Zweite Kanzlerreise: Große Erwartungen an Merz in Brüssel Von Michael Fischer und Ansgar Haase, dpa

09.05.2025 07:25

Die nächste Station auf der Vorstellungstour des neuen Kanzlers im
Ausland ist Brüssel. Er hat sich vorgenommen, die «europapolitische
Sprachlosigkeit» Deutschlands zu beenden.

Brüssel (dpa) - Drei Tage nach seinem Amtsantritt ist der neue
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu seiner zweiten Auslandsreise
nach Brüssel aufgebrochen. Dort will er Nato-Generalsekretär Mark
Rutte sowie mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen,
Ratspräsident António Costa und Parlamentspräsidentin Roberta Metsola

die drei Spitzenvertreter der EU treffen. Seine ersten
Antrittsbesuche hatte Merz bereits am Mittwoch in Paris und Warschau
absolviert.

Merz sieht große Erwartungen in Europa 

Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags zwischen Union und SPD
hatte der CDU-Chef angekündigt, mit seiner Regierung dafür zu sorgen,
dass Deutschlands «Stimme in Europa und in der Welt» wieder gehört
werde. «Große Teile Europas, die Europäische Union allemal, sie
warten auf uns, dass wir wieder einen kraftvollen Beitrag zum
Gelingen des europäischen Projektes leisten.»

Als Oppositionsführer hatte Merz seinem Vorgänger Olaf Scholz (SPD)
Passivität in der Europapolitik vorgeworfen und versprochen, die
«europapolitische Sprachlosigkeit» Deutschlands zu beenden. In enger
Kooperation mit den Nachbarländern Frankreich und Polen will er die
europäische Souveränität stärken und damit auf den außenpolitisch
en
Kurswechsel der USA unter Präsident Donald Trump reagieren.

Merz will Schluss machen mit «German Vote»

Die Erwartungen in Brüssel sind hoch. In den vergangenen Jahren wurde
dort immer wieder kritisiert, dass die Ampel-Koalition von Scholz oft
lange brauchte, um sich zu wichtigen Projekten wie etwa der Reform
des europäischen Asylsystems zu positionieren. Für noch größeres
Unverständnis sorgte, wenn in Berlin zwischen SPD, Grünen und FDP gar
keine Einigung gelang und Deutschland sich deswegen bei
EU-Abstimmungen enthielt - so zu Beispiel beim
EU-Lieferkettenkettengesetz.

«German Vote» wurde das in Brüssel ironisch und auch etwas abfällig

genannt. Merz hat versprochen, damit Schluss zu machen. Mit dem
langjährigen deutschen EU-Botschafter Michael Clauß hat er sich einen
Mann als europapolitischen Berater ins Kanzleramt geholt hat, der die
Brüsseler Sichtweise sehr genau kennt.

Eine Reihe Bewährungsproben für neues Team Deutschland

Für das neue Team Deutschland stehen aber etliche Bewährungsproben
an. So will Merz etwa Deutschland wieder zu einer treibenden Kraft in
Europa machen. Als äußerst fraglich gilt, ob ausgerechnet eine
Regierung mit den Unionsparteien bereit sein könnte, der von
Frankreich und anderen Ländern gewünschten Aufnahme neuer gemeinsamer
EU-Schulden für Verteidigungsprojekte zuzustimmen. 

Für große Diskussionen sorgt zudem bereits die Entscheidung der neuen
Bundesregierung, mit zusätzlichen Grenzkontrollen und Zurückweisungen
von Asylbewerbern gegen unerwünschte Migration vorzugehen. Aus Sicht
von Kritikern ist ein solches Vorgehen vermutlich nicht mit EU-Recht
vereinbar und zudem eine Gefahr für den eigentlich
grenzkontrollfreien EU-Binnenmarkt. Doch gab es auch Zustimmung zum
geplanten Kurswechsel in der deutschen Asylpolitik, etwa von der
Regierung Österreichs. 

Mit Spannung wird auch erwartet, wie sich die Bundesregierung im
Zollkonflikt mit den USA und den anstehenden Verhandlungen über den
nächsten langfristigen EU-Haushaltsplan positioniert. Bei beiden
Themen stellt sich die Frage, ob für die gesamte EU vorteilhafte
Lösungen als wichtiger erachtet werden als die Interessen
einflussreicher deutscher Bundesländer oder Industriezweige.

Ukraine und Verteidigungsfähigkeit bei Nato Thema

Bei der Nato wird es für Merz um den russischen Angriffskrieg gegen
die Ukraine und die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses angesichts
der russischen Bedrohung gehen. Im Juni findet in Den Haag der erste
Nato-Gipfel mit Trump nach dessen Amtsantritt im Januar statt.

Am Vorabend seiner Brüssel-Reise telefonierte Merz mit Trump. Der
Ukraine-Krieg war dabei das Hauptthema. Die beiden hätten eine enge
Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Beendigung des russischen
Angriffskriegs vereinbart, erklärte Regierungssprecher Stefan
Kornelius anschließend. 

Was den Weg zu einer möglichen Friedenslösung angeht, gibt es
zwischen den USA und den europäischen Verbündeten aber erhebliche
Differenzen. Während Trump die Ukraine zu Zugeständnissen an Russland
drängt, warnen Länder wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien

vor einem Diktatfrieden.