Machthaber Lukaschenko geht in Belarus in siebte Amtszeit Von Ulf Mauder, dpa
26.01.2025 20:13
Faire und freie Wahlen gibt es in Belarus nicht. Machthaber
Lukaschenko sieht sich gestärkt und will fünf weitere Jahre an der
Spitze des Landes bleiben. Dabei wächst seine Abhängigkeit von
Russland.
Minsk (dpa) - Bei der als Farce kritisierten Präsidentenwahl in
Belarus lässt sich Machthaber Alexander Lukaschenko nach mehr als 30
Jahren an der Macht erwartungsgemäß zum siebten Mal als Sieger
ausrufen. Staatsmedien verbreiteten nach Ende der Abstimmung am Abend
Wahlnachbefragungen, nach denen der 70-Jährige die Abstimmung mit
87,6 Prozent der Stimmen gewonnen haben soll.
Ergebnisse gab es zunächst nicht. Die Stimmauszählung läuft.
Allerdings gilt die Prognose in dem als letzte Diktatur Europas
kritisierten Land als nahezu identisch mit der am späten Abend
erwarteten offiziellen Ergebnis-Bekanntgabe durch die Wahlleitung. In
Minsk gab es aus den Reihen der vier Mitbewerber, die Lukaschenko
unterstützten und daher als reine Statisten galten, erste
Gratulationen zum «überzeugenden Wahlsieg».
2020 war Lukaschenko mit 80,1 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt
worden. Laut den Prognosen soll er demnach noch einmal deutlich
zugelegt haben - bei über 80 Prozent Wahlbeteiligung. Aufgerufen zur
Abstimmung waren rund 6,9 Millionen Wahlberechtigte.
Experte: Zahlen stehen vorab fest - kein Bezug zur Realität
«Man muss wissen, dass die in Belarus veröffentlichten Zahlen nichts
mit der Realität gemein haben», sagte der wegen Gefahr für sein Leben
ins Exil ins Ausland geflüchtete Politologe Waleri Karbalewitsch der
Deutschen Presse-Agentur. «Der Machtapparat legt die Zahlen schon im
Vorfeld fest.» Bei einer Wahl mit alternativen Kandidaten hätte der
seit 1994 regierende Lukaschenko laut Karbalewitsch keine Chance auf
den Sieg gehabt.
Für die Option «Gegen alle» auf dem Stimmzettel votierten laut den
Wahlnachbefragungen eines staatlichen Instituts 5,1 Prozent der
Wähler.
Lukaschenko: Anerkennung durch den Westen «völlig schnuppe»
«Erkennen sie diese Wahlen an, oder nicht, das ist Geschmackssache.
Mir ist das völlig schnuppe», sagte Lukaschenko vor Journalisten in
Minsk auf eine Frage zur Nichterkennung der Abstimmung von der EU.
Zugleich sagte er, dass er aus Verantwortungsbewusstsein so lange an
der Macht bleiben werde, wie sein Umfeld ihn trage.
Weil die Wahlen in der früheren Sowjetrepublik immer wieder unter
massiven Fälschungsvorwürfen stehen, gab es in der Vergangenheit
stets Proteste. Die bisher größten Massenproteste ließ Lukaschenko
nach der Wahl 2020 gewaltsam niederschlagen - mit Russlands Hilfe.
300.000 Menschen haben nach Schätzung der Vereinten Nationen Belarus
seither verlassen. Viele prominente Oppositionelle, darunter Maria
Kolesnikowa und Viktor Babariko, sitzen in Haft.
Menschenrechtler: Mehr als 1.200 politische Gefangene
Menschenrechtler kritisieren, dass mehr als 1.200 Menschen in
politischer Gefangenschaft sitzen. Belarus ist auch das letzte Land
in Europa, in dem noch Todesstrafen vollstreckt werden - per
Genickschuss. Wer sich kritisch äußert in dem Land, riskiert Haft.
