EU-Mercosur: Weg frei für eine riesige Freihandelszone? Von Denis Düttmann und Ansgar Haase, dpa
06.12.2024 14:56
Zwischen Europa und Südamerika sollen Zölle abgebaut werden.
Unternehmen hoffen auf neue Märkte und steigende Umsätze. Doch es
gibt auch nach der Einigung auf den Vertragstext noch Hürden.
Montevideo/Brüssel (dpa) - Rund ein Vierteljahrhundert lang haben die
Unterhändler auf beiden Seiten des Atlantiks erbittert um Details
gerungen - jetzt soll das Freihandelsabkommen zwischen der
Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis
Mercosur endlich abgeschlossen werden. Bei einem Mercosur-Gipfel in
Uruguays Hauptstadt Montevideo verkündeten EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen sowie die Präsidenten von Brasilien,
Argentinien, Uruguay und Paraguay am Freitag eine Einigung auf den
Vertragstext. Mit dem Abkommen würde eine der weltweit größten
Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Menschen entstehen.
Was erhofft sich die EU von dem Freihandelsabkommen?
Im Endeffekt geht es um Jobs und Wohlstand. Über einen besseren
Zugang zu den Märkten in den Mercosur-Ländern sollen europäische
Unternehmen neue Wachstumsmöglichkeiten bekommen. Bislang müssen
Importeure von EU-Waren zum Teil sehr hohe Zölle zahlen, die der
Wettbewerbsfähigkeit schaden. Auf Autos sind es beispielsweise 35
Prozent, auf Maschinen 14 bis 20 Prozent und auf Chemikalien bis zu
18 Prozent. Die Zölle sollen nun schrittweise abgebaut werden. Am
Ende könnten pro Jahr Abgaben in Höhe von rund vier Milliarden Euro
eingespart werden, hat die EU-Kommission ausgerechnet.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die Einigung
am Freitag als eine sehr gute Nachricht für Unternehmen. Das Abkommen
könne einen dringend notwendigen Wachstumsimpuls für die deutsche und
europäische Wirtschaft bringen. Die Deutsche Industrie- und
Handelskammer sprach von einem Meilenstein für die EU-Handelspolitik.
Was macht den Mercosur für die EU so interessant?
In den vier Mercosur-Ländern leben mehr als 260 Millionen Menschen.
Zusammen bilden sie die fünftgrößte Wirtschaftsregion der Welt mit
einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 2,2 Billionen Euro. Im
vergangenen Jahr importierten sie aus der EU Waren im Wert von 55,7
Milliarden Euro, in umgekehrter Richtung betrug das Exportvolumen
53,7 Milliarden Euro. Insgesamt könnten nach EU-Angaben 60.500
europäische Unternehmen profitieren.
Werden auch Verbraucher Vorteile haben?
Durch die Liberalisierung des Handels könnten Preise für importierte
Produkte aus den Mercosur-Staaten sinken - zum Beispiel für Fleisch,
Obst, Soja, Kaffee und Zucker. Zum Schutz der EU-Landwirtschaft
sollen bei bestimmten Agrarprodukten die Märkte aber nicht
vollständig geöffnet werden. Die Zollerleichterungen würden dort nur
für eine bestimmte Liefermenge gelten.
Warum kritisieren Umweltschützer das Freihandelsabkommen?
Sie befürchten, dass die neuen Absatzchancen für landwirtschaftliche
Produkte die Umweltzerstörung beispielsweise im Amazonas-Regelwald
befeuern könnten. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace nannte das
Abkommen am Freitag toxisch und schrecklich für das Weltklima. Sie
geht davon aus, dass die Abholzungsraten in der Mercosur-Region wegen
der höheren Importquoten für Rindfleisch in den kommenden sechs
Jahren um fünf Prozent pro Jahr steigen werden. Sinkende Zölle auf
Pestizide und Kunststoffe könnten demnach zudem auch die
Plastikverschmutzung in Südamerika erhöhen und die Artenvielfalt
gefährden.
Was haben die europäischen Bauern gegen den Vertrag mit dem Mercosur?
Die Landwirte in Europa befürchten, im Wettbewerb mit den
südamerikanischen Großbauern nicht bestehen zu können. Im Mercosur
wird in deutlich größerem Maßstab produziert, was Kostenvorteile mit
sich bringt. Die europäischen Bauern beklagen zudem, dass für sie
strengere Regeln beispielsweise beim Umweltschutz und bei der
Lebensmittelsicherheit gelten als für die südamerikanischen
Konkurrenten.
Wie reagieren die EU und die Bundesregierung auf die Kritik?
Sie weisen die meisten Vorwürfe als ungerechtfertigt zurück und
betonen, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile eindeutig
überwiegen würden. Zum Thema Pestizideinsatz erklärt etwa das
Bundeswirtschaftsministerium, dass auch künftig alle Importe die
gesetzlichen Anforderungen der Europäischen Union einhalten müssen.
Dies bedeute, dass die in der EU geltenden Höchstwerte für Rückstän
de
nicht überschritten werden dürften. Ganz allgemein gelte, dass nur
Produkte, die den umfangreichen europäischen Vorschriften
entsprechen, in die EU eingeführt werden dürfen.
Warum ist der Deal für die EU so wichtig?
Der künftige US-Präsident Donald Trump hat bereits vor seinem
Amtsantritt neue Zölle angekündigt und damit Ängste vor einer noch
protektionistischeren US-Handelspolitik geschürt. Die Europäische
Union ist deshalb daran interessiert, ihre Wirtschaftsbeziehungen
breiter aufzustellen. Dabei wird auch die Gefahr gesehen, dass sich
die Mercosur-Staaten noch deutlich mehr als ohnehin schon China
zuwenden, wenn sich die EU nicht stärker dort engagiert. Für eine
Reihe von Ländern in der Region wie beispielsweise Brasilien ist
China schon jetzt der wichtigste Handelspartner.
EU-Staaten wie Frankreich und Polen sind wegen des Protests der
Landwirte gegen das Abkommen. Kann es gegen ihren Widerstand in Kraft
treten?
Eigentlich nicht. Da das Abkommen neben Handelsabsprachen auch
Vereinbarungen zum politischen Dialog und zur Kooperation enthält,
müsste es eigentlich allen Mitgliedstaaten zur Ratifizierung
vorgelegt werden. Die für die Verhandlungen zuständige EU-Kommission
könnte allerdings versuchen, den politischen Teil vom Handelsteil
abzusplitten. Der Handelsteil könnte dann per Mehrheitsentscheidung
vom Rat der EU-Staaten angenommen werden und müsste nur dem
Europäischen Parlament und nicht nationalen Parlamenten zur
Zustimmung vorgelegt werden. Unklar ist allerdings, ob ein solches
Vorgehen nicht Rechtsrisiken bergen würde.
Wann könnte das Abkommen formell unterzeichnet werden?
Nach dem Abschluss der Verhandlungen muss der Vertragstext nun noch
einer juristischen Prüfung unterzogen und in alle Sprachen der
Vertragsstaaten übersetzt werden. Eine Unterzeichnung wird deswegen
vermutlich frühestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres
möglich sein.