Selenskyj: Äußerst schwierige Lage im Donezker Gebiet

20.09.2024 04:55

Während die Kämpfe im russischen Gebiet Kursk andauern, steht die
ukrainische Armee in der Ostukraine unter Druck. Angesichts des
nahenden Winters wird in Kiew hoher Besuch aus Brüssel erwartet.

Kiew/Sumy/Berlin (dpa) - Die ukrainischen Streitkräfte haben die
Schlagkraft der russischen Armee im Gebiet Donezk nach Angaben von
Präsident Wolodymyr Selenskyj erheblich geschwächt. Dennoch sagte der
Staatschef in seiner per Video verbreiteten Abendansprache, dass die
Situation äußerst schwierig bleibe. Schwere Kämpfe gebe es täglich
in
den Abschnitten Kurachowe und Pokrowsk. Es werde alles dafür getan,
die Kampfkraft der eingesetzten Brigaden aufrechtzuerhalten.

Selenskyj hob auch die seit August währenden Kämpfe im russischen
Grenzgebiet Kursk hervor. Dort seien zehntausende russische Soldaten
gebunden und auch zahlreiche Gefangene gemacht worden, sagte er. Die
Angaben beider Kriegsparteien zum Geschehen auf dem Schlachtfeld
lassen sich in der Regel kaum unabhängig überprüfen.

EU-Kommissionspräsidentin in Kiew erwartet

An diesem Freitag wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
in Kiew erwartet. Selenskyj kündigte Gespräche mit ihr über die
Vorbereitungen auf den Winter an. «Natürlich ist die Energiefrage
eine dringende Priorität», sagte er. Auch die Lage an der Front,
Waffenlieferungen und gemeinsame Rüstungsprojekte sollen seinen
Worten zufolge erörtert werden - ebenso wie der Weg der Ukraine in
die EU sowie weitere finanzielle Unterstützung für das von Russland
angegriffene Land.

Selenskyj will in USA «Siegesplan» vorstellen

Selenskyj selbst wird in der kommenden Woche von US-Präsident Joe
Biden im Weißen Haus empfangen. Das - auch von Selenskyjs Büro
bestätigte - Treffen sei für Donnerstag geplant, teilte die
US-Regierung mit. Der ukrainische Gast werde auch US-Vizepräsidentin
Kamala Harris treffen, die als Kandidatin der Demokraten bei der Wahl
im November antritt. Selenskyj hatte vor Tagen angekündigt, er wolle
Biden in Washington einen «Plan für den Sieg» im Krieg gegen Russland

vorstellen. 

Selenskyj will nach Angaben seines Büros zunächst bei der
UN-Generalversammlung in New York sprechen und dort am Rande
Gespräche führen. Außerdem sei neben der Zusammenkunft mit Biden und

Harris in Washington ein Treffen mit dem republikanischen
Präsidentschaftsanwärter und Ex-Präsidenten Donald Trump geplant.

Russischer Bombenangriff auf nordöstliche ukrainische Großstadt Sumy

Der ukrainische Präsident ging in seiner Abendbotschaft auch auf
einen russischen Angriff auf die Großstadt Sumy im Nordosten des
Landes ein. Nach Angaben des Innenministeriums wurde eine Frau
getötet und mindestens 13 Menschen wurden verletzt. «Russland musste
wissen, dass dies ein Altenheim ist - keine Militärbasis, kein
Militärobjekt», sagte Selenskyj. Die Angreifer hätten im Laufe des
Donnerstags fast 90 Gleitbomben gegen Ziele in der Ukraine
eingesetzt. «Wir werden der russischen Armee unbedingt auf diesen
Terror antworten, spürbar antworten.»

Der ukrainische Generalstab informierte in seinem Bericht über
fortdauernde Kämpfe. Entlang der gesamten Frontlinie habe es über 90
russische Angriffe gegeben. Der Großteil sei abgewehrt worden. Ein
Teil der Gefechte dauerte zur Berichtszeit jedoch noch an. Zu
Frontveränderungen machte der Generalstab genauso wie zur Lage im
russischen Grenzgebiet Kursk keine Aussagen. 

Die russische Armee beanspruchte im Frontabschnitt Kurachowe im
Donezker Gebiet die Eroberung des Ortes Heorhijiwka für sich.
Ukrainische Militärbeobachter stuften das Dorf teils als umkämpft,
teils als russisch kontrolliert ein.

Im ukrainisch kontrollierten Teil des Gebiets Kursk wurden im
September nach Angaben der ukrainischen Militärverwaltung 23
Zivilisten getötet. «Die Russen haben begonnen, friedliche Einwohner
zu beschießen», sagte der Vertreter der ukrainischen
Militärkommandantur, Olexij Dmytraschkiwskyj. Auch hierfür gab es
keine unabhängige Bestätigung.

UN warnt vor langen Stromsperren im Winter

Die Vereinten Nationen warnten unterdessen vor langen
Stromabschaltungen im Winter infolge der russischen Raketenattacken
auf die ukrainische Energieinfrastruktur. Befragte Experten gingen
von Stromsperren zwischen 4 und 18 Stunden pro Tag aus. Auswirkungen
werde das vor allem auf Bewohner von Hochhäusern haben, die in den
oberen Etagen auf elektrisch betriebene Pumpen für die Wasser- und
Zentralheizungsversorgung angewiesen seien. 

Der Strommangel kann dem Bericht zufolge auch massive Auswirkungen
auf den Betrieb von Kanalisationssystemen und Kläranlagen haben. Im
schlimmsten Szenario mit Stromausfällen von über drei Tagen werde
ungeklärtes Abwasser in Flüsse geleitet werden müssen, um Rückstaus

zu vermeiden. Der massenhafte Einsatz von mit Diesel und Benzin
betriebenen Notstromern verschlechtere zudem die Luftqualität in den
ukrainischen Städten. Besonders betroffen vom Strommangel seien Alte,
Kranke, Menschen mit Behinderungen, Binnenflüchtlinge und andere
einkommensschwache Haushalte.

Zwischen März und September habe das russische Militär in neun Wellen
systematisch Kraftwerke, Stromnetze und Anlagen für die
Stromverteilung angegriffen. Der Strombedarf im Winter wurde im
Bericht für Spitzenzeiten mit über 18 Gigawatt angegeben. Ukrainische
Schätzungen gehen von einer Eigenproduktion von 14 bis 15 Gigawatt
und einem Defizit von bis zu 4 Gigawatt aus, das nicht vollständig
durch Importe aus der EU oder dem Nachbarland Moldau gedeckt werden
kann.