Wer in der EU bald für Aufmerksamkeit sorgen könnte Von Ansgar Haase und Regina Wank, dpa

27.11.2024 14:50

Ähnlich wie die neue Regierungsmannschaft von Donald Trump sorgten
auch Kandidaten für die künftige EU-Kommission für hitzige
Diskussionen. Nun wurde votiert - und es kann nach vorn geblickt
werden.

Straßburg (dpa) - Am Ende war es eine klare Sache: Das Europäische
Parlament hat nach wochenlangem Streit der neuen EU-Kommission unter
der Führung der deutschen Präsidentin Ursula von der Leyen
zugestimmt. Ab dem kommenden Sonntag ist das 27-köpfige Team nun
dafür zuständig, neue EU-Projekte vorzuschlagen und die Einhaltung
von europäischem Recht zu überwachen. Es geht um vieles, was im
Alltag von knapp 450 Millionen EU-Bürgern eine Rolle spielt. Unter
anderem folgende zehn Personen könnten in den kommenden fünf Jahren
wichtige Weichen stellen:

Kaja Kallas (47) - Hohe Vertreterin der EU für Außen- und
Sicherheitspolitik

Die frühere estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas hat als
Nachfolgerin des Spaniers Josep Borrell die Herkulesaufgabe vor sich,
die EU in der Außenpolitik schlagkräftiger zu machen. Herausfordernd
ist das vor allem wegen des Einstimmigkeitsprinzips und der
unterschiedlichen Sicht von Mitgliedstaaten auf die weitere
militärische Unterstützung für die Ukraine und den Konflikt im Nahen

Osten. Kallas' Vorteil ist, dass ihr die Politik quasi in die Wiege
gelegt wurde: Ihr Vater Siim Kallas war früher Estlands
Ministerpräsident und lange Jahre EU-Kommissar. Auch sie selbst
verbrachte vier Jahre in Brüssel - als Europa-Abgeordnete von 2014
bis 2018.

Raffaele Fitto (55) - Vizepräsident, zuständig für Kohäsion und
Reformen

Über weniges wurde in Brüssel in den vergangenen Wochen so viel
gestritten wie über die Personalie Raffaele Fitto. Der Italiener wird
künftig als einer der Vizepräsidenten für milliardenschwere
Fördermitteltöpfe und Reformen zuständig sein. An seiner Kompetenz
und proeuropäischen Ausrichtung zweifelten die wenigsten, wohl aber
an seinen politischen Überzeugungen. Grund ist, dass er der rechten
Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Italiens
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angehört. Die Sozialdemokraten und
andere Parteien links der Mitte wehrten sich heftig gegen einen
rechten Vizepräsidenten, allerdings erfolglos. 

Stéphane Séjourné (39) - Vizepräsident, zuständig für Wohlstand
und
Industriestrategie

Für den Franzosen ist es in diesem Jahr schon der dritte Posten:
Séjourné war zunächst Vorsitzender der liberalen Renew-Fraktion im
EU-Parlament, bevor er im Januar als Außenminister nach Paris
wechselte. Nun wird er als EU-Kommissar zurück nach Brüssel gehen.
Als französischer Kandidat war eigentlich der bisherige
Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton gesetzt. Der warf allerdings
wegen Differenzen mit von der Leyen im September das Handtuch.
Séjourné wird künftig eine Schlüsselrolle bei der Frage zukommen, w
ie
Europas Unternehmen im globalen Wettbewerb weiter gestärkt werden
können.

Maros Sefcovic (58) - Vizepräsident, zuständig für Handel und
wirtschaftliche Sicherheit

Der Slowake Maros Sefcovic ist bereits seit 2009 EU-Kommissar und
damit einer der erfahrensten Politiker im Team. In den kommenden fünf
Jahren soll er die schwierigen Handelsbeziehungen zu China und den
USA managen und neue Handelsabkommen zum Abschluss bringen. Er wird
vor allem dann gefragt sein, wenn die USA unter der Führung Donald
Trumps Zusatzzölle auf Produkte aus der EU einführen sollten. 

Andrius Kubilius (67) - Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt

Mit dem früheren litauischen Regierungschef Andrius Kubilius wird es
in der EU erstmals einen Kommissar für Verteidigung geben - der
russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dürfte ein maßgeblicher
Grund dafür sein. Soldaten und Soldatinnen unterstehen dem
67-Jährigen allerdings nicht. Er soll vielmehr dafür sorgen, dass die
europäische Rüstungsindustrie den Bedarf erfüllt und genug Geld hat,

um ihre Produktionskapazitäten auszubauen.

