Ungarn verliert Anspruch auf EU-Hilfen in Milliardenhöhe

01.01.2025 13:55

Ungarns Regierungschef Viktor Orban weigert sich, von der EU
geforderte Rechtsstaatsreformen umzusetzen. Das wird für das Land nun
teuer. Geld kommt mittlerweile aber auch anderswoher.

Brüssel/Budapest (dpa) - Ungarn hat wegen Verstößen gegen die
Rechtsstaatlichkeit den Anspruch auf EU-Hilfen in Höhe von rund einer
Milliarde Euro verloren. Zur Freigabe des Geldes hätte das Land bis
Ende 2024 Reformauflagen umsetzen müssen, wie eine Sprecherin der
Europäischen Kommission der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.

Bei den verfallenen Mitteln handelt es sich um 1,04 Milliarden Euro,
die für Ungarn aus Programmen zur Förderung strukturschwacher Gebiete
vorgesehen waren. Die Gelder waren Ende 2022 eingefroren worden, weil
die EU-Kommission nach Analysen zum Schluss gekommen war, dass Ungarn
verschiedene EU-Standards und Grundwerte missachtet.

Fehlende Reformen

Zur Freigabe der Gelder hätte die ungarische Regierung um
Ministerpräsident Viktor Orban bis Jahresende ausreichende Reformen
umsetzen müssen. Dazu gehören unter anderem Änderungen von Gesetzen
zur Vermeidung von Interessenkonflikten und Korruptionsbekämpfung.

Die Führung in Budapest reagierte verständnislos auf den Verfall der
Gelder. «Die ungarische Regierung hat alle Bedingungen für die
Abrufung der EU-Ressourcen erfüllt», schrieb Europa-Minister Janos
Boka vor dem Jahreswechsel auf seiner Facebook-Seite. «Brüssel will
die Gelder, die Ungarn und den ungarischen Menschen zustehen, aus
politischen Gründen wegnehmen», fügte er hinzu.

Freude bei Orban-Kritikern

Europaabgeordnete reagierten hingegen mit Genugtuung. «Orban kommt
die Ungarinnen und Ungarn richtig teuer zu stehen. Diese Milliarde
ist erst der Anfang. Die EU zeigt endlich, dass sie sich vom
korrupten Orban nicht mehr einfach alles gefallen lässt»,
kommentierte der Grünen-Politiker Daniel Freund.

Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner sagte: «Orban hat den Bogen
überspannt. Der Kuschelkurs mit den Möchtegern-Autokraten ist vorbei.
Wer das Geld der europäischen Steuerzahler stiehlt, verliert das
Recht auf EU-Gelder. Es gibt in der EU keinen Rabatt mehr auf
Grundrechte.»

Es drohen weitere Milliardenverluste

Sollte Ungarn weiterhin keine ausreichenden Reformen umsetzen, droht
in Zukunft der Verlust weiterer Milliardensummen. Nach den Regeln des
seit 2021 geltenden EU-Rechtsstaatlichkeitsmechanismus verfallen
darüber eingefrorene Gelder am Ende des zweiten Kalenderjahres nach
dem Jahr, für das sie eingeplant waren. Ende dieses Jahres würden
damit die für 2023 eingeplanten Mittel verfallen.

Insgesamt waren aus dem mehrjährigen Gemeinschaftshaushalt 2021-2027
Ende 2022 rund 6,3 Milliarden Euro für Ungarn über den Mechanismus
eingefrorenen worden. Weitere Milliardensummen für das Land sind über
andere Regelungen blockiert. Zuletzt ging es nach Kommissionsangaben
um rund 19 Milliarden Euro - die Summe entspricht in etwa einem
Zehntel der jährlichen Wirtschaftsleistung Ungarns. 

Milliarden-Kredit aus China als Plan B

Um Finanzierungslücken zu füllen, setzte Ungarns rechtspopulistischer
Ministerpräsident Orban zuletzt unter anderem auf China. Im April
rief Ungarn einen Kredit in Höhe von einer Milliarde Euro ab, den das
Land bei chinesischen Staatsbanken aufnahm. Das geschah diskret und
wurde erst im Juli bekannt, als das ungarische Zentrum für
Staatsschulden (AKK) ein paar Eckdaten dazu veröffentlichte. Demnach
hat das Darlehen eine Laufzeit von drei Jahren. Die Höhe der Zinsen
und die Tilgungsintervalle sind nicht bekannt. 

China ist in Ungarn stark aktiv. Der E-Auto-Hersteller BYD baut ein
großes Werk im südungarischen Szeged, der Batteriezellen-Erzeuger
Catl eine Mega-Fabrik im ostungarischen Debrecen. Chinesische
Unternehmen bauen die neue Bahnstrecke von Budapest in die serbische
Hauptstadt Belgrad. Für den Bau des ungarischen Abschnitts nahm
Ungarn bei der chinesischen Exim-Bank einen Kredit von fast 900
Millionen Euro auf.

Trotz der chinesischen Finanzhilfen versucht Orban weiter,
eingefrorene EU-Mittel freizubekommen. Anfang Dezember drohte er mit
einem Veto gegen den nächsten Sieben-Jahre-Haushalt der EU, falls
Brüssel blockierte EU-Gelder nicht freigeben sollte. Über den
nächsten langfristigen EU-Haushalt von 2028 bis 2035 beginnen die
Verhandlungen voraussichtlich Mitte 2025.

Brüssel zwischen Druck und Kompromiss

Es war nicht das erste Mal, dass Orban mit Blockaden zentraler
EU-Entscheidungen drohte. So verweigerte er erst beim EU-Gipfel Mitte
Dezember seine Zustimmung zur Verlängerung der Ende Januar
auslaufenden Russland-Sanktionen. Diplomaten vermuteten, dass er auch
in anderen Bereichen Zugeständnisse der EU-Partner erpressen wolle -
etwa die Freigabe eingefrorener EU-Gelder.

Im Dezember 2023 hatte die Kommission trotz anhaltender Kritik an
Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien in Ungarn eingefrorene
EU-Fördermittel in Höhe von rund zehn Milliarden Euro für das Land
freigegeben. Europaabgeordnete kritisierten dies damals und warfen
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, sich von Ungarn
erpressen zu lassen. Orban hatte zuvor angekündigt, den Beginn von
EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und ein milliardenschweres
Hilfspaket der EU für das von Russland angegriffene Land zu
blockieren.