Aufräumen nach Flutkatastrophe - Aussicht auf EU-Hilfe Von Christian Thiele, dpa
19.09.2024 20:31
Die Pegelstände an der Elbe in Sachsen gehen langsam zurück. Im
polnischen Breslau ist das Schlimmste noch nicht überstanden. Ursula
von der Leyen verspricht EU-Hilfe und stellt viel Geld in Aussicht.
Breslau/Dresden (dpa) - Vorsichtiges Aufatmen an der Elbe in Sachsen,
banger Blick auf die Deiche der Oder im polnischen Breslau: Der
Hochwasserscheitel der Elbe ist nach Angaben des
Landeshochwasserzentrums am sächsischen Flussabschnitt angekommen. Am
ersten Pegel Schöna an der Grenze zu Tschechien lag der Wert am
Nachmittag bei etwa 6,50 Metern, bei langsam fallender Tendenz.
Normal sind dort 1,58 Meter.
Auch in Dresden geht der Wasserstand Zentimeter für Zentimeter
zurück. Die Hydrologen rechneten damit, dass er nach Mitternacht
unter die Sechs-Meter-Marke sinkt - also unter den Wert für die
zweithöchste Alarmstufe. Am Nachmittag waren es 6,07 Meter, der
Normalwert für Dresden liegt bei 1,42 Meter.
Gebannt ist die Gefahr in Deutschland jedoch nicht. Derweil laufen in
Hochwassergebieten der Nachbarländer die Aufräumarbeiten - und der
Ruf nach EU-Mitteln zur Beseitigung der Schäden wird lauter.
Hochwasser hierzulande nicht überstanden
In Brandenburg ist ab kommender Woche bis zur Wochenmitte mit einer
ernsteren Hochwasserlage an der Oder zu rechnen. Das Landesumweltamt
schließt die höchste Alarmstufe vier nicht aus. Die Stadt Frankfurt
(Oder) hat Schutzwände an der Uferpromenade aufgebaut. Auch Sandsäcke
liegen bereit. Wachdienste für die Deiche sind organisiert - sie
gehen die Schutzanlagen ab, wenn sich die Lage verschärft.
In Brandenburg wird am Sonntag der Landtag neu gewählt, so dass sich
die Politik wohl auch beim Umgang mit der Hochwasser-Situation keine
Fehler erlauben will.
In Sachsen-Anhalt steigen die Pegelstände an der Elbe weiter an -
bleiben aber unter den Alarmstufen. In Bayern gab es bereits am
Mittwoch Entwarnung.
So ist die Lage in Mittel- und Südosteuropa
In den meisten vom Hochwasser betroffenen Regionen in Mittel- und
Südosteuropa läuft das große Aufräumen: Schutt und Schlamm werden v
on
den Straßen geschoben oder aus Häusern entfernt. Andere retten, was
noch zu retten ist. Auch das Militär ist mit im Einsatz.
Noch ist das Ausmaß der Schäden unklar. Das Europaparlament drängt
deshalb auf mehr EU-Unterstützung. Es sei notwendig, das
EU-Katastrophenschutzverfahren mit mehr Ressourcen auszustatten,
fordert eine Mehrheit des Parlaments. Der tschechische Finanzminister
Zbynek Stanjura rechnet dieses Jahr mit staatlichen Mehrausgaben
wegen der Katastrophe von bis zu 1,2 Milliarden Euro.
Milliarden aus Brüssel
«Die dringlichste Frage ist natürlich, ob wir mit finanziellen
Mitteln für die Reparatur und den Wiederaufbau helfen können», sagte
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Abend in Polen. Und
sie versichert: «Europa ist an Eurer Seite.» Dafür sollen etwa Mittel
aus bestehenden EU-Fonds genutzt werden. So soll es möglich sein,
zunächst zehn Milliarden Euro aus sogenannten Kohäsionsmitteln zur
Verfügung zu stellen, sagte die Deutsche bei ihrem Besuch in Breslau
(Wroclaw).
Diese sind einer der größten Posten im Gemeinschaftsetat der EU. Mit
den Kohäsionsgeldern wird eigentlich wirtschaftlich schwach
entwickelten Regionen beim Wachstum geholfen, um ökonomische und
soziale Unterschiede auszugleichen.
Mindestens 23 Tote
Inzwischen stieg die Zahl der Todesopfer auf insgesamt mindestens 23.
