Baerbock warnt Damaskus vor Abkehr von gemäßigtem Kurs Von Jörg Blank, Christoph Meyer und Michael Evers
03.01.2025 22:24
Außenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer Kollege
Jean-Noël Barrot reisen nach Damaskus. Es ist eine großzügige Geste.
Aber einen Handschlag erhält Baerbock nicht.
Damaskus (dpa) - Außenministerin Annalena Baerbock hat der neuen
syrischen Führung bei ihrem Besuch in Damaskus klare Bedingungen für
die Unterstützung Europas gestellt. Deutschland und die Europäische
Union wollten dabei helfen, dass das zukünftige Kapitel Syriens ein
friedliches und freies werde. Gewissheit gebe es darüber aber noch
lange nicht, sagte sie zum Abschluss der gemeinsamen Reise mit dem
französischen Außenminister Jean-Noël Barrot im Auftrag der EU.
«Es braucht jetzt einen politischen Dialog unter Einbeziehung aller
ethnischen und religiösen Gruppen, unter Einbeziehung aller Menschen,
das heißt insbesondere auch der Frauen in diesem Land», so die
Grünen-Politikerin. Europa werde Syrien unterstützen, aber nicht zum
Geldgeber neuer islamistischer Strukturen werden, betonte Baerbock.
Kein Handschlag für Baerbock
Baerbock und Barrot waren zuvor vom syrischen De-facto-Herrscher
Ahmed al-Scharaa empfangen worden. Während der Islamist die Deutsche
nicht per Handschlag begrüßte, streckte er dem Franzosen die Hand
entgegen. Barrot erwiderte die Geste nur zögerlich.
Baerbock sagte dazu später auf Nachfrage einer Journalistin, ihr sei
bereits bei ihrer Ankunft klar gewesen, dass es keinen Handschlag
geben werde. In dem Gespräch mit al-Scharaa habe sie dann aber sehr
deutlich gemacht, dass Frauenrechte ein Gradmesser dafür seien, wie
frei eine Gesellschaft sei. Aus Delegationskreisen war zu hören, dass
al-Scharaa am Ende des Gesprächs noch mal die Hand ausgestreckt habe,
es dann aber nicht mehr zu einem Handschlag gekommen sei.
Zweifel an den moderaten Tönen
Al-Scharaa ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat
Tahrir al-Scham (HTS), die den Sturz von Langzeit-Herrscher Baschar
al-Assad vor gut vier Wochen maßgeblich herbeigeführt hatte. Er war
früher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani bekannt.
Die Gruppe HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des
Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der
Terrororganisation Islamischer Staat (IS) losgesagt und einen
gemäßigten Kurs angekündigt.
Trotzdem kommen immer wieder Zweifel an der Wahrhaftigkeit der
moderaten Töne aus Damaskus auf. So zog die Übergangsregierung etwa
Kritik wegen Lehrplanänderungen auf sich, die nach Ansicht von
Kritikern eine ideologische Prägung erkennen lassen. Bis heute gibt
es Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu Al-Kaida
hält.
Experte: Verweigerter Handschlag nicht gut
Der frühere Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker
Perthes, bewertete den verweigerten Handschlag als schlechtes
Zeichen. «Das ist nicht gut, auch wenn wir das aus anderen Ländern
kennen, wo extrem konservativ-islamische Männer an der Macht sind:
Iran etwa und bis vor einiger Zeit auch Saudi-Arabien», sagte Perthes
dem «Stern» Er fügte hinzu: «In Syrien gehört das nicht zur
Tradition. Ich hoffe, dass al-Scharaa dafür auch in Syrien kritisiert
werden wird.»
Baerbock fordert Gerechtigkeit für Assad-Opfer
Gleich zu Beginn ihres Besuches ließen sich Baerbock und Barrot im
berüchtigten Gefängnis Saidnaja nördlich der Hauptstadt von der
Zivilschutzorganisation Weißhelme über die Gräuel der Folterer aus
der Zeit der Assad-Herrschaft informieren. Die Minister wurden
aufgefordert, Masken und Gummihandschuhe überzuziehen - angesichts
des Gestanks von Urin und Kot in den von dreckigen Kleidungsstücken
und leeren Tablettenschachteln übersäten Zellen.
Saidnaja gilt als das wohl berüchtigtste Militärgefängnis aus der
Assad-Herrschaft. Im Volksmund wurde es nur das «Schlachthaus»
genannt.
Die Weißhelme flehten Baerbock und Barrot regelrecht an, sich dafür
einzusetzen, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt. Ganz zum
Schluss hatten sie den Europäern die berüchtigte Menschenpresse
gezeigt. Frauen und Männer sollen darin zu Tode gequetscht worden
sein.
Baerbock: Die Menschen gingen durch Hölle
«Den Horror mancher Orte kann man sich einfach nicht vorstellen»,
zeigte sich Baerbock erschüttert. «Aber Menschen sind hier in der
Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus durch die Hölle gegangen.
Wurden umgebracht mit Methoden, die man sich in einer zivilisierten
Welt nicht vorstellen kann.»
Man könne die Leben der dort gestorbenen Opfer des Assad-Regimes
nicht zurückbringen. «Aber wir können alle als internationale
Gemeinschaft dazu beitragen, dass es zu Gerechtigkeit kommt.» Unter
anderem dafür sei man nach Damaskus gekommen, ergänzt Baerbock: «Um
deutlich zu machen, dass wir auch bei der Frage der Beweissammlung,
der Gerechtigkeit, der Aufklärung dieser schlimmen Verbrechen den
Menschen hier in Syrien zur Seite stehen.»
Assads Prunkpalast als krasses Gegenbild
Der Kontrast zwischen dem Gefängnis und dem Präsidentenpalast, in dem
Baerbock und Barrot empfangen wurden, könnte kaum größer sein.
Riesige Hallen, ein dutzender Meter langer roter Teppich, in dem
Raum, in dem der al-Scharaa die Europäer zum Gespräch empfing, stehen
noch Assads Intarsien-Möbel.
Auf die Frage, ob sie sich für eine baldige Aufhebung der Sanktionen
gegen Syrien einsetze, reagierte Baerbock mit Zurückhaltung. Das
hänge davon ab, wie der politische Prozess gestaltet werde.
Sie sei nach Syrien gereist, um mit der Übergangsregierung und
anderen Akteuren darüber zu sprechen, «ob so ein politischer,
inklusiver Prozess möglich ist, ob das Einhalten von Menschenrechten
wirklich garantiert werden kann. Und daran knüpft sich auch die ganze
Frage von der Sanktionsaufhebung», sagte die Ministerin.
Frage nach Rückkehr von Flüchtlingen
Ob Menschenrechte und Sicherheit gewährleistet sind, sei auch
grundlegend bei der Frage nach der Rückkehr von Flüchtlingen, sagte
Baerbock. «Menschen kehren nur zurück, wenn sie sicher sind, dass sie
nicht wieder in solchen Folterknästen oder in islamistischen
Folterknästen landen. Deswegen ist der politische Prozess so
essenziell», so die Ministerin.
Syrien ist nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg zersplittert und
konfessionell gespalten. Auch nach dem Sturz Assads kämpfen
verfeindete Milizen um die Macht. Beinahe gleichzeitig zu Barbocks
Besuch in Damaskus kam zu Berichten zufolge zu schweren Gefechten im
Norden des Landes zwischen protürkischen Milizen und kurdischen
Kräften, die große Teile des Landes kontrollieren.