Baerbock reist nach Syrien: Angebote und Forderungen Von Jörg Blank und Johannes Sadek, dpa
03.01.2025 07:39
Vier Wochen nach dem Sturz des Machthabers Assad wollen die deutsche
Außenministerin und ihr französischer Kollege in Damaskus ein Zeichen
setzen. Sie kommen mit Angeboten, aber auch mit Forderungen.
Larnaka/Damaskus (dpa) - Außenministerin Annalena Baerbock stellt den
neuen De-facto-Herrschern in Syrien Bedingungen für eine Neuaufnahme
der Beziehungen zu Deutschland und der Europäischen Union. «Ein
politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen
Deutschland und Syrien ist möglich», erklärte die Grünen-Politikeri
n
zu einem unangekündigten Besuch in Damaskus. Sie komme mit ihrem
französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot und im Namen der EU «mit
dieser ausgestreckten Hand, aber auch mit klaren Erwartungen an die
neuen Machthaber» in die syrische Hauptstadt.
Rund vier Wochen nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Baschar
al-Assad wollen Baerbock und Barrot im Auftrag der
EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas Gespräche mit Vertretern der von
Rebellen gebildeten Übergangsregierung führen. De-facto-Herrscher
Ahmed al-Scharaa ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat
Tahrir al-Scham (HTS) und war zuvor bekannt unter seinem Kampfnamen
Abu Mohammed al-Dscholani.
Die Außenministerin wollte am Morgen von Zypern aus nach Damaskus
fliegen. Barrot hatte mit Verteidigungsminister Sébastien Lecornu im
nicht weit entfernten Libanon mit den dort stationierten
französischen Soldaten der UN-Beobachtermission Unifil den
Jahreswechsel gefeiert. Baerbock und Barrot sind die ersten
EU-Außenminister, die Syrien seit Assads Sturz besuchen.
Baerbock fordert Schutz von Frauen und Minderheiten
«Den Neuanfang kann es nur geben, wenn die neue syrische Gesellschaft
allen Syrerinnen und Syrern, Frauen wie Männern, gleich welcher
ethnischen oder religiösen Gruppe, einen Platz im politischen Prozess
einräumt, Rechte gewährt und Schutz bietet», verlangte Baerbock.
Diese Rechte müssten gewahrt werden und dürften «nicht möglicherwei
se
durch zu lange Fristen bis zu Wahlen oder auch Schritte zur
Islamisierung des Justiz- oder Bildungssystems unterlaufen werden».
Al-Scharaa hatte kürzlich gesagt, bis zur Vorlage eines neuen
Verfassungs-Entwurfs könnten rund drei Jahre und bis zu Wahlen ein
weiteres Jahr vergehen. Das arabische Land ist nach mehr als zehn
Jahren Bürgerkrieg zersplittert und konfessionell gespalten. Auch
nach dem Sturz Assads kämpfen verfeindete Milizen um die Macht.
Baerbock sagte, man wolle Syrien bei einem friedlichen Machtübergang,
der Versöhnung der Gesellschaft und beim Wiederaufbau unterstützen -
zusätzlich zur humanitären Hilfe, die für die Menschen in Syrien auch
in den vergangenen Jahren geleistet worden sei.
Einen Neuanfang könne es nur geben, wenn die Vergangenheit
aufgearbeitet und Gerechtigkeit hergestellt werde sowie Racheakte an
Bevölkerungsgruppen ausblieben, forderte Baerbock. Extremismus und
radikale Gruppen dürften keinen Platz haben.
Skepsis wegen Vergangenheit der Rebellen
«Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der
Vergangenheit getan hat», sagte Baerbock. Man sehe aber auch den
Wunsch nach Mäßigung und Verständigung mit anderen wichtigen
Akteuren. So sei die Aufnahme von Gesprächen mit den kurdisch
dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) ein wichtiges
Zeichen in diese Richtung.
HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des
Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der
Terrororganisation Islamischer Staat (IS) losgesagt. Bis heute gibt
es aber Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu
Al-Kaida hält.
Baerbock: Werden HTS an ihren Taten messen
Angesichts dessen sagte Baerbock: «Wir werden die HTS weiter an ihren
Taten messen. Bei aller Skepsis dürfen wir jetzt nicht die Chance
verstreichen lassen, die Menschen in Syrien an diesem wichtigen
Scheideweg zu unterstützen.»
Deutschland setze sich zudem dafür ein, dass der innersyrische
Prozess nicht von außen gestört werde, erklärte die
Bundesaußenministerin. Dazu gehöre auch die Achtung der Souveränitä
t
und territorialen Integrität durch alle Nachbarstaaten, ergänzte sie
offensichtlich mit Blick auf die Türkei und Israel, denen vorgehalten
wird, eigene Interessen in Syrien zu verfolgen. Es sei zudem Zeit für
Russland, seine Militärbasen in Syrien zu verlassen. Moskau war
jahrelang einer der wichtigsten Verbündeten Assads.
Mehr als 16 Millionen Syrer auf humanitäre Hilfe angewiesen
Syrien ist nach bald 14 Jahren Bürgerkrieg in weiten Teilen zerstört
und durch Landminen und andere Kampfmittel verseucht. Dem Land fehlen
Arbeits- und Fachkräfte, die Wirtschaft schrumpft und die Währung hat
seit 2020 mehr als 90 Prozent ihres Werts verloren. Die Versorgung
mit öffentlichen Diensten ist zusammengebrochen. Mehr als 16
Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Knapp eine Million syrische Flüchtlinge in Deutschland
Bei Baerbocks Gesprächen in Damaskus dürfte es auch um die von der
Übergangsregierung befürwortete Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus
Deutschland gehen. Derzeit leben laut Bundesinnenministerium rund
975.000 Syrer in Deutschland. Die meisten kamen seit 2015 infolge des
Bürgerkriegs ins Land.