In Tschechien werden noch mindestens acht Menschen vermisst. Der
britische König Charles III. zeigte sich erschüttert: «Meine Frau und
ich sind zutiefst schockiert und traurig über die Zerstörung und
Verwüstung, die von den katastrophalen Überschwemmungen in
Mitteleuropa hervorgerufen wurden», hieß es in einer Mitteilung des
Palasts in London.
Tschechien
In Tschechien erreichte die Elbe in Usti (Aussig) unweit der Grenze
zu Sachsen ihren Höchststand bei knapp über 6,8 Metern - normal sind
rund 2 Meter. Die Schutzwände hielten den Wassermassen stand. In den
Katastrophengebieten im Osten des Landes halfen Feuerwehrleute,
Soldaten und Gefängnis-Insassen bei den Aufräumarbeiten. Die
Beseitigung der Schäden könnte nach Einschätzung von Präsident Petr
Pavel Jahre dauern. Eine wichtige Staatsstraße wurde wegen
Unterspülung selbst für die Rettungskräfte gesperrt. Die Polizei
sprach von weiteren Fällen von Plünderungen.
Polen
In Polen hatte die Hochwasserwelle in der Nacht zu Donnerstag die
niederschlesische Stadt Breslau erreicht. Der Wasserstand betrage
6,38 Meter, sagte Bürgermeister Jacek Sutryk dem Sender TVN24. Ein
Pegelstand von 6,30 bis 6,40 Meter werde sich länger halten. Normal
ist ein Wasserstand von etwas mehr als 3 Metern. Die jetzige
Flutwelle ist deutlich niedriger als beim Oder-Hochwasser 1997, als
der Wasserstand 7,24 Meter erreichte.
Regierungschef Tusk warnte bei einer Sitzung des Krisenstabs davor,
die Situation zu unterschätzen. «Es ist zu früh, um den Sieg über d
as
Hochwasser bei Breslau zu verkünden.» Man müsse die Lage weiter im
Auge behalten. Das Hochwasser bei Breslau könnte laut Prognosen bis
Montag anhalten - die Hoffnung ist, dass die Deiche halten.
Deutschland bot Polen einen Hilfseinsatz von Soldaten in den
Hochwassergebieten an. Details dazu seien aber noch nicht vereinbart,
teilte das Verteidigungsministerium mit.
Österreich
Auch in Österreich wird der Reparatur der Schäden nach dem Hochwasser
wohl sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Die Ministerpräsidentin des
besonders betroffenen Bundeslands Niederösterreich, Johanna
Mikl-Leitner, geht inzwischen davon aus, dass der Wiederaufbau der
zerstörten Regionen «nicht Tage, Wochen oder Monate, sondern Jahre
dauern» werde. Sie halte dafür einen «nationalen Schulterschluss» f
ür
notwendig, sagte sie.
Inzwischen entspannt sich die Situation weiter, allerorts gehen die
Pegelstände zurück. Rund 300 Gebäude können im besonders betroffene
n
Niederösterreich weiter nicht betreten werden. Die Zahl lag vor
wenigen Tagen noch bei 1400.
Slowakei
In der Slowakei entspannt sich die Hochwassersituation im Westen des
Landes um die Hauptstadt Bratislava, während der Pegel der Donau
weiter südöstlich noch steigt. In Komarno an der ungarischen Grenze
wurde die Scheitelwelle für Freitag erwartet. Dort verstärken auch
Nebenflüsse aus dem Norden der Slowakei die Wassermassen der Donau.
Im Stadtzentrum von Bratislava hat die Donau am Mittwochabend ihren
Höchststand mit über 9,8 Metern erreicht und fällt seitdem stetig. Am
Donnerstagvormittag wurden noch 9,3 Meter gemessen. Der normale
Wasserstand liegt im Durchschnitt bei 3 Metern.
Italien
In Italien hatte vor allem die Region Emilia-Romagna im Norden des
Landes unter heftigem Regen zu leiden. In mehreren Städten wie
Ravenna, Forlì oder Castel Bolognese stand Wasser in den Straßen,
weil Flüsse über die Ufer traten. Mehrere Hundert Menschen wurden aus
ihren Häusern evakuiert und in Aufnahmezentren gebracht.
Aus Sicherheitsgründen blieben in der Regionalhauptstadt Bologna und
anderswo viele Schulen geschlossen. Zudem riefen die dortigen
Behörden die Menschen auf, besser zu Hause zu bleiben.
In der Lagunenstadt Venedig wurde erstmals nach den Sommerferien das
System «Mose» aus stählernen Barrieren zum Schutz vor Hochwasser in
Betrieb genommen.