Tag der Entscheidung: Wer in der EU bald wichtig sein könnte Von Ansgar Haase und Regina Wank, dpa

27.11.2024 04:37

Ähnlich wie die neue Regierungsmannschaft von Donald Trump sorgen
auch designierte Mitglieder der nächsten EU-Kommission von Ursula von
der Leyen für hitzige Diskussionen. Heute wird nun abgestimmt.

Straßburg (dpa) - Wird es eine klare Sache oder doch noch einmal
knapp? Das Europäische Parlament stimmt heute nach wochenlangem
Streit über die neue EU-Kommission unter der Führung der deutschen
Präsidentin Ursula von der Leyen ab - und entscheidet damit, ob sie
am 1. Dezember ihre Arbeit aufnehmen kann. 

Der Einfluss der 27 Frauen und Männer auf die europäische Politik ist
groß, da in der EU nur die Kommission Gesetze vorschlagen kann und
sie außerdem überwacht, ob die Staaten die Gesetze einhalten. Die
Brüsseler Behörde mit rund 32 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
regelt damit vieles, was im Alltag von knapp 450 Millionen EU-Bürgern
eine Rolle spielen kann. Vor allem folgende zehn Personen könnten in
den kommenden Jahren wichtige Weichen stellen:

Kaja Kallas (47), Hohe Vertreterin der EU für Außen- und
Sicherheitspolitik

Die frühere estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas hat als
Nachfolgerin des Spaniers Josep Borrell die Herkulesaufgabe vor sich,
die EU in der Außenpolitik schlagkräftiger zu machen. Herausfordernd
ist das vor allem wegen des Einstimmigkeitsprinzips und der
unterschiedlichen Sicht von Mitgliedstaaten auf die weitere
militärische Unterstützung für die Ukraine und den Konflikt im Nahen

Osten. Kallas' Vorteil ist, dass ihr die Politik quasi in die Wiege
gelegt wurde: Ihr Vater Siim Kallas war früher Estlands
Ministerpräsident und lange Jahre EU-Kommissar. Auch sie selbst
verbrachte vier Jahre in Brüssel - als Europa-Abgeordnete von 2014
bis 2018.

Raffaele Fitto (55) - Vizepräsident, zuständig für Kohäsion und
Reformen

Über weniges wurde in Brüssel in den vergangenen Wochen so viel
gestritten wie über die Personalie Raffaele Fitto. Der Italiener soll
künftig als einer der Vizepräsidenten für milliardenschwere
Fördermitteltöpfe und Reformen zuständig sein. An seiner Kompetenz
und proeuropäischen Ausrichtung zweifelten die wenigsten, wohl aber
an seinen politischen Überzeugungen. Grund ist, dass er der rechten
Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Italiens
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angehört. Die Sozialdemokraten und
andere Parteien links der Mitte wehrten sich heftig gegen einen
rechten Vizepräsidenten, allerdings erfolglos.

Stéphane Séjourné (39) - Vizepräsident, zuständig für Wohlstand
und
Industriestrategie

Für den Franzosen ist es in diesem Jahr schon der dritte Posten:
Séjourné war zunächst Vorsitzender der liberalen Renew-Fraktion im
EU-Parlament, bevor er im Januar als Außenminister nach Paris
wechselte. Nun soll er als EU-Kommissar zurück nach Brüssel gehen.
Als französischer Kandidat war eigentlich der bisherige
Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton gesetzt. Der warf allerdings
wegen Differenzen mit von der Leyen im September das Handtuch.
Séjourné soll künftig eine Schlüsselrolle bei der Frage zukommen, w
ie
Europas Unternehmen im globalen Wettbewerb weiter gestärkt werden
können.

Maro? ?ef?ovi? (58) - Vizepräsident, zuständig für Handel und
wirtschaftliche Sicherheit

Der Slowake Maro? ?ef?ovi? ist bereits seit 2009 EU-Kommissar und
damit einer der erfahrensten Politiker im Team. In den kommenden fünf
Jahren soll er die schwierigen Handelsbeziehungen zu China und den
USA managen und neue Handelsabkommen zum Abschluss bringen. Er wird
vor allem dann gefragt sein, wenn die USA unter der Führung Donald
Trumps Zusatzzölle auf Produkte aus der EU einführen sollten. 

