Ukraine und USA planen neues Treffen - Scholz bei EU-Gipfel
06.03.2025 05:00
Vor dem EU-Gipfel zur Ukraine ergreift Macron eine Initiative: Er
prüfe, ob Verbündete unter den französischen Schutzschirm rücken
könnten. Außerdem schlägt er ein weiteres Treffen vor.
Brüssel/Paris (dpa) - Unmittelbar vor einem EU-Krisentreffen zur
Ukraine in Brüssel nähern sich die USA und das von Russland
überfallene Land an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
sagte in seiner abendlichen Videobotschaft: «Heute haben unsere Teams
- die der Ukraine und der USA - damit begonnen, ein Treffen
vorzubereiten.» Derweil prüft der französische Präsident Emmanuel
Macron, ob Verbündete unter den Schutzschirm der Atomwaffen seines
Landes rücken könnten. Zudem plant er in der kommenden Woche ein
internationales Treffen zur möglichen Entsendung von Friedenstruppen
in die Ukraine.
In Brüssel wollen heute die Staats- und Regierungschefs der EU auf
einem Gipfel über ihre Reaktion auf das beispiellose Zerwürfnis
zwischen US-Präsident Donald Trump und Selenskyj am Freitag beraten.
Das Treffen im Weißen Haus war vorzeitig abgebrochen worden, ein
geplantes Rohstoffabkommen kam nicht zustande, die USA setzten ihre
Waffenhilfe aus. Auf dem EU-Sondergipfel soll es um die Erhöhung der
Verteidigungsausgaben gehen, um die Ukraine weiter zu unterstützen
und die europäische Verteidigungskapazität deutlich zu verbessern.
Vertrauensbildende Maßnahmen für russische Seite
Selenskyj sagte, zur Vorbereitung eines Treffens mit den USA habe
sein Kanzleichef Andrij Jermak mit US-Sicherheitsberater Michael
Waltz telefoniert. «Wir sehen eine neue Dynamik.» Erste Ergebnisse
gebe es womöglich schon nächste Woche. Wer an einem möglichen Treffen
teilnehmen soll, blieb offen.
Waltz sagte dem Sender Fox News: «Ich denke, wir bewegen uns in eine
positive Richtung.». Derzeit spreche man mit den Ukrainern über
«einen Ort, ein Datum, ein Verhandlungsteam». Auch
«vertrauensbildende Maßnahmen» sollen Thema bei dem Treffen sein.
Diese sollten schließlich der russischen Seite unterbreitet werden,
«um zu testen», wie sie darauf reagiere. «Gestern und heute waren ein
positiver Schritt nach vorn, um zu sagen: Wir werden diese
Friedensverhandlungen führen».
Nach Angaben Jermaks wurden Schritte für «einen gerechten und
dauerhaften Frieden» besprochen. Zudem habe es einen
Meinungsaustausch zu Fragen der Sicherheit und der Harmonisierung der
bilateralen Beziehungen gegeben. Ein Treffen in nächster Zeit sei
vereinbart worden.
Macron ergreift die Initiative
Derweil erwägt Macron, verbündete Länder unter den Schutz der
französischen Atomwaffen zu stellen. Macron sagte am Abend in einer
Fernsehansprache, Frankreichs nukleare Abschreckung habe seit 1964
ausdrücklich immer eine Rolle bei der Wahrung des Friedens und der
Sicherheit in Europa gespielt.
«Aber als Antwort auf den historischen Aufruf des zukünftigen
deutschen Kanzlers habe ich beschlossen, die strategische Debatte
über den Schutz unserer Verbündeten auf dem europäischen Kontinent
durch unsere Abschreckung zu eröffnen.» Die Entscheidungshoheit über
die französischen Atomwaffen bleibe aber in den Händen Frankreichs.
