Gipfel in Brüssel: Scholz lehnt EU-Schulden für Rüstung ab
04.02.2025 02:03
Um Europa effektiv aufzurüsten, braucht es laut Schätzungen eine
dreistellige Milliardensumme. Doch die Kassen vieler Staaten sind
leer. Bei einem Spitzentreffen kommen Lösungsoptionen auf den Tisch.
Brüssel (dpa) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei einem
EU-Spitzentreffen in Brüssel gemeinsamen europäischen Schulden für
Rüstungsinvestitionen erneut eine klare Absage erteilt. Eine solche
Perspektive gebe es nicht, sagte der SPD-Politiker in der Nacht zum
Dienstag nach den Beratungen. Aufgabe müsse es sein, mehr
Flexibilität für die einzelnen Länder zu schaffen.
Schuldengrenzen ausreizen statt neue Schulden aufnehmen?
Scholz spielte damit auf Überlegungen an, die Obergrenzen für
Staatsschulden und Defizite der EU-Länder auszureizen, um sich auf
mögliche Bedrohungen durch Staaten wie Russland besser vorzubereiten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte nach dem
informellen Gipfel: «Ich bin bereit, die gesamte Bandbreite der uns
im neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt zur Verfügung stehenden
Spielräume auszuloten und werde sie ausschöpfen, um eine deutliche
Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu ermöglichen.»
Von der Leyen argumentierte, die nationalen Haushalte seien durch die
EU-Schuldenregeln eingeschränkt. Für außergewöhnliche Zeiten seien
aber außergewöhnliche Maßnahmen möglich. Die Nutzung von
Ausnahmeregeln könnte den Mitgliedsstaaten viel mehr fiskalischen
Spielraum geben.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt schreibt vor, dass der
Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Gleichzeitig muss das
Defizit unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung gehalten werden.
Der Pakt war im vergangenen Jahr nach langen Verhandlungen reformiert
worden. Deutschland hatte sich dabei vehement für vergleichsweise
strenge Vorgaben eingesetzt.
EU-Kommission: Halbe Billion fehlt
Zu dem Gipfeltreffen in Brüssel hatte EU-Ratspräsident António Costa
eingeladen, um über mögliche gemeinsame Initiativen zum Ausbau der
Verteidigungsfähigkeiten und Finanzierungsfragen zu beraten.
Zahlreiche Länder hatten sich zuletzt für sogenannte Eurobonds oder
anderweitige gemeinsame EU-Finanzierungen offen gezeigt. Deutschland
und Länder wie die Niederlande und Österreich lehnen dies aber
bislang kategorisch ab.
Schätzungen der EU-Kommission zufolge sind in den nächsten zehn
Jahren zusätzliche Verteidigungsinvestitionen in Höhe von rund
500 Milliarden Euro erforderlich. Als mögliche EU-Projekte gelten
dabei zum Beispiel ein europäisches Luftverteidigungssystem und eine
verstärkte Sicherung der östlichen Landgrenze der Union.
Diskutiert wurde bei dem Spitzentreffen auch eine mögliche stärkere
Einbindung der Europäischen Investitionsbank (EIB) in
Rüstungsprojekte. Die Kommission wolle mit der EU-Förderbank
zusammenarbeiten, um die Kreditvergabe flexibler zu machen, sagte von
der Leyen.
Um die Rüstungsproduktion anzukurbeln, hatte die EU bereits 2024
zuvor geltende Vorgaben für die EIB für Geldflüsse in die Industrie
geändert. So gibt es etwa mehr Möglichkeiten für Investitionen in
sogenannte Dual-Use-Güter - also Produkte, die für zivile und
militärische Zwecke verwendet werden können, wie Hubschrauber oder
Drohnen.
Wenn die Förderbank aber auch in reine Rüstungsprojekte investieren
soll, müssten sich die 27 Mitgliedsländer auf eine Änderung des
Mandats verständigen. Kritiker haben allerdings Bedenken, dass das
gute Rating der EU-Förderbank unter einer solchen Mandatsänderung
leiden könnte. Dies könnte höhere Finanzierungskosten zur Folge
haben.
Als drittes Standbein für mehr Geld zur Aufrüstung sollen aus Sicht
der EU-Kommission auch mehr private Mittel fließen. «Wir müssen einen
Dialog mit dem privaten Bankensektor führen, damit dieser seine
Kreditvergabepraxis modernisiert», sagte von der Leyen. Auch aus der
Nato waren zuletzt Forderungen nach einem Sinneswandel der
Finanzindustrie für mehr Investitionen in Rüstungsunternehmen laut
geworden.
Bundeskanzler Scholz machte darüber hinaus deutlich, dass aus seiner
Sicht zum Beispiel strenge Wettbewerbsregeln gelockert werden
könnten, um die Leistung der europäischen Rüstungsindustrie zu
steigern. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte in Brüssel,
dass bei allen künftigen Investitionen vorrangig die europäische
Industrie profitieren sollte, um die EU im Bereich der Verteidigung
strategisch unabhängig zu machen.
Die Diskussion vom Montag wird als Beitrag zu konkreten
Gesetzesplanungen der EU-Kommissionen dienen, die im März vorgestellt
werden sollen. Weitreichende Entscheidungen könnte es beim
EU-Sommergipfel Ende Juni geben.