau Kremlchef Wladimir Putin
und inszenierte dies als «Friedensmission» zur Lösung des
Ukraine-Konflikts. Später reiste er noch zu Chinas Staats- und
Parteichef Xi Jinping sowie zum früheren US-Präsidenten Donald
Trump. Jüngst provozierte Budapest erneut und drohte als Protest
gegen die europäische Asylpolitik damit, Flüchtlinge und Migranten
nach Brüssel zu bringen.

 

Die Reisen stießen auf großen Unmut in der EU - vor allem, weil der
Kreml den Moskau-Besuch für seine Propaganda ausschlachten konnte und
Orban bei der Reise in der Ukraine-Politik nicht klar die EU-Position
vertrat.

Von der Leyen reagiert mit Boykott-Entscheidung

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte mit einer
Boykott-Entscheidung auf die Alleingänge und kündigte Mitte Juli an,
dass an künftigen informellen Ministertreffen unter der Leitung der
Ungarn keine Kommissarinnen oder Kommissare, sondern nur ranghohe
Beamte teilnehmen werden. So nimmt auch EU-Wirtschaftskommissar Paolo
Gentiloni nicht an dem Finanzministertreffen in der ungarischen
Hauptstadt teil. Auch Kommissionsvize Valdis Dombrovskis kommt
nicht. 

Die Entscheidung von der Leyens kam kurz vor der Abstimmung im
Europäischen Parlament über ihre zweite Amtszeit. Europäische
Parteienfamilien wie die Sozialdemokraten, Grüne und Liberale hatten
sie zuvor mehrfach aufgefordert, einen härteren Kurs gegenüber Ungarn
einzuschlagen. Auf die Stimmen aus diesen Lagern war die Deutsche für
ihre Wiederwahl angewiesen.

Lindner: Muss in Berlin sein

Die EU-Länder sind sich uneinig darin, welcher Kurs in Sachen Ungarn
zu verfolgen ist. Einige Länder wie Litauen, Schweden und Dänemark
kündigten an, vorübergehend keine Ministerinnen und Minister zu
Treffen nach Ungarn schicken. Auch aus Finnland, Estland und Lettland
sind aus diesem Grund keine Finanzminister in Budapest. 

Bundesfinanzminister Lindner reist ebenfalls nicht nach Budapest.
Wegen haushaltspolitischer Verpflichtungen werde er in Berlin sein
müssen, sagte er vor einigen Wochen. An diesem Freitag ist die
Schlussrunde der Haushaltswoche im Bundestag. Am Samstag stehen in
diesem Zusammenhang keine Termine für ihn an. 

Aus Frankreich heißt es, in Erwartung einer neuen Regierung werde das
Treffen in Budapest nicht auf Ministerebene besetzt. Auch andere
Mitgliedsstaaten führen nationale Termine als Grund für eine
Nicht-Anreise an oder sagen, mit so wenigen Ministern vor Ort seien
seriöse Diskussionen nicht möglich.

Luxemburg: Brauchen Dialog mit Ungarn

Auf der anderen Seite steht unter anderem Luxemburg. Finanzminister
Gilles Roth ist beim Treffen in Budapest dabei. Luxemburgs
Regierungschef Luc Frieden sprach sich für mehr Dialog mit Ungarn
aus. Außenminister Xavier Bettel plädierte im Juli für eine Teilnahme

an Treffen in Budapest, man müsse sich die Sachen «ehrlich ins
Gesicht sagen». Auch unter anderem aus Italien, Malta, Zypern, und
Belgien reisten die Finanzminister zu dem Treffen an.

Eurogruppe findet statt

Auch die Eurogruppe, das Gremium, in dem sich die Finanzminister der
Länder mit der Gemeinschaftswährung regelmäßig treffen, kam an dies
em
Freitag in Budapest zusammen - mit sieben Ministern in reduzierter
Form. Das Treffen richtet ihr irischer Präsident Pascal Donohoe aus
und nicht die Ungarn. Unter anderem die Präsidentin der Europäischen
Zentralbank, Christine Lagarde, folgte seiner Einladung und nahm -
anders als bei anderen informellen Finanzministertreffen -
ausschließlich daran teil. Die Arbeit der Eurogruppe müsse
weitergehen, antowortete Donohoe auf die Frage, warum er sich für ein
Abhalten des Treffens entschieden habe. 
 

 

Ein informelles Treffen der EU-Außenminister war im Juli verlegt
worden: Ursprünglich hatten die Beratungen von der ungarischen
EU-Ratspräsidentschaft in Budapest organisiert werden sollen.
EU-Chefdiplomat Josep Borrell hielt dies allerdings wegen Orbans
Aktionen für unangebracht und hatte stattdessen nach Brüssel
eingeladen.