Europa, die Ukraine und das neue Wettrüsten Von Katharina Redanz, Ansgar Haase und Michael Fischer, dpa

06.03.2025 16:59

Die außenpolitische Kehrtwende der USA unter Trump mischt Europa auf.
Bei einem Krisengipfel berät die EU über die Konsequenzen. Es geht um
Milliardenbeträge, Waffen und die Stachelschwein-Strategie.

Brüssel (dpa) - Nach dem Eklat mit US-Präsident Donald Trump im
Weißen Haus sucht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
Rückendeckung in Europa. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen sicherte ihm zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel anhaltende
Unterstützung für den «existenziellen Kampf» der Ukraine um ihre
Souveränität und territoriale Integrität zu. 

Bei dem Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs geht es vor allem
um die Frage, wie die EU ihre Verteidigungsausgaben erhöhen kann, um
die Ukraine weiter zu unterstützen und die europäische
Verteidigungskapazität deutlich zu verbessern. Die Zeit drängt,
spätestens seit die USA ihre Waffenhilfe für das von Russland
angegriffene Land ausgesetzt haben und die Gräben zwischen Washington
und Kiew tiefer werden.

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sagte, Europa müsse die
Herausforderung des Wettrüstens annehmen - und gewinnen. «Europa als
Ganzes ist tatsächlich in der Lage, jede Konfrontation mit Russland
zu gewinnen - finanziell, wirtschaftlich, militärisch», sagte er.
«Wir sind einfach stärker, wir müssten nur anfangen, daran zu
glauben, und heute geschieht dies wohl.»

Ob es dem Staatenverbund allerdings gelingt, ein gemeinsames Signal
zu senden, war nach den ersten Gipfelstunden am Nachmittag offen. Das
liegt vor allem an einem Trump-Freund in der Runde.

Worum geht es beim Gipfel?

Trump und sein Team machen seit Wochen deutlich, dass sie
Verhandlungen über ein Ende des russischen Angriffskrieges erzwingen
wollen - koste es, was es wolle. Konkret sieht das bislang so aus,
dass Trump etwa die US-Militärhilfe für die Ukraine stoppen ließ. 


Die Europäer müssen daher aufrüsten - und das massiv und schnell.
Geheimdienste gehen davon aus, dass Russland spätestens 2030
militärisch in der Lage sein dürfte, einen weiteren Krieg zu
beginnen. Davon abgeschreckt werden kann es möglicherweise nur, wenn
die EU-Staaten bis dahin ihre militärischen Fähigkeiten erheblich
ausbauen. Derzeit sind viele Streitkräfte in einem eher schlechten
Zustand, weil in den Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges
Verteidigungsausgaben heruntergefahren wurden.

Die EU-Staaten sind sich weitestgehend einig darüber, dass die
Verteidigungsausgaben deutlich erhöht werden müssen. «Europa
aufrüsten, für Verteidigung und Abschreckung ausgeben, ausgeben,
ausgeben - das ist die wichtigste Botschaft», sagte die dänische
Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bei ihrer Ankunft zum Treffen. 

Für viele Regierungen stellt sich allerdings die Frage, woher das
Geld dafür kommen soll - zumal der zusätzliche Investitionsbedarf von
der EU-Kommission zuletzt auf eine hohe dreistellige Milliardensumme
Euro geschätzt wurde und Länder wie Frankreich und Italien bereits
jetzt hoch verschuldet sind.

Gibt es einen Plan?

Die für Vorschläge und Gesetzesinitiativen zuständige EU-Kommission
hat einen Plan mit dem Namen «ReArm Europe» (etwa: Europa wieder
aufrüsten) erstellt und hofft, dass er beim EU-Gipfel die notwendige
Zustimmung bekommt. Mit mehreren Maßnahmen könnten insgesamt fast
800 Milliarden Euro mobilisiert werden, hofft Präsidentin Ursula von

der Leyen.