Die Medien sind gleichgeschaltet, viele unabhängige
Nachrichtenportale sind blockiert.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sprach in Brüssel am Sonntagabend
von Scheinwahlen, die weder frei noch fair gewesen seien. «Das
belarussische Volk verdient ein echtes Mitspracherecht darüber, wer
sein Land regiert», sagte sie laut einer Mitteilung. Sie forderte
Lukaschenko auf, «alle politischen Gefangenen, von denen über tausend
willkürlich inhaftiert sind, darunter auch ein Mitarbeiter der
Delegation der Europäischen Union, unverzüglich und bedingungslos
freizulassen.»
Opposition fordert Nichtanerkennung der Wahl
Das Lager um die im Exil in der EU lebende Oppositionsführerin
Swetlana Tichanowskaja, die 2020 nach Meinung vieler die Abstimmung
gewonnen hatte, rief die internationale Gemeinschaft auf, weder die
Wahl noch Lukaschenko als Präsidenten anzuerkennen. Das Land ist
nicht nur wegen politischer Repressionen, sondern auch wegen der
Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit
Sanktionen belegt.
Lukaschenko hatte vor der Wahl wiederholt politische Gefangene
begnadigt - mehr als 200 insgesamt. Damit verbindet er nach Meinung
von Experten vor allem die Hoffnung, dass der Westen doch wieder den
Dialog aufnimmt. Bei der Pressekonferenz in Minsk betonte er indes
erneut seine Bereitschaft, den Kontakt wieder aufzunehmen.
Experte: Wieder mehr Rückhalt für Lukaschenko
Der Politologe Karbalewitsch sieht ein Land in Angst: Lukaschenkos
Apparat fürchte neue Proteste und habe deshalb schon vor der
Abstimmung Vertreter in Institutionen Unterstützerunterschriften
sammeln lassen. Der bereits zu Sowjetzeiten wegen seiner Brutalität
gefürchtete Geheimdienst KGB hält Belarus fest im Griff. Und auch die
Wähler seien verängstigt, weil ihnen schon Strafverfolgung drohe,
wenn sie etwa auf dem Mobiltelefon kritische Informationen lesen,
sagte Karbalewitsch der Deutschen Presse-Agentur.
Lukaschenko wolle sich mit der nun im Winter angesetzten Abstimmung
frisch legitimieren. Eigentlich wäre der reguläre Termin im Sommer
gewesen.
Lukaschenko nutze derzeit eine gewisse Konsolidierung der
Gesellschaft, weil die Kritiker weg seien. Zudem setze er sich vor
allem mit Blick auf den Krieg in der benachbarten Ukraine als Wahrer
des Friedens und der Stabilität in Szene. «Er hat auch Rückhalt von
vielen, die 2020 gegen ihn waren, die aber schon damals auch
prorussisch eingestellt waren und jetzt wieder auf Linie sind»,
erklärte Karbalewitsch. Kremlchef Wladimir Putin hatte Lukaschenko
damals trotz Hoffnungen vieler Demonstranten in Belarus nicht
fallengelassen.
Hohe Abhängigkeit von Russland
Der Experte Karbalewitsch erwartet, dass der zuletzt auch von
Gesundheitsproblemen geplagte Lukaschenko bis an sein Lebensende an
der Macht bleiben will. Die Chancen stünden nicht schlecht, «weil
derjenige, der mit Russland befreundet ist, Gas und Öl zu niedrigen
Preisen und den atomaren Schutzschirm erhält». Inzwischen gehe es
Belarus auch wirtschaftlich besser, weil die Betriebe des Landes für
Russlands Kriegswirtschaft produzieren.
Der Preis für Lukaschenkos Machterhalt sei eine immer größere
wirtschaftliche, finanzielle und politische Abhängigkeit von Putin.
«Souveränität aber hat Belarus immer weniger», sagte Karbalewitsch.
Gleichwohl sieht er wegen des starken Widerstands in Minsk keine
akute Gefahr, dass Russland sich den Nachbarn einverleibt.