Oliver Varhelyi (52) - Kommissar für Gesundheit und Tierschutz 

Weil er als Vertrauter des umstrittenen ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orban gilt, schlägt dem Karrierediplomaten
Oliver Varhelyi in Brüssel viel Misstrauen entgegen. Als einziger
musste er im Bestätigungsverfahren des Parlaments schriftlich
Zusatzfragen beantworten. An seiner Eignung für einen
Kommissarsposten gibt es letztlich aber wenig Zweifel - Varhelyi ist
nicht neu in Brüssel, er war bereits Mitglied in Ursula von der
Leyens erster Kommission und dort zuständig für Nachbarschaft und
Erweiterung.

Magnus Brunner (52) - Kommissar für Inneres und Migration

Der konservative Österreicher Magnus Brunner soll die Umsetzung der
im Frühjahr beschlossenen EU-Asylreform überwachen und ein neues
Konzept zur beschleunigten Abschiebung irregulär eingewanderter
Migranten vorlegen. Zudem wird es seine Aufgabe sein, den Schutz der
EU-Außengrenzen zu verbessern. Im Gespräch ist, die ständige Reserve

der Europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex auf 30.000
Einsatzkräfte aufzustocken.

Teresa Ribera (55) - Vizepräsidentin, zuständig für
Wettbewerbspolitik und grünen Wandel

Die Spanierin Teresa Ribera soll fairen Wettbewerb auf dem
europäischen Binnenmarkt garantieren und gleichzeitig sicherstellen,
dass heimische Unternehmen gegenüber Konkurrenz aus Ländern wie China
und den USA bestehen können - zum Beispiel mit Hilfe günstiger
Energie aus erneuerbaren Quellen. Politisch erlebte die Sozialistin
zuletzt schwere Wochen, Konservative und rechte Abgeordnete warfen
ihr Fehler im Umgang mit den schweren Überschwemmungen in der
spanischen Region Valencia vor. Mit diesen hatte sie als
Umweltministerin zu tun.

Wopke Hoekstra (49) - Kommissar für Klimaschutz

Der neue Klimakommissar ist gleichzeitig der alte. Als Wopke Hoekstra
mitten in der vergangenen Legislaturperiode auf Frans Timmermans
folgte, gab es zunächst Zweifel an seinen Ambitionen: Der
Niederländer war in der Vergangenheit unter anderem beim Öl-Konzern
Shell angestellt. Inzwischen hat die Skepsis nachgelassen. Nun wird
Hoekstra erneut dafür verantwortlich sein, den «Green Deal»
umzusetzen, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will. Der
Klimaschutz dürfte zwar keine so große Rolle mehr spielen wie in der
vergangenen Legislaturperiode. Insbesondere das Verbrenner-Aus, das
ab 2035 in der EU gelten soll, sorgt aber für großen Unmut, sodass
Hoekstra weiter im Zentrum hitziger Diskussionen stehen könnte.

Ursula von der Leyen (66) - die Präsidentin

Ein möglicher Handelskrieg mit den USA und China, anhaltender Streit
über die Migrationspolitik, ungeklärte Finanzierungsfragen und der
ungewisse Ausgang des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine:
Die ganz großen Themen werden auch weiterhin auf dem Tisch der
früheren deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
landen. Erfahrung als Kommissionspräsidentin hat die CDU-Politikerin
mittlerweile: Die aus Niedersachsen stammende Mutter von sieben
erwachsenen Kindern hat bereits fünf Jahre im Amt hinter sich und
sitzt bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie denen
der G7 und G20-Staaten als EU-Repräsentantin mit am Tisch. Im Ranking
des US-Magazins «Forbes» ist sie derzeit die «mächtigsten Frau der

Welt». 

Im Europaparlament rief von der Leyen am Mittwoch dazu auf, die
Streitigkeiten der vergangenen Wochen nun hinter sich zu lassen. «Wir
müssen Wege finden, wie wir zusammenarbeiten und Fragmentierung
überwinden können», sagte sie. Sie und ihre Kommission seien bereit,

sich sofort an die Arbeit zu machen.