Von der Leyens neues Team für die EU-Kommission steht Von Stella Venohr, dpa
17.09.2024 15:13
Ursula von der Leyen hat ihre Kandidaten für die künftige
EU-Kommission präsentiert. Wer künftig wichtig wird - und warum es
noch Änderungen geben kann.
Straßburg (dpa) - Nach wochenlangen Spekulationen über die
Zusammensetzung der nächsten EU-Kommission hat Ursula von der Leyen
das Team für ihre zweite Amtszeit als Präsidentin der mächtigen
Brüsseler Behörde vorgestellt. Thematisch setzt sie dabei vor allem
auf Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit, weniger auf Klimaschutz.
Brisant ist eine Personalie: Mit Raffaele Fitto soll zum ersten Mal
ein Politiker der rechten italienischen Partei Fratelli d'Italia
(Brüder Italiens) zu einem der Vizepräsidenten der EU-Kommission
ernannt werden.
Vor fünf Jahren war der Fokus klar: «Das letzte Mal war das Thema der
globalen Erwärmung absolut top», sagte von der Leyen. Das Thema sei
mit Blick auf Waldbrände und Überschwemmungen immer noch dominant.
«Aber dieses Mal hat zum Beispiel das Thema Sicherheit, ausgelöst
durch den russischen Krieg in der Ukraine, aber auch das Thema
Wettbewerbsfähigkeit viel mehr Einfluss» auf die Organisation ihres
Teams, sagte sie.
Das zeigt sich auch an dem neu geschaffenen Posten des
Verteidigungskommissars. Besetzen soll ihn Litauens
Ex-Premierminister Andrius Kubilius - und damit jemand aus einem
Land, das an Russland grenzt. «Er wird sich für die Entwicklung der
Europäischen Verteidigungsunion einsetzen und unsere Investitionen
und industriellen Kapazitäten stärken», betonte von der Leyen.
Verteidigungsunion als Schlüsselthema
Der Posten kommt mit einigen Herausforderungen. Pläne, einen
Binnenmarkt für die Rüstung zu schaffen, stoßen oft auf Gegenwind -
vor allem von Ländern, die dadurch benachteiligt wären. Kubilius, der
zweimal litauischer Ministerpräsident war, ist seit 2019 Abgeordneter
im EU-Parlament.
Vor einer großen Aufgabe steht auch der bisherige österreichische
Finanzminister Magnus Brunner. Er erhält die Zuständigkeit für
Migration und ist damit für die Umsetzung der Asylreform
verantwortlich. Das wird nicht einfach, da das Thema immer wieder für
Uneinigkeit zwischen den Ländern sorgt - zuletzt hatte etwa
Deutschland mit vorübergehenden Kontrollen an allen deutschen
Landgrenzen eine Debatte ausgelöst.
Die EU-Kommission mit einem Apparat von rund 32.000 Mitarbeitern
schlägt Gesetze für die Staatengemeinschaft vor und überwacht die
Einhaltung des EU-Rechts. Alle 27 EU-Staaten durften mindestens eine
Kandidatin und einen Kandidaten nominieren. Die Deutsche von der
Leyen steht an der Spitze der Behörde, daher gibt es keinen
zusätzlichen deutschen Kommissar.
Ein Name unter ihren Kandidaten sorgte bereits vor der Vorstellung
für Stirnrunzeln. Der Italiener Fitto war bislang Europaminister in
der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und soll nun
einer der Vizepräsidenten und Kommissar für Kohäsion und Reformen
werden. Damit wäre er unter anderem für den Europäischen Sozialfonds
und einen Fonds für regionale Entwicklung verantwortlich.
Kritik an Fittos Ernennung
Die Ernennung Fittos birgt ein politisches Risiko für von der Leyen,
da die designierten Kommissare noch von den zuständigen Ausschüssen
des Europaparlaments angehört werden müssen. Einzelne Personen
könnten noch ausgetauscht werden, bevor das Plenum letztlich über das
gesamte Personalpaket abstimmt. Angesichts der komplexen politischen
Konstellationen und nationalen Interessen bleibt der Ausgang der
Abstimmung, die voraussichtlich im November stattfinden wird,
ungewiss. In der Vergangenheit wurden dabei bereits einige unliebsame
Kandidaten ausgetauscht.
Fitto gilt als umstritten, weil er der rechten Partei Melonis
angehört. Grüne, SPD und Linke im Europaparlament kritisierten von
der Leyen umgehend für ihre Entscheidung. «Ursula von der Leyen
belohnt Rechtsnationale», teilte etwa der Vorsitzende der
SPD-Europaabgeordneten, René Repasi, mit.
Doch es gibt auch andere Stimmen. In Brüssel gilt Fitto bei vielen
auch als gemäßigt und vor allem proeuropäisch. Meloni zeigte sich
jedenfalls hochzufrieden über die geplante Ernennung ihres Vertrauten
Fitto. «Endlich ist Italien wieder ein Hauptdarsteller in Europa»,
erklärte die Italienerin in Rom.
In den sozialen Medien und hinter verschlossenen Türen machten
bereits wochenlang zahlreiche Spekulationen die Runde, wer welche
Position übernehmen würde. Von der Leyen, besetzt viele der
Spitzenpositionen in ihrem neuen Kommissionsteam nun mit Frauen. Vier
der insgesamt sechs Vizepräsidenten sind weiblich. Ihr angestrebtes
Ziel einer Parität der Geschlechter verfehlt von der Leyen dennoch.
Der neuen Kommission würden 40 Prozent Frauen und 60 Prozent Männer
angehören, erklärte sie. Dabei hatten die Staats- und Regierungschefs
laut von der Leyen ursprünglich fast 80 Prozent Männer vorgeschlagen.
«Das war völlig inakzeptabel», so von der Leyen.
Einer der künftigen Männer ist wohl der geschäftsführende
Außenminister Stéphane Séjourné aus Frankreich. Er soll das begehrt
e
Industrie-Ressort erhalten.
Start der neuen Kommission noch ungewiss
Wann die neue Kommission ihre Arbeit aufnehmen kann, ist noch unklar.
Es sei für sie unmöglich, die Dauer dieses Prozesses vorherzusagen,
sagte von der Leyen. Ursprünglich war der 1. November geplant.
Von der Leyen selbst war bereits kurz nach der Europawahl im Juni von
den Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten für eine zweite
Amtszeit als Präsidentin der mächtigen Behörde nominiert und vom
Europaparlament gewählt worden. Neben der Präsidentin wurde auch die
neue EU-Außenbeauftragte festgelegt - Estlands bisherige liberale
Premierministerin Kaja Kallas.