Der wahrscheinliche künftige Bundeskanzler Friedrich Merz hatte im
Wahlkampf Gespräche mit den europäischen Atommächten über eine
nukleare Teilhabe von Deutschland angeregt. Neben Frankreich wäre
dies Großbritannien. Neu ist der Vorstoß Macrons zur Einbeziehung von
Partnerländern in die nukleare Abschreckung Frankreichs nicht.
Erstmals hatte Macron 2020 in einer viel beachteten Grundsatzrede
eine Ausweitung des nuklearen Schutzschirms Frankreichs auf
europäische Partnerländer angeregt. Angesichts der Kehrtwende in der
US-Verteidigungspolitik gewinnt die Idee neue Aktualität.
Macron plant zudem in der kommenden Woche ein internationales Treffen
zur möglichen Entsendung von Friedenstruppen in die Ukraine. «Damit
die Ukraine nach einem Friedensschluss nicht wieder von Russland
überfallen wird, müssen wir sie darauf vorbereiten», sagte er.
«Nächste Woche werden wir in Paris die Generalstabschefs der Länder
versammeln, die ihre Verantwortung in dieser Hinsicht wahrnehmen.»
Macron forderte eine langfristige Unterstützung der ukrainischen
Armee. Vielleicht würden dafür auch europäische Streitkräfte
entsendet, sagte er. «Diese würden nicht heute kämpfen, sie würden
nicht an der Frontlinie kämpfen, sondern sie würden nach der
Unterzeichnung des Friedens dort sein, um dessen Einhaltung zu
gewährleisten», meinte Macron weiter.
Selenskyj bedankte sich auf der Plattform X bei Macron: «Frieden muss
real sein, nicht nur ein Wort - er darf nicht die Kapitulation oder
den Zusammenbruch der Ukraine bedeuten. Er muss gerecht, verlässlich
und dauerhaft sein, und das kann nur durch starke und langfristige
Sicherheitsgarantien erreicht werden - für die Ukraine, Europa und
die ganze Welt.»
Abstimmung zwischen Merz und Scholz
Bei dem EU-Gipfel heute in Brüssel ist Selenskyj auch dabei. Für
Deutschland reist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Belgien. Der
wahrscheinlich künftige Kanzler Merz (CDU) kam bereits am
Mittwochabend in Brüssel an und traf sich mit
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Nato-Generalsekretär
Mark Rutte und der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas. Am Donnerstag
nimmt er an einem Treffen mit konservativen Regierungschefs teil -
aber nicht am Gipfel selbst.
Merz und Scholz stimmten sich am Mittwoch bei einem Treffen im
Kanzleramt ab, damit sie in Brüssel mit einer Stimme sprechen. «Wir
müssen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen
müssen», schrieb Merz nach seiner Ankunft in Brüssel auf X. «Jetzt
ist die Zeit, Europa sicherer und wehrhafter zu machen.»
Geld für Aufrüstung gesucht
Die EU-Staaten sind sich weitestgehend einig darüber, dass die
Verteidigungsausgaben deutlich erhöht werden müssen. Für viele
Regierungen stellt sich allerdings die Frage, woher das Geld dafür
kommen soll. Diskutiert wird etwa der Plan der EU-Kommission zur
Aufrüstung Europas, die auch mit EU-Darlehen und veränderten
Regelungen bei der Kreditvergabe der Europäischen Investitionsbank
finanziert werden soll.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und sein slowakischer
Kollege Robert Fico signalisierten allerdings bereits ihren
Widerstand gegen eine gemeinsame Gipfelerklärung zugunsten der
Ukraine. Beide befürworten Trumps Kurs im Ukraine-Konflikt und
pflegen enge Beziehungen zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
Ukraine bleibt in Bedrängnis
Die Ukraine ist derweil weiter russischen Schlägen ausgesetzt. So
traf in der Nacht eine russische Rakete die Industriestadt Krywyj
Rih. Dabei wurden mindestens zwei Menschen getötet und sieben weitere
verletzt. Unter den Trümmern eines mehrstöckigen Gebäudes wurden noch
weitere Opfer vermutet.