Sechste EZB-Zinssenkung seit Sommer - war es das? Von Jörn Bender und Alexander Sturm, dpa
06.03.2025 15:52
Gut für Kreditnehmer, schlecht für Sparer: Die Leitzinsen sinken
erneut. Wie die EZB fortfährt, ist ungewiss - auch wegen Trump und
des Schuldenpakets aus Berlin. Gerade deutsche Notenbanker bremsen.
Frankfurt/Main (dpa) - Nach der sechsten Zinssenkung seit Sommer 2024
schwindet der Spielraum der Europäischen Zentralbank (EZB). Ein Ende
der Serie schon im April wird wahrscheinlicher. «Wir haben überall
Risiken, überall Unsicherheit», sagte EZB-Präsidentin Christine
Lagarde in Frankfurt.
Mit Donald Trump drohen Europa nicht nur Handelskonflikte, auch hat
der US-Präsident die Weltordnung auf den Kopf gestellt, was eine
massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben nach sich zieht. Ökonomen
fürchten ein Anziehen der Inflation im Euroraum.
Zunächst verringerte die EZB die Leitzinsen im Euroraum weiter: Den
für Banken und Sparer wichtigen Einlagensatz senkt die Notenbank um
0,25 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent. Niedrigere Zinsen helfen der
zunehmend schwachen Konjunktur im Euroraum, weil Kredite tendenziell
günstiger werden.
Neues Schuldenpaket aus Berlin als Inflationstreiber?
Andreas Bley, Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen
Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), fordert von der EZB
Zurückhaltung bei weiteren Zinsschritten: «Der Inflationsausblick hat
sich spätestens mit dem finanzpolitischen Paukenschlag von CDU/CSU
und SPD gedreht.» Die Staatsausgaben dürften insbesondere in
Deutschland, aber auch im Euroraum auf Jahre hinaus stark steigen.
Union und SPD wollen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für
Verteidigungsausgaben lockern. Außerdem soll ein Sondervermögen für
die Instandsetzung der Infrastruktur mit 500 Milliarden Euro
geschaffen werden. Die Aussicht auf enorme neue Schulden lassen die
Zinsen an den Kapitalmärkten bereits steigen, während die EZB die
Kreditkosten für Firmen eigentlichen drücken will.
Ifo-Präsident Clemens Fuest hält den Spielraum für weitere
Zinssenkungen für ausgeschöpft: «Steigende Löhne und wachsende
staatliche Neuverschuldung könnten dazu führen, dass die Inflation
nicht weiter sinkt, sondern eher wieder steigt.» Und Heiner
Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB, verweist
auf drohende Zollkonflikte mit den USA: «Das Risiko, dass die
US-Zollpolitik auch im Euroraum die Inflation wieder steigen lässt,
nimmt zu - etwa durch Gegenzölle der Europäischen Union.»
Sinkende Zinsen für Sparer
Für Sparer ist die erneute Leitzinssenkung keine gute Nachricht:
Bekommen Geschäftsbanken weniger Zinsen für Gelder, die sie bei der
EZB parken, senken sie meist die Tages- und Festgeldzinsen für ihre
Kundschaft. Auf die Bauzinsen dürfte die erneute Leitzinssenkung
hingegen keinen Einfluss haben, der Zinsschritt ist Experten zufolge
schon eingepreist.
Die Tagesgeldzinsen in Deutschland sind seit Frühjahr vergangenen
Jahres kontinuierlich gesunken. Im Februar brachten bundesweit
verfügbare Angebote im Schnitt 1,48 Prozent nach 1,56 Prozent im
Januar, wie eine Auswertung des Vergleichsportals Verivox zeigt.
Die EZB verringert nicht nur den Einlagenzins, sondern auch den Zins,
zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der Notenbank besorgen
können, weiter: Statt 2,9 Prozent werden dafür nach der jüngsten
Entscheidung des EZB-Rates 2,65 Prozent Zinsen fällig.
Noch weniger Wachstum in Europa erwartet
Manche Volkswirte halten es trotz wachsender Unsicherheit für
möglich, dass die EZB den Einlagenzins bis Sommer noch etwas
heruntersetzen wird, um die Konjunktur anzukurbeln. Nach jüngster
EZB-Prognose dürfte die Wirtschaft im Euroraum 2025 nur noch um 0,9
Prozent wachsen. Im Dezember hatte die Notenbank ihre Vorhersage
bereits auf 1,1 Prozent verringert.
Für weitere Zinssenkungen spricht auch, dass die Notenbank ihr Ziel
stabiler Preise in greifbarer Nähe sieht. Bei mittelfristig 2,0
Prozent Inflation sieht die EZB ihr Hauptziel stabiler Preise und
somit einer stabilen Währung im Euroraum erreicht. Allerdings
erwartet die Notenbank, dass die Inflation langsamer schwindet als
zuletzt vorhergesagt. Statt 2,1 Prozent erwarte die EZB nun für
dieses Jahr eine Rate von 2,3 Prozent.
Im Februar lagen die Verbraucherpreise im Euroraum nach
Eurostat-Schätzung um 2,4 Prozent über dem Niveau des
Vorjahresmonats. Zuvor war die Rate vier Monate in Folge bis auf 2,5
Prozent im Januar gestiegen.
Inflationswelle gebrochen
Unbestritten ist aber, dass die Inflationswelle im Zuge des
Ukraine-Krieges gebrochen ist. Inzwischen hat sich die Inflation im
Euroraum weit von ihrem Rekordhoch bei 10,7 Prozent im Herbst 2022
entfernt: Im Jahresschnitt 2024 lag sie bei 2,4 Prozent.
Deutscher Widerstand gegen weitere Zinssenkungen
Weil Zollkonflikte mit den USA die Teuerung anheizen könnten, warnen
manche Notenbanker vor zu weitgehenden Zinssenkungen. Kürzlich hatte
EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel eine Diskussion über ein
Ende der Serie von Zinssenkungen angeregt: «Wir nähern uns dem Punkt,
an dem wir möglicherweise bei den Zinssenkungen pausieren oder
stoppen müssen», sagte Schnabel der «Financial Times». Auch
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel mahnte kürzlich, «mit Blick auf
weitere Zinssenkungen nichts zu überstürzen».