So soll es nach Willen der Behörde unter anderem ein EU-Darlehen in
Höhe von bis zu 150 Milliarden Euro - etwa für die Anschaffung von
Luft- und Raketenabwehr, Artilleriesystemen und Drohnen - geben. Die
Europäische Investitionsbank (EIB) soll nach Willen der Behörde zudem
ihre Regeln für die Kreditvergabe so ändern, dass auch reine
Rüstungsprojekte gefördert werden können. 

Weiter schlägt die Kommission vor, dass die einzelnen Mitgliedstaaten
bei Verteidigungsausgaben eine Sonderregel zu den EU-Schuldenregeln
für einen Zeitraum von vier Jahren nutzen können. Damit könnten sie
dann für die Aufrüstung neue Kredite aufnehmen, ohne ein
EU-Defizitverfahren zu riskieren. 

Was bringt Kanzler Scholz mit nach Brüssel? 

Deutschland will mit Blick auf die Schuldenregeln eine andere Lösung.
Es müsse langfristig sichergestellt werden, «dass die Staaten so viel
für Verteidigung aufwenden können, wie sie selber und mit ihren
Freunden und Bündnispartnern für richtig halten», sagte Bundeskanzler

Olaf Scholz in Brüssel. «Und deshalb müssen wir auch langfristig zur

Veränderung des Regelwerks in Europa kommen.» 

Scholz' Forderung hat wohl auch damit zu tun, dass sich Union und SPD
in Deutschland gerade dauerhaft riesige Spielräume für
Verteidigungsausgaben schaffen wollen. Verteidigungsausgaben über
einer bestimmten Grenze sollen von der Schuldenbremse ausgenommen
werden. Gibt es auf EU-Ebene nur eine temporäre Ausnahme, würde
Deutschland wahrscheinlich perspektivisch immer wieder Strafverfahren
riskieren.

In Brüssel wird die geplante Lockerung der deutschen Schuldenbremse
als Wendepunkt verstanden. Bislang stand Deutschland mit Scholz nicht
gerade im Mittelpunkt bei den diplomatischen Bemühungen um Frieden in
der Ukraine und den Ausbau der Verteidigungskapazitäten des
Kontinents. An einem europäischen Friedensplan arbeiten nun
Großbritannien und Frankreich federführend mit der Ukraine. 

Welche Schwierigkeiten gibt es?

Schwierig bei der Zusicherung weiterer EU-Unterstützung an die
Ukraine ist, dass weitreichende Entscheidungen der
Staatengemeinschaft einstimmig getroffen werden müssen und
insbesondere mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ein Politiker
mitentscheidet, der ganz auf der Linie Trumps ist. 

Orban hat für den Gipfel bereits eine Blockade von
Unterstützungsentscheidungen für die Ukraine angekündigt. Auch sein
slowakischer Amtskollege Robert Fico signalisierte Widerstand gegen
eine gemeinsame Gipfelerklärung zugunsten der Ukraine. Beide
befürworten Trumps Kurs im Ukraine-Konflikt und pflegen enge
Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin.

Könnte es dennoch weitere Unterstützung aus der EU geben?

Geplant werden unter anderem weitere Zusagen für Militärhilfen, die
im Fall eines Vetos von Ungarn auch auf freiwilliger Basis gegeben
werden könnten. Zunächst einmal geht es darum, dass die Ukraine nicht
in einer Position der Schwäche in mögliche Gespräche mit Russland
gehen muss - und auch für die Situation gewappnet ist, dass Putin
eigentlich gar nicht verhandeln will. 

Zudem wird in der EU darüber beraten, wie Russland nach einem
möglichen Waffenstillstand davon abgehalten werden könnte, die
Ukraine erneut anzugreifen. Neben der vor allem von Frankreich und
Großbritannien erwogenen internationalen Truppenpräsenz ist dabei
insbesondere die sogenannte Stachelschwein-Strategie (Porcupine
Strategy) im Gespräch. Sie würde zum Beispiel bedeuten, der Ukraine
Waffensysteme zu liefern, mit denen sie im Fall einer erneuten
russischen Aggression deutlich stärker zurückschlagen könnte als
bislang. Dazu könnten auch deutsche Taurus-Marschflugkörper zählen,
die Bundeskanzler Scholz der Ukraine bislang immer verweigerte.