Neuwahl wird Planungshindernis für neue Bahnstrecke zum Brenner Von Carsten Hoefer und Sabine Dobel, dpa
27.12.2024 14:29
Beim Ausbau von Bahnstrecken in Deutschland vergehen von der Idee bis
zur Eröffnung üblicherweise Jahrzehnte - und das liegt oft an der
Politik, nicht an der Verwaltung. Ein Paradebeispiel in Bayern.
Berlin/München (dpa) - Die um Jahre verzögerte deutsche Planung für
eines der wichtigsten europäischen Bahnprojekte stößt auf den
nächsten Stolperstein: Der Bundestag wird aller Voraussicht nach
nicht im Frühjahr über den Trassenvorschlag der Deutschen Bahn für
die deutsche Zuleitungsstrecke zum Brennerbasistunnel in den Alpen
entscheiden, sondern erst nach der vorgezogenen Bundestagswahl. Das
sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Schreider, der im
Verkehrsausschuss für das Thema zuständig ist. Auch das bayerische
Verkehrsministerium in München geht nicht mehr davon aus, dass der
Bundestag noch in der zu Ende gehenden Wahlperiode über den
«Nordzulauf» zum Tunnel entscheiden wird.
«Sehr wahrscheinlich» erst nach der Wahl
«Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich der Bundestag mit dem
Trassenvorschlag der DB erst in der nächsten Legislaturperiode
befassen wird», sagt Schreider. Der 55 Kilometer lange
Brennerbasistunnel soll nach jetzigem Stand im Jahr 2032 eröffnet
werden.
Nach der Inbetriebnahme soll sich die Fahrzeit für Personenzüge von
München nach Verona von fünf auf drei Stunden verkürzen. Um dereinst
die volle Kapazität des Tunnels nutzen zu können, muss laut Bahn aber
auch die deutsche Zuleitungsstrecke durch den bayerischen Teil des
Inntals ausgebaut werden.
Deutschland bei den Planungen weit hinter Österreich und Italien
zurück
Auch in Österreich und Italien gibt es Verzögerungen, doch die
Planungen für die jeweiligen Zuleitungsstrecken sind weiter
fortgeschritten, einzelne Abschnitte im Bau oder sogar bereits
fertiggestellt. Auf deutscher Seite existiert bislang keine
verbindliche Planung für die ebenfalls gut 50 Kilometer lange
Zulauftrasse. Das Prozedere sieht vor, dass die DB ihren
Trassenvorschlag übermittelt, das Bundesverkehrsministerium
anschließend berichtet, und schließlich der Bundestag berät und
entscheidet.
Das DB-Projektteam finalisiert derzeit den Bericht für das
Ministerium, wie ein Bahnsprecher sagt. Die Übergabe der Unterlagen
war eigentlich für Ende dieses Jahres geplant, dies wird sich laut DB
«um wenige Wochen» verzögern. Im Februar wird jedoch bereits der
Bundestag neu gewählt. «Wobei die genaue zeitliche Auswirkung
letztlich davon abhängt, wann der Bericht den Bundestag erreicht und
wie rasch sich die künftige Mehrheit im Bundestag dem Projekt
widmet», sagt SPD-Verkehrspolitiker Schreider.
Hemmschuh Bayern
Die Hauptursache der Verzögerungen liegt in Bayern. Der Bau des
Tunnels wurde 2004 beschlossen, 2012 vereinbarten Deutschland und
Österreich die gemeinsame Planung der nördlichen Zulaufstrecke. Die
CSU war ursprünglich enthusiastischer Befürworter des Projekts, doch
angesichts des heftigen Widerstands im Inntal machte die Planung des
Nordzulaufs in der Amtszeit der vier CSU-Bundesverkehrsminister von
2009 bis 2021 nur noch minimale Fortschritte. Nach der bayerischen
Landtagswahl 2018 stellte die Münchner Koalition von CSU und Freien
Wählern den lang vereinbarten Bau des Nordzulaufs infrage und
forderte eine Überprüfung.
Maximale Anwohnerfreundlichkeit gefordert
Mittlerweile befürwortet die Staatsregierung den Bau wieder. «Der
Brenner-Nordzulauf ist ein Bundesprojekt mit großer Bedeutung für
ganz Europa», sagt Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). «Der
Freistaat Bayern steht hinter dem Ausbau der Bahn beim
Brenner-Nordzulauf.» Die Trassenführung sei eine
Jahrhundertentscheidung. «Sie muss mit Sorgfalt und Weitblick
getroffen werden. Wir fordern dabei maximale Anwohnerfreundlichkeit,
das heißt eine weitgehend unterirdische Streckenführung, einen
umfassenden Lärmschutz und den Schutz unserer Landschaft.»
Weiterer Zeitplan «völlig offen»
Eine parlamentarische Befassung vor der Wahl sei nicht mehr
realistisch, sagte Bernreiter. «Außerdem ist es angesichts der
Bedeutung des Projekts sinnvoll, dass ein neu gewählter Bundestag
darüber abstimmt.» Wann der Bundestag sich mit der Trassenplanung
befasst, sei völlig offen, sagt die Rosenheimer
CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig. «Damit ist auch der weitere
Zeitplan des Projektes offen. Spekulationen darüber sind hinfällig.»
Örtliche Politik will unterirdische Trasse
Die DB plant im Inntal eine zusätzliche Trasse zu der bereits
existierenden Bahnstrecke. Dreißig der insgesamt 54 Kilometer langen
neuen Strecke sollen als Tunnel gebaut werden. Weitere Tunnel würden
laut Bahn auch weitere Zusatzkosten in Milliardenhöhe bedeuten.
Kommunalpolitik und CSU-Abgeordnete im Inntal kritisieren vor allem
die geplante Überbrückung des Inn, außerdem soll eine
«Verknüpfungsstelle» südlich von Rosenheim unterirdisch gebaut
werden.
SPD-Verkehrspolitiker Schreider wirft der CSU vor, wegen der lokalen
Proteste im Inntal ein Projekt von überregionaler Bedeutung für
Deutschland und Europa zu verzögern. «Besonders kritikwürdig ist,
dass die CSU nun plötzlich Nachforderungen an das milliardenschwere
Brenner-Bahnprojekt stellt», sagte Schreider. «Forderungen, die
unnötige zusätzliche Tunnel umfassen, die nicht nur immense Kosten
verursachen, sondern auch den Zeitplan massiv gefährden würden.» In
München erwiderte Verkehrsminister Bernreiter: «Die Verantwortung für
den Ausbau des Brenner-Nordzulaufs samt Zeitplan liegt beim Bund, der
die Deutsche Bahn mit der Planung beauftragt hat.»