EU reagiert mit massiver Aufrüstung auf Trump Von Michael Fischer, Katharina Redanz, Stella Venohr, Marek Majewsky, Sarah Knorr, Jan Freybott, dpa

06.03.2025 22:10

Ist Europa ohne den Schutz der USA verloren? Die EU versucht diesem
Eindruck entgegenzuwirken, indem sie mit einem umfassenden Programm
ins Wettrüsten mit Russland einsteigt.

Brüssel (dpa) - Mit einem massiven Aufrüstungsprogramm reagiert die
EU auf die außenpolitische Kehrtwende der USA unter Präsident Donald
Trump. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten
stellten sich bei ihrem Krisengipfel in Brüssel grundsätzlich hinter
die Initiative der EU-Kommission, nach der bis zu 150 Milliarden Euro
an Krediten für Verteidigungsinvestitionen bereitgestellt und
Ausnahmen in den EU-Schuldenregeln für Verteidigung ermöglicht werden
sollen. Bei der weiteren Unterstützung der Ukraine gab es dagegen
keine Einigung, weil der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban
ausscherte - ein Freund Trumps. 

Seit Trumps Amtsantritt wachsen in der EU die Zweifel daran, dass
Europa noch auf den Schutz der USA, vor allem vor der Bedrohung aus
Russland, zählen kann. Das Treffen in Brüssel war eine Reaktion
darauf. In der Abschlusserklärung aller 27 EU-Spitzen heißt es, die
EU werde «ihre allgemeine Verteidigungsbereitschaft erhöhen, ihre
strategischen Abhängigkeiten verringern, ihre kritischen
Fähigkeitslücken schließen und die europäische
verteidigungstechnologische und -industrielle Basis stärken».

«Entscheidender Moment für Europa»

Eine Grundlage der Beratungen war ein Anfang der Woche von der
EU-Kommission vorgestellter Plan mit dem Namen «ReArm Europe» (etwa:

Europa wieder aufrüsten). Ziel ist es, mit mehreren Maßnahmen
insgesamt fast 800 Milliarden Euro zu mobilisieren. Unter anderem
soll die Europäische Investitionsbank (EIB) ihre Regeln für die
Kreditvergabe so ändern, dass mehr Investitionen in Rüstungsprojekte
gefördert werden können. 

«Dies ist ein entscheidender Moment für Europa», sagte
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits zu Beginn des
Gipfels. «Europa sieht sich einer klaren und gegenwärtigen Gefahr
gegenüber, und deshalb muss Europa in der Lage sein, sich selbst zu
schützen, sich zu verteidigen.»

Nur 26 Staaten bekräftigen Ukraine-Unterstützung

Bei der Ukraine-Hilfe konnten sich dagegen nur 26 Mitgliedstaaten
einigen - ohne Orban. Schon vor dem Gipfeltreffen in Brüssel hatte
der ungarische Regierungschef seine Blockadehaltung in einem Brief an
EU-Ratspräsident Antonio Costa deutlich gemacht. Es gebe
«strategische Unterschiede in unserem Ansatz gegenüber der Ukraine»,

schrieb er. Die EU solle dem Beispiel der USA folgen und direkte
Gespräche mit Russland über einen Waffenstillstand und eine Einigung
in der Ukraine führen. 

In einer Erklärung der 26 Staats- und Regierungschefs bekräftigen
sie, dass sie die «Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale
Unversehrtheit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten
Grenzen» weiterhin und uneingeschränkt unterstützen - inklusive
Waffenlieferungen. Außerdem fordern sie für eine Beendigung des
Krieges unter anderem glaubwürdige Sicherheitsgarantien und keine
Friedensverhandlungen ohne ukrainische oder europäische Vertreter.

Weiterhin werden die EU-Kommission, die Slowakei und die Ukraine
aufgerufen, ihre Bemühungen für eine Lösung der Gasversorgung der
Slowakei zu verstärken. Die Erwähnung dieser slowakischen Forderung
war eine Bedingung des linksnationalen Ministerpräsident Robert Fico,
der Erklärung zuzustimmen. Die Ukraine stellte, wie lange davor
angekündigt, zu Jahresbeginn die Durchleitung von russischem Gas
durch ihr Territorium in mehrere EU-Länder ein. Seitdem liegt sie im
Streit mit ihrem Nachbarland Slowakei.