Andrius Kubilius (67) - Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt

Mit dem früheren litauischen Regierungschef Andrius Kubilius wird es
in der EU erstmals einen Kommissar für Verteidigung geben - der
russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dürfte ein maßgeblicher
Grund dafür sein. Soldaten und Soldatinnen unterstehen dem
67-Jährigen allerdings nicht. Er soll vielmehr dafür sorgen, dass die
europäische Rüstungsindustrie den Bedarf erfüllt und genug Geld hat,

um ihre Produktionskapazitäten auszubauen.

Olivér Várhelyi (52) - Kommissar für Gesundheit und Tierschutz 

Weil er als Vertrauter des umstrittenen ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orban gilt, schlägt dem Karrierediplomaten
Várhelyi in Brüssel viel Misstrauen entgegen. Als einziger musste er
im Bestätigungsverfahren des Parlaments schriftlich Zusatzfragen
beantworten. An seiner Eignung für einen Kommissarsposten gibt es
letztlich aber wenig Zweifel - Várhelyi ist nicht neu in Brüssel, er
war bereits Mitglied in Ursula von der Leyens erster Kommission und
dort zuständig für Nachbarschaft und Erweiterung.

Magnus Brunner (52) - Kommissar für Inneres und Migration

Der konservative Österreicher Magnus Brunner soll die Umsetzung der
im Frühjahr beschlossenen EU-Asylreform überwachen und ein neues
Konzept zur beschleunigten Abschiebung irregulär eingewanderter
Migranten vorlegen. Zudem wird es seine Aufgabe sein, den Schutz der
EU-Außengrenzen zu verbessern. Im Gespräch ist, die ständige Reserve

der Europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex auf 30 000
Einsatzkräfte aufzustocken.

Teresa Ribera (55) - Vizepräsidentin, zuständig für
Wettbewerbspolitik und grünen Wandel

Die Spanierin Teresa Ribera soll fairen Wettbewerb auf dem
europäischen Binnenmarkt garantieren und gleichzeitig sicherstellen,
dass heimische Unternehmen gegenüber Konkurrenz aus Ländern wie China
und den USA bestehen können - zum Beispiel mit Hilfe günstiger
Energie aus erneuerbaren Quellen. Politisch erlebte die Sozialistin
zuletzt schwere Wochen, Konservative und rechte Abgeordnete warfen
ihr Fehler im Umgang mit den schweren Überschwemmungen in der
spanischen Region Valencia vor. Mit diesen hatte sie als
Umweltministerin zu tun.

Wopke Hoekstra (49) - Kommissar für Klimaschutz

Der neue Klimakommissar ist gleichzeitig der alte. Als Wopke Hoekstra
mitten in der vergangenen Legislaturperiode auf Frans Timmermans
folgte, gab es zunächst Zweifel an seinen Ambitionen: Der
Niederländer war in der Vergangenheit unter anderem beim Öl-Konzern
Shell angestellt. Inzwischen hat die Skepsis nachgelassen. Nun wird
Hoekstra erneut dafür verantwortlich sein, den «Green Deal»
umzusetzen, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will. Der
Klimaschutz dürfte zwar keine so große Rolle mehr spielen wie in der
vergangenen Legislaturperiode. Insbesondere das Verbrenner-Aus, das
ab 2035 in der EU gelten soll, sorgt aber für großen Unmut, sodass
Hoekstra weiter im Zentrum hitziger Diskussionen stehen könnte.

Ursula von der Leyen (66), die Präsidentin

Ein möglicher Handelskrieg mit den USA und China, anhaltender Streit
über die Migrationspolitik, ungeklärte Finanzierungsfragen und der
ungewisse Ausgang des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine:
Die ganz großen Themen werden auch weiterhin auf dem Tisch der
früheren deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
landen. Erfahrung als Kommissionspräsidentin hat die CDU-Politikerin
mittlerweile: Die aus Niedersachsen stammende Mutter von sieben
erwachsenen Kindern hat bereits fünf Jahre im Amt hinter sich und
sitzt bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie denen
der G7 und G20-Staaten als EU-Repräsentantin mit am Tisch. Im Ranking
des US-Magazins «Forbes» ist sie derzeit die «mächtigsten Frau der

Welt».