«Weißer Tsunami»: Drogenmafia überschwemmt Europa mit Koks Von Emilio Rappold und Michael Evers, dpa
18.03.2025 06:30
Spanien und Frankreich werden zunehmend zu Einfallstoren der
Kokainmafia in Europa. Die Banden werden immer aggressiver und
einfallsreicher, die Mengen immer größer.
Madrid/Paris (dpa) - So etwas hatten die spanischen Beamten noch nie
erlebt: Bei der Durchsuchung des Hauses eines Polizeichefs im
Madrider Vorort Alcalá de Henares fanden sie versteckt hinter den
Wänden mehr als 20 Millionen Euro - mutmaßlich Schmiergeld aus
Drogendeals. Ähnlich außergewöhnlich war kurz zuvor im Hafen von
Algeciras die Entdeckung von 13 Tonnen Kokain in einer Bananenladung
aus Ecuador. So viel Koks war zuvor in Spanien noch nie auf einmal
beschlagnahmt worden. Die Arbeit der Drogenfahnder wird im
beliebtesten Urlaubsland der Deutschen immer schwieriger und
hollywoodreifer.
Europa wird via Spanien mit Kokain überschwemmt
«Ganz Europa wird derzeit mit Kokain überschwemmt, und Spanien spielt
eine wichtige Rolle als Tor zum Kontinent», warnte jüngst der
Regierungsbeauftragte für den Nationalen Drogenplan, Joan Ramón
Villalbí, im Parlament in Madrid. Nur wenige Tage nach dieser Aussage
von Villalbí meldete die spanische Polizei im März zwei weitere
spektakuläre Schläge mit vielen Festnahmen, und zwar in Madrid und
auch im Luxusbadeort Marbella, dem «spanischen Saint Tropez».
Die Zahlen sprechen für sich: 2023 verdoppelte sich in Spanien die
beschlagnahmte Kokainmenge im Vergleich zum Vorjahr auf 118 Tonnen.
Vor fünf Jahren waren es lediglich 37 Tonnen gewesen. Zahlen für 2024
liegen noch nicht vor, ein weiterer deutlicher Anstieg gilt aber als
sicher.
Es werde zwar immer mehr beschlagnahmt, gleichzeitig komme mit
Sicherheit immer mehr durch, sagte ein Drogenfahnder der Deutschen
Presse-Agentur. Am Wochenende erst meldete Europol die Beschlagnahme
von 73 Tonnen Kokain, die von Ecuador aus über kriminelle Netzwerke
in Deutschland und Spanien in die EU geschmuggelt werden sollten.
Die Nachbarn Frankreich und Portugal verzeichnen ähnliche
Aufwärtstrends wie Spanien. In den Medien und auch bei Fahndern
Südwesteuropas ist mittlerweile von einem «weißen Tsunami» die Rede
.
Besorgniserregend ist die Lage etwa in Le Havre im Norden
Frankreichs, nach wie vor einer der wichtigsten Umschlagplätze für
Kokain in Europa. 2018 wurden dort 3,6 Tonnen beschlagnahmt, 2019 und
2020 waren es jeweils über 10 und 2024 bereits 13 Tonnen.
Wichtige Umschlagplätze
Der Anstieg werde auch durch den Ausbau der Häfen und den höheren
Umschlag in Le Havre und Dunkerque begünstigt, schrieb die Zeitung
«Le Parisien». Vor einigen Tagen beschlagnahmte der Zoll im Hafen von
Dunkerque knapp zehn Tonnen Kokain im Wert von 660 Millionen Euro.
In den Niederlanden nimmt man derweil an, dass Drogenbanden zunehmend
nach Spanien und Frankreich ausweichen, weil die
Sicherheitsvorkehrungen im Norden immer strenger werden. «In den
internationalen Handelsströmen von Kokain ändert sich viel», sagte
Jan Janse von der Rotterdamer Hafenpolizei. Dort, im größten Hafen
Europas, wurden 2024 deutlich weniger Drogen konfisziert - rund
26.000 Kilogramm, vor allem Kokain, im Vergleich zu fast 45.000
Kilogramm im Vorjahr. Es war der dritte Rückgang in Serie. Auch in
Antwerpen und Hamburg wurden laut Janse zuletzt weniger Drogen
beschlagnahmt.
Ein Milliardengeschäft
Das Geschäft mit dem «Schnee» aus Südamerika boomt jedenfalls in
Südwesteuropa. In Frankreich wird ein Umsatz von drei bis sechs
Milliarden Euro pro Jahr geschätzt, in Spanien sollen es inzwischen
sogar mehr als acht Milliarden sein. Die Gründe? Es gibt einige.
Villalbí berichtete sichtlich besorgt, die Produktion sei in
Lateinamerika auf «Rekordniveau» angestiegen.