Gedemütigter Selenskyj wird mit offenen Armen empfangen

Zu dem Gipfel reiste auch Wolodymyr Selenskyj an, um sich bei der EU
für die bisher geleistete Hilfe zu bedanken. «Sie haben ein starkes
Signal an das ukrainische Volk, an die ukrainischen Krieger, an die
Zivilbevölkerung, an alle unsere Familien gesendet», sagte er. «Wir
sind sehr dankbar, dass wir nicht allein sind. Das sind nicht nur
Worte. Wir fühlen es.» Der zuletzt bei seinem Besuch im Weißen Haus
gedemütigte ukrainische Präsident wurde in Brüssel mit offenen Armen

empfangen.

Nuklearer Schutzschirm: Scholz lässt Macron abblitzen 

Für Gesprächsstoff sorgte der französische Präsident Emmanuel Macro
n
mit seinem erneuten Vorstoß für einen europäischen nuklearen
Schutzschirm, der auf französischen Atomwaffen basiert. Der
scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich zurückhaltend

dazu. Der SPD-Politiker sprach sich dafür aus, die bestehende
nukleare Abschreckung der Nato beizubehalten, die auf den Atomwaffen
der USA basiert. «Und ich glaube, das soll nicht aufgegeben werden,
ist die gemeinsame Auffassung aller zentralen Parteien in
Deutschland.»

Merz gab Anstoß für Macrons Initiative

Zuvor hatte Macron als Reaktion auf Trumps Kurswechsel seine schon
fünf Jahre alten Überlegungen zu einer gemeinsamen nuklearen
Abschreckung bekräftigt. Er hatte dabei an eine Aussage des
potenziellen Nachfolgers von Scholz - CDU-Chef Friedrich Merz -
angeknüpft. «Als Antwort auf den historischen Aufruf des zukünftigen

deutschen Kanzlers habe ich beschlossen, die strategische Debatte
über den Schutz unserer Verbündeten auf dem europäischen Kontinent
durch unsere Abschreckung zu eröffnen.» Die Entscheidungshoheit über

einen Einsatz will er aber allein bei Frankreich belassen.

Merz hatte kurz vor der Bundestagswahl im ZDF gesagt, man müsse mit
den europäischen Atommächten Großbritannien und Frankreich über
nukleare Zusammenarbeit reden. Die Frage einer größeren nuklearen
Unabhängigkeit Europas sei in der Fachwelt schon seit Jahren Thema.
«Nur sie ist leider in der politischen Welt bis heute nicht
ausreichend diskutiert worden.»

Noch etwa 100 US-Atombomben in Europa stationiert

Die USA haben Expertenschätzungen zufolge noch etwa 100 Atombomben in
Europa stationiert - einige davon sollen auf dem Fliegerhorst Büchel
in der Eifel lagern. Im Ernstfall sollen sie von Kampfjets der
Bundeswehr eingesetzt werden. Auch in Belgien, den Niederlanden,
Italien und in der Türkei sollen noch US-Atombomben stationiert sein.
Offizielle Angaben gibt es dazu nicht.

Macron hatte Deutschland und anderen EU-Partnern bereits 2020 während
der ersten Amtszeit des US-Präsidenten Gespräche über eine
europäische Kooperation bei der atomaren Abschreckung angeboten. Bei
der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stieß er aber zunächst
auf genauso wenig Resonanz wie bei Scholz.

Merz auch in Brüssel - aber nicht beim Gipfel

Macron setzt nun darauf, dass er mit Merz einen echten Verbündeten
für seine Idee findet. Der war am Donnerstag ebenfalls in Brüssel -
aber nur zum Treffen der konservativen Staats- und Regierungschefs
sowie Parteivorsitzenden vor dem Gipfel.