Mehrere Juristen: Merz' Migrationspläne verletzen EU-Recht

28.01.2025 04:10

Die Union sagt, die Pläne für eine schärfere Migrationspolitik seien

juristisch geprüft. Migrationsrecht-Experten haben Bedenken - aber
nicht alle.

Berlin (dpa) - Die Unionspläne für eine schärfere Asylpolitik sind
auch unter Juristen umstritten. Mehrere Rechtsexperten sehen darin
einen Verstoß gegen europäisches Recht.

Der Gießener Professor Jürgen Bast, der sich mit internationalem
Migrations- und Flüchtlingsrecht befasst, hält dauerhafte Kontrollen
an den deutschen Grenzen nicht für zulässig. «Das Einführen von
Grenzkontrollen darf nur vorübergehend und bei einer konkreten
Gefahrenlage erfolgen», sagt er. Die Vorschläge der CDU seien so
konstruiert, dass sie die europäische Regelungsebene schlicht
ignorierten. «Der ganze Ansatz zielt genau entgegen bestimmter
Grundaussagen der EU-Verträge.» 

Recht könne man zwar ändern, aber dann müsse das auf europäischer
Ebene geschehen. «Wir sind nicht irgendwo an irgendeiner Außengrenze,
sondern wir sind mitten in der Europäischen Union», machte Bast
deutlich. «Da gibt es keine geschlossenen Grenzen und keine Abweisung
an denselben. So ist die Rechtslage.»

Unter anderem will die Union mit ihrem Antrag dauerhafte
Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern sowie ein Einreiseverbot für
alle Menschen ohne gültige Einreisedokumenten durchsetzen - auch wenn
sie ein Schutzgesuch äußern. SPD und Grüne halten
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) vor, damit teils gegen
Verfassung und Europarecht zu verstoßen. Der rechtspolitische
Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings, wies dies zurück: Die
Forderungen seien rechtlich geprüft worden.

Einreiserecht oft nicht auf Anhieb erkennbar

Ob jemand das Recht hat, einzureisen, sei an der Grenze oft nicht auf
Anhieb zu erkennen, sagt der Vorsitzende des Ausschusses
Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein, Thomas Oberhäuser. So habe
der Europäische Gerichtshof etwa schon entschieden, dass
Minderjährige nicht zurückgeschickt werden dürften. «Das heißt, m
an
muss an der Grenze zumindest feststellen: Sind es Minderjährige oder
nicht?» Das sei aber nicht Aufgabe der Bundespolizei.

Auch die Absichten, mit denen eine Person die Grenze überquert, kann
für ihr Einreiserecht entscheidend sein, so Oberhäuser. Diese müssten

folglich geprüft werden. «Es ist Aufgabe der Ausländerbehörden vor

Ort, solche Fragen zu beantworten.» Eine pauschale Zurückweisung an
der Grenze, wie von Merz gefordert, sei daher rechtswidrig, sagt
Oberhäuser. «Das ist offensichtlich mit Unionsrecht unvereinbar, was
da gefordert wird.»

Stopp im Eilverfahren?

Bast betonte, wenn jemand an der Grenze einen Anspruch auf Schutz
geltend mache, müsse ein Asylverfahren durchgeführt werden. Welcher
EU-Staat dafür zuständig ist, werde über die sogenannte
Dublin-Verordnung ermittelt. Für die Dauer der Prüfung dürfe man
einreisen und habe ein provisorisches Aufenthaltsrecht. Eine
einseitige Zurückweisung schutzsuchender Migranten und Migrantinnen
sei daher europarechtlich unzulässig. 

Wenn jemand illegal einreist und keinen Schutz sucht, ist Bast
zufolge das Land zuständig, in dem die Person angetroffen wird. Es
gebe in manchen Grenzregionen Absprachen zwischen den Staaten, dass
es anders läuft. Aber ein Mitgliedsstaat dürfe nicht einfach seine
Lasten anderen aufbürden. Das aber sei heruntergebrochen die Logik
der CDU-Vorschläge. Mit Blick auf die anderen EU-Staaten sagte Bast:
«Das werden die erstens nicht lustig finden, aber es ist ja auch
einfach rechtswidrig.» Nach seiner Einschätzung müssten
Verwaltungsgerichte das in Eilverfahren stoppen. «Noch bevor das dann
in einem längeren Verfahren auch der EuGH sagt.»

Anders sieht das der ehemalige Präsident des
Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. «Ich habe schon seit
geraumer Zeit die Ansicht vertreten, dass eine solche Zurückweisung
an den deutschen Binnengrenzen ohne weiteres zulässig ist», sagte
Papier am Freitag der «Welt». Das Asylgesetz sage ganz klar:
Ausländer, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, seien
zurückzuweisen. Ein EU-Mitgliedsstaat könne nicht Kraft Europarechts
gezwungen sein, Personen die Einreise zu gestatten, auch wenn die
Bundesrepublik für einen Asylantrag nicht zuständig oder dieser
offensichtlich aussichtslos sei. «Europarecht kann und darf eine
solche rigorose Einschränkung der deutschen Souveränität gar nicht
anordnen», so Papier. 

EU-Grundgedanke komme «ins Rutschen»

Professor Winfried Kluth von der Forschungsstelle Migrationsrecht an
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg nannte Merz'
Vorschläge einen fundamentalen Affront gegen das geltende Recht.
Erlaubt sei eine Abweichung vom Unionsrecht zur Gefahrenabwehr. Das
setze aber eine entsprechende Gefahrenlage voraus - «also dass der
Staat nicht mehr funktionsfähig ist, dass die öffentliche Sicherheit
und Ordnung - und zwar im Staat insgesamt - nicht aufrechterhalten
werden kann», sagte Kluth.

Die Pläne verstoßen aus seiner Sicht auch gegen den Grundgedanken der
Genfer Flüchtlingskonvention, dass die Lasten im Flüchtlingsrecht
geteilt werden sollen. Wenn jetzt Deutschland, das mit Frankreich die
meisten Flüchtlinge in Europa aufnehme, sich verweigere, dann gebe es
einen Dominoeffekt, sagte Kluth, der auch Vorsitzender des
Sachverständigenrats für Integration und Migration ist. Das könne
weitreichenden Folgen auf das Flüchtlingsrecht und den humanitären
Schutz insgesamt haben.

Politisch könne man das diskutieren, und viele Menschen fänden die
Vorschläge spontan gut. «Aber man muss sich als Staat auch über die
Folgen für das etablierte System im Klaren werden, wenn man eben mit
so einer Forderung an die Öffentlichkeit tritt.» Letztlich wäre es
aus seiner Sicht das Ende eines gemeinsamen europäischen Asylsystems.
«Und das hat dann ja auch zur Konsequenz, dass letztendlich ein
wichtiger Grundanker der Europäischen Union ins Rutschen kommt, weil
das humanitäre Bekenntnis in diesem Bereich ein wichtiger Teil des
europäischen Wertesystems ist, also keine Marginalie.»