EU-Behörde: Polioviren in fünf europäischen Ländern entdeckt

23.01.2025 17:14

Kinderlähmung klingt wie eine Gefahr vergangener Zeiten. Doch
vielerorts sind nun wieder Polioviren aufgetaucht, wie bereits auch
in Deutschland. Die EU-Gesundheitsbehörde gibt einen Überblick.

Stockholm (dpa) - Wie in verschiedenen Teilen Deutschlands sind in
vier weiteren europäischen Ländern Polioviren nachgewiesen worden.
Sie wurden zwischen September und Dezember 2024 auch in
Abwasserproben in Spanien, Polen, Großbritannien und Finnland
entdeckt, wie Forscherinnen und Forscher in einem Artikel in der
Fachzeitschrift «Eurosurveillance» der EU-Gesundheitsbehörde ECDC
schreiben. 

Wie das Robert Koch-Institut (RKI) bereits im vergangenen Jahr
mitgeteilt hatte, traten die Funde in Deutschland an allen sieben
regelmäßig untersuchten Städten auf, nämlich in München, Bonn, K
öln,
Hamburg sowie in Dresden, Düsseldorf und Mainz. In Finnland und
Spanien war dagegen nur jeweils eine von fünf beziehungsweise zwei
Probeentnahmestellen betroffen. In Polen waren es zwei von acht, in
Großbritannien vier von zwölf. Mancherorts kam es bei verschiedenen
Messungen zu wiederholten Funden.

«Ein Weckruf»

Alle Stämme der Erreger seien genetisch miteinander verbunden
gewesen, schrieben die beteiligten Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler von Instituten und Behörden der besagten Länder sowie
dem Europa-Büro der Weltgesundheitsorganisation WHO. Man müsse anhand
der gesammelten Erkenntnisse eine breitere geografische Ausbreitung
über die betroffenen Messstellen hinaus in Betracht ziehen, schrieben
die Forscher, die von «einem Weckruf» sprachen.

Bei den gefundenen Erregern handelt es sich nicht um den Wildtyp des
Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen
Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern
zurückgehen. Diese Schluckimpfung wird in Deutschland und den anderen
betroffenen Ländern nicht mehr genutzt. Die Wissenschaftler ziehen
daraus den Schluss, dass die Viren höchstwahrscheinlich aus anderen
Ländern eingeschleppt wurden, in denen diese Impfungen eingesetzt
werden. Das ist vor allem in Afrika und Asien der Fall.

Besorgniserregende Zahlen beim Impfschutz

Polio ist eine ansteckende Infektionskrankheit, die dauerhafte
Lähmungen hervorrufen oder auch zum Tod führen kann. Sie wird auch
Kinderlähmung genannt, weil der Erreger einst so häufig war, dass der
Kontakt damit meist schon im Kindesalter erfolgte. Verbreitet wird
das Virus oft über verunreinigtes Wasser. Eine Therapie dagegen gibt
es bisher nicht. Die Krankheit konnte durch Impfkampagnen in den
meisten Ländern der Welt ausgerottet werden.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) und das RKI machten angesichts
der gefundenen Polioviren jüngst aber darauf aufmerksam, dass nur 21
Prozent der Einjährigen in Deutschland vollständig gegen Polio
geimpft seien - und das, obwohl die Grundimmunisierung bis zum Alter
von zwölf Monaten abgeschlossen sein sollte. Versäumte Impfungen
werden zwar oft nachgeholt, trotzdem haben den Fachleuten zufolge nur
77 Prozent der Kinder in einem Alter von zwei Jahren einen
vollständigen Impfschutz.

Nicht oder nicht vollständig geimpfte Menschen können sich nach
RKI-Angaben mit vom Schluckimpfstoff abgeleiteten Polioviren
infizieren und in seltenen Fällen an Kinderlähmung erkranken.