Die Drogenmafia wird beim Versuch, die Behörden in Europa
auszutricksen, zudem immer einfallsreicher. Kokain wird inzwischen
nicht nur in Containern zwischen Bananen und Autoteilen oder in
Reissäcken versteckt. Im Mittelmeer werden an der Straße von
Gibraltar modernste Schnellboote eingesetzt. Und seit wenigen Jahren
wird in selbstgebauten U-Booten Kokain tonnenweise über den Atlantik
nach Europa gebracht. Außerdem gibt es einen weiteren, relativ neuen
Trend: Kokain wird zunehmend auch in Labors in Europa aus Cocapaste
produziert.
Und wenn in größeren Häfen die Kontrollen strenger werden, weichen
die Händler in Spanien und in Frankreich nach Behördenerkenntnissen
auf kleinere, weniger gesicherte Häfen. Verstärkt bedienen sich die
Kriminellen zudem der sogenannten «Drop-Off-Methode»: Sie werfen
Drogenpakete von Frachtschiffen ab, damit kleinere Boote sie später
einsammeln können. Das geht manchmal allerdings schief - vor knapp
zwei Jahren wurden am Ärmelkanal bei Cherbourg zwei Tonnen Kokain an
Stränden angespült.
Die Zunahme des Angebots drückt den Preis gewaltig: Für ein Kilo
Kokain werde mit 16.000 Euro nur noch halb so viel wie noch vor zwei
Jahren bezahlt, erzählte ein Fahnder der spanischen Zeitung «El
Mundo». Die einstige Upper Class-Droge sei in ganz Europa längst in
der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Das Problem spürt man auch in Deutschland
Die Kokainschwemme bleibt nicht ohne Folgen. Auch in Deutschland
spürt man das. Zwischen 2015 und 2021 stieg der Anteil der 18- bis
59-Jährigen, die jährlich Kokain konsumieren, von 0,6 auf 1,6
Prozent, wie es im Jahresbericht 2024 der Deutschen
Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hieß.
Drogenhandel ist aber nicht nur ein großes Gesundheitsproblem. In
Spanien wird bereits eine alarmierende Zunahme der Gewalt
registriert, die von den «Narcos» - den Drogenkriminellen - ausgeht.
Es gibt Entführungen auf Gran Canaria, immer mehr Schießereien in
Katalonien und in Andalusien, immer mehr Drogendelikte auf Mallorca.
Voriges Jahr wurde etwa in Barcelona ein Hafenarbeiter von der Mafia
ermordet, und zwei Fahnder starben im Hafen der südlichen Stadt
Barbate, als ein Drogenhändler sie mit seinem Schnellboot absichtlich
überfuhr.
Die Kokainmafia agiert immer einfallsreicher - und aggressiver
Barbate sei «eines der traurigsten und schlimmsten Ereignisse, die
wir je erlebt haben. Es zeigt den Verlust des Respekts vor der
Autorität, ein Problem, das besonders in Andalusien zu beobachten
ist, sich aber auch auf andere Teile des Landes ausbreiten könnte»,
warnte die Antidrogenstaatsanwältin Rosa Ana Morán im Interview der
Deutschen Presse-Agentur. Die Drogenbanden setzten immer häufiger
Waffen ein. «Gefährliche, gewaltbereite ausländische Banden, vor
allem Albaner» seien zunehmend in den Drogenschmuggel involviert.
Die neuen Akteure, die hinter der «weißen Flut» stehen, darunter auch
Gruppen aus dem Balkan und aus Schweden, und auch die
niederländisch-marokkanische «Mocro-Mafia», die in Spanien immer
aktiver wird, agieren aggressiver als frühere Player, investieren
große Summen und nehmen hohe Verluste in Kauf. «Wenn ein Container
mit Drogen beschlagnahmt wird, ist das eingepreist», sagte ein
Drogenfahnder der Deutschen Presse-Agentur.
Und: «Der Drogenhandel bewegt enorme Beträge und hat eine enorme
Fähigkeit, Beamte und auch Privatunternehmen zu korrumpieren»,
erklärt Morán. Neben dem Polizeichef in Madrid habe man im vorigen
Jahr einen weiteren hochrangigen Beamten dingfest machen können.
Bei der Politik schrillen die Alarmglocken
Der Kokainboom versetzt die Politik bereits in Alarmzustand. Die
Niederlande, wo die Mafia den prominenten Kriminalreporter Peter R.
de Vries ermordete, dient als Warnung. Dort wurde sogar
Kronprinzessin Amalia bedroht. Sie verließ zeitweilig das Land und
studierte in Madrid. Mit einem neuen Gesetz namens «Frankreich aus
der Drogenfalle befreien» will Paris verhindern, dass die
organisierte Kriminalität staatliche Strukturen unterwandert und
beschädigt.
Auch Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska kündigte jüngst
eine Verstärkung des Kampfes an. Trotz großer Investitionen und
fortschrittlicher Technologien sei es aber äußerst schwierig, den
Schmuggel insbesondere von Kokain vollständig zu verhindern, räumte
er ein. Optimismus klingt anders.