Polen hat EU-Ratsvorsitz übernommen

01.01.2025 00:20

Die umstrittene EU-Ratspräsidentschaft Ungarns ist vorbei - jetzt ist
Polen an der Reihe. Die Regierung in Warschau hat sich viel
vorgenommen. In Brüssel ist aber nicht jeder hoffnungsfroh.

Warschau/Brüssel (dpa) - Polen hat zum Jahreswechsel den alle sechs
Monate rotierenden EU-Ratsvorsitz übernommen. Regierungsvertreter des
Landes werden damit bis Ende Juni die Leitung zahlreicher
Ministertreffen übernehmen und bei Meinungsverschiedenheiten zwischen
den EU-Staaten vermitteln. Dabei geht es vor allem darum, einen
möglichst reibungslosen Ablauf der EU-Gesetzgebungsverfahren zu
garantieren.

Hoffnung in Brüssel ist, dass die polnische Regierung ihre
herausgehobene Rolle nicht so für eigene Zwecke instrumentalisiert
wie in den vergangenen sechs Monaten die ungarische. So war der
ungarische Regierungschef Viktor Orban im vergangenen Sommer kurz
nach Übernahme der Ratspräsidentschaft durch sein Land unabgesprochen
nach Moskau und Peking gereist und hatte damit für erheblichen Unmut
in den meisten anderen EU-Staaten gesorgt. 

Von Polen werden diplomatische Alleingänge dieser Art nicht erwartet
- auch weil Regierungschef Donald Tusk das Maschinenwerk der EU
besser kennt als viele andere. Tusk hatte 2014 bis 2019 den Posten
des hauptamtlichen EU-Ratschefs inne und leitete in dieser Funktion
das Gremium der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten.

Motto: «Es geht um Sicherheit, Europa!»

In den sechs Monaten seines Ratsvorsitzes will Polen vor allem
Akzente in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik setzen. «Es geht
um Sicherheit, Europa!» lautet frei übersetzt das Motto, das die
Regierung in Warschau ausgegeben hat. «Wir wollen uns auf sieben
Aspekte von Sicherheit konzentrieren: die äußere sowie die innere
Sicherheit, aber auch die Sicherheit von Informationen, Wirtschaft,
Energie, Gesundheit und Lebensmitteln», sagte Europaminister Adam
Szlapka Anfang Dezember bei der Vorstellung des Programms.

Was die äußere Sicherheit angeht, so hat sich die polnische
Präsidentschaft vor allem vorgenommen, die europäische
Verteidigungsindustrie zu stärken. Das EU- und Nato-Land will sich
außerdem für «maximale Unterstützung» der EU für die von Russla
nd
angegriffene Ukraine einsetzen, wie Außenminister Radoslaw Sikorski
ankündigte. Hier werde man eng mit der neuen EU-Außenbeauftragten
Kaja Kallas und dem für Verteidigung zuständigen EU-Kommissar Andrius
Kubilius zusammenarbeiten. Klare Kante will Polen dagegen Russland
und seinem Verbündeten Belarus zeigen und für verschärfte Sanktionen

kämpfen.

Bei der inneren Sicherheit hat Polen vor allem das Thema Migration
und den Kampf gegen Sabotage im Blick. Polen und die EU beschuldigen
den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter
Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze gebracht zu
haben, um Druck auf den Westen auszuüben. Im Sommer 2022 hatte Polen
die Grenze zu Belarus mit einem 5,5 Meter hohen Zaun und einem
elektronischen Überwachungssystem gesichert. Diese ist auch eine
EU-Außengrenze. 

«Schutzschild Ost»

Zum Schutz gegen mögliche Bedrohungen investiert Polen derzeit
Milliarden in das sogenannte «Schutzschild Ost», eine befestigte
Verteidigungslinie an seiner Grenze zu Belarus und zur russischen
Exklave Kaliningrad. Es hofft, dass sich europäische Partner an der
Finanzierung beteiligen werden.

Regierungschef Tusk schließt Ukraine-Verhandlungen noch in diesem
Winter nicht aus. «Unsere EU-Ratspräsidentschaft wird unter anderem
mitverantwortlich dafür sein, wie die Situation in den Verhandlungen
aussieht, die im Winter dieses Jahres beginnen könnten», sagte er
Anfang Dezember. Kurz darauf machte er bei einem Besuch von
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron deutlich: Die Ukraine müsse bei
allen Gesprächen anwesend sein. 

Präsidentschaft im Wahlkampf

Deutschland und Frankreich, die in der Vergangenheit meist
tonangebend innerhalb der EU waren, sind derzeit wegen
innenpolitischer Krisen gehemmt. Polen könnte daher seine
Ratspräsidentschaft theoretisch nutzen, um sein politisches Gewicht
zu steigern. In Brüssel warnten Diplomaten zuletzt aber vor allzu
großen Hoffnungen. 

Hintergrund ist die im Mai anstehende Präsidentenwahl in Polen und
die damit verbundene Befürchtung, dass Tusks Regierung vor allem
diejenigen EU-Projekte fördern könnte, die einem Wahlsieg ihres
Lagers dienlich sind. Dazu gehören solche aus den Bereichen der
Maßnahmen gegen irreguläre Migration sowie Sicherheit und
Verteidigung.

Andere, in Polen umstrittene Vorhaben, könnten nach diesem Szenario
bis nach der Wahl verschleppt oder zumindest wenig engagiert
angepackt werden. Dazu werden etwa Umwelt- und Klimaschutzprojekte
